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Ist eine Hebamme Leiterin eines Geburtshauses, obliegen ihr neben ihrer geburtshilflichen Tätigkeit auch Leitungs- und Organisationspflichten wie einem Krankenhausträger, die dazu führen, dass ihr ärztliches Fehlverhalten bei der Entbindung zuzurechnen ist.[174]
B. Inhalt, Art und Umfang – die Rechtsfolgenseite
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Nach Bejahung eines zum Schadensersatz verpflichtenden Tatbestandes, stellt sich auf der Rechtsfolgenseite die Frage nach Inhalt, Art und Umfang des zu ersetzenden Schadens. Die einschlägigen Regelungen hierzu sind die §§ 249 ff., 842 ff. BGB und die entsprechenden spezialgesetzlichen Normen des AMG, des ProdHaftG für Medizinprodukte, des GenTG, sowie des BVG für Opferentschädigungsfälle.
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Die Leistung von Schadensersatz bezweckt den Ausgleich des Nachteils den der Geschädigte aufgrund des schädigenden Ereignisses erlitten hat (Ausgleichsfunktion).[175] Zu ersetzen ist dabei der volle Schaden, welcher durch das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis eingetreten ist (Totalreparation)[176], wobei der Schaden am Integritätsinteresse[177] gemessen wird.
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Grundsätzlich ist der Schadensersatzanspruch nach § 249 Abs. 1 BGB und § 253 Abs. 1 BGB auf Naturalrestitution[178] gerichtet. Das bedeutet die Wiederherstellung des Zustandes, der ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte, durch die Person des Schädigers.[179]
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Nicht nur beim Tod des Patienten, sondern auch in zahlreichen Fällen der Körper- und Gesundheitsverletzung scheidet eine Wiederherstellung im strengen Sinne aber aus. Selbst wenn sie möglich ist, kann der haftende Arzt sie häufig nicht vornehmen, weil der Patient das Vertrauen zu ihm verloren hat.[180] Bei gestörtem Vertrauensverhältnis darf der Patient daher Abhilfe bei einem anderen Arzt suchen (§ 249 Abs. 2 BGB).[181] Ihm steht nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB insoweit ein Geldersatzanspruch zu.
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Im Rahmen der Systematisierung ist sowohl zwischen dem unmittelbaren, mittelbaren und den Folgeschäden dritter Personen, als auch zwischen dem materiellen und immateriellen Schaden zu differenzieren. Vgl. hierzu 1. Teil, 6. Kap.
1. Unmittelbare, mittelbare und Folgeschäden bei Dritten
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Der unmittelbare Schaden ist derjenige Schaden, der am verletzten Recht oder Rechtsgut selbst entstanden ist. Im Arzthaftungsrecht führt er in der Regel zum Ersatz materieller Schäden, wie etwa der Heilbehandlungs- und Pflegekosten (§ 249 Abs. 2 BGB) und zu einem Schmerzensgeldanspruch gemäß § 253 Abs. 2 BGB.[182]
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Zu den mittelbaren Schäden zählen hingegen solche Einbußen und Nachteile, die durch das schädigende Ereignis verursacht worden; die also als Folge der Gesundheitsbeeinträchtigung entstehen. Dies sind etwa der entgangene Gewinn (§ 252 BGB), die Kosten für Krankenbesuche und der Verdienstausfall.[183]
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Eine dritte Gruppe bilden die Folgeschäden, welche sich bei Dritten verwirklichen, wie z.B. der Verlust von Unterhaltsansprüchen, Ersatzansprüche wegen entgangener Dienste oder auch Ersatzansprüche wegen Beerdigungskosten (§§ 844, 845 BGB).[184]
2. Materielle und immaterielle Schäden
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Der erlittene Nachteil kann materieller oder immaterieller Natur sein.
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Ein materieller Schaden liegt vor, wenn der Schaden in Geld bemessen werden kann und nicht der Persönlichkeitssphäre zuzuordnen ist. Als quantifizierbar wird ein Schaden dann angesehen, wenn sich seine Höhe nach objektiven Gesichtspunkten und frei von subjektiven Eindrücken und Empfindungen der betroffenen Person ermitteln lässt[185], indem die aufgrund des haftungsbegründenden Schadensereignisses bestehende Güterlage mit der ohne dieses Ereignis bestehenden Güterlage verglichen wird (Differenzhypothese)[186].
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Ersatzfähige materielle Schäden sind beispielsweise die Heilungs-, Pflege- und Rehabilitationskosten. Diese Kosten werden generell von der GKV übernommen, und die Ansprüche gehen daher gem. § 116 SGB X auf sie über. Zu ersetzen sind auch die Aufwendungen für Krankenhausbesuche naher Angehöriger bzw. sonstiger nahe stehender Personen[187], sowie der entgangene Gewinn, einschließlich des Verdienstausfalls (§ 252 BGB).[188] Gegebenenfalls sind auch die Kosten für vermehrte Bedürfnisse, wie den behindertengerechten Umbau der Wohnung und die Anschaffung eines geeigneten Autos zu ersetzen (§ 843 BGB). Eine Erweiterung des Haftungsumfangs findet sich darüber hinaus im Deliktsrecht. So besteht, aufgrund der deliktsspezifischen Normen u.a. ein Anspruch auf Ersatz des Haushaltsführungsschadens (§§ 843, 844 BGB).
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Ist die fehlerhafte Leistung des Arztes für den Patienten völlig unbrauchbar und demzufolge ohne Interesse, besteht der (Mindest-)Schaden des Patienten darin, dass er für eine im Ergebnis unbrauchbare ärztliche Behandlung eine Vergütung zahlen soll. In diesem Fall ist der Schadensersatzanspruch unmittelbar auf Befreiung von der Vergütungspflicht gerichtet ist, wenn weder der Patient noch seine Versicherung bereits bezahlt haben[189].
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Mittelbar Geschädigte können, wie bereits erwähnt, eigene Ansprüche aus den §§ 823 ff. BGB i.V.m. §§ 844, 845 BGB herleiten. So können beispielsweise Ansprüche auf Ersatz der Beerdigungskosten oder Ersatzansprüche für Unterhaltsverluste und entgangene Dienste bei Tod des Patienten (§§ 844, 845 BGB) ersetzt werden. Bleibt ein dauernder Schaden, so kommt insoweit auch eine Rente in Betracht.[190]
b) Immaterieller Schaden[191]
100
Vgl. hierzu 1. Teil, 7. Kap.
101
Unter dem Begriff des immateriellen Schadens sind alle körperlichen und seelischen Belastungen oder Nachteile zu fassen, welche im strengen Sinne monetär nicht messbar sind.[192]
102
Dem Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens kommt nach ständiger Judikatur eine Doppelfunktion zu: Der Geschädigte soll für außerhalb der Vermögenssphäre liegende Unbill, etwa für körperliche Schmerzen oder seelische Leiden, für die Einbuße an physischen oder psychischen Funktionen trotz der Inkommensurabilität dieser Nachteile mit Geld einen Ersatz erhalten. Neben dieser vorwiegenden Ausgleichsfunktion steht vornehmlich bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit die ergänzende Genugtuungsfunktion, nach welcher der Schädiger den Verletzten durch Sühnung der Tat zu besänftigen hat.[193] Der Schmerzensgeldanspruch geht nicht auf den Sozialversicherungsträger über, ist jedoch übertrag- und vererbbar. Die Reform des Schadensrechts hat daran nichts geändert.[194] Insbesondere ist an der bisherigen Spruchpraxis[195] zur notwendigen Überschreitung der Bagatellgrenze festzuhalten, unterhalb derer ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu verneinen ist und deren Umfang die Gerichte auch zukünftig anhand der Formulierung „ billige Entschädigung “ festzusetzen haben.[196] Der Anspruch umfasst auch Schmerzen, die im weiteren Verlauf der durch den schuldhaften Arztfehler ausgelösten Verletzungen auftreten.[197]
103
Die Schmerzensgeldbeträge unterscheiden sich je nach Umfang der Verletzung und können sechsstellige Summen erreichen.[198] Bei schweren Dauerschäden kommt neben dem Kapitalbetrag aber auch eine Rente in Betracht.[199] Das gilt insbesondere auch beim totalen Ausfall aller geistigen Fähigkeiten und Sinnesempfindungen, obwohl insoweit beide Funktionen des Schmerzensgeldes nicht greifen.[200] Diese Rechtsprechung dürfte durch das neue Hinterbliebenengeld nicht obsolet werden, obwohl das sachgerecht wäre[201].
104
Von größter Bedeutung für das Arzthaftungsrecht wird das sogenannte Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB sein. Ein Hinterbliebener, „ der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand “, kann für das ihm „ zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld “ verlangen. „ Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war. “ Für weitere nahestehende Personen ist das Näheverhältnis zu beweisen. Zu den Schwierigkeiten in diesem Zusammenhang sei auf § 8 TPG verwiesen. Der Umfang soll sich an der Rechtsprechung zu den Schockschäden orientieren. Ein gesundheitlicher Schaden beim Anspruchsberechtigten ist allerdings nicht Voraussetzung[202].
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