Helmut Gabel Inspiriert und inspirierend – die Bibel
Helmut Gabel
Inspiriert und inspirierend – die Bibel
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© 2011 Echter Verlag GmbH, Würzburg
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Umschlag:Peter Hellmund (Foto: Herbert Liedel)
Satz: Hain-Team, Bad Zwischenahn ( www.hain-team.de)
Druck und Bindung: Druckerei Friedrich Pustet, Regensburg
ISBN 978-3-429-03393-4 (Print)
ISBN 978-3-429-04556-2 (PDF)
ISBN 978-3-429-06003-9 (Epub)
Vorwort
1. Warum und mit welchem Ergebnis über die Inspiration der Bibel nachgedacht wurde – ein Streifzug durch die Geschichte der Inspirationstheologie
1. Die Bibel
2. Die alte Kirche
3. Das Mittelalter
4. Die Neuzeit
5. Das Erste Vatikanische Konzil
6. Die neuscholastische Inspirationslehre
6.1. Das „Grundmuster“ der neuscholastischen Theorie
6.2. Berechtigte Anliegen – ungeeignete Wege: die Schwächen der neuscholastischen Inspirationstheologie
7. Die päpstlichen Bibelenzykliken
8. Das Zweite Vatikanische Konzil
2. Wie heutige Theologie über die Inspiration der Schrift denkt – ein „Rundflug“ über die Theologie der letzten Jahrzehnte
1. Der Ansatz bei der Konstituierung der Glaubensgemeinschaft
2. Der Ansatz bei der Bibel als Literatur
3. Der Ansatz bei der Inspiration des glaubenden Menschen
3. Wie man heute von der Inspiration der Schrift reden kann – ein Versuch einer theologischen Bilanz
1. Die „Sache“ der Inspirationstheologie
2. Heilige Schrift und Heiliger Geist
2.1. Heiliger Geist und Selbstmitteilung Gottes
2.2. Heiliger Geist und Auferbauung der Glaubensgemeinschaft
2.3. Heiliger Geist und „Dienste am Wort“
2.4. Heiliger Geist und Schrifttext
2.5. Fazit: Schriftinspiration als Moment der Inspiration des Lebensprozesses der Glaubensgemeinschaft
3. Schriftinspiration als „Beziehungsbegriff“
3.1. Der dialogische Charakter der Schriftinspiration
3.2. Die ekklesiologische Dimension der Schriftinspiration
3.3. Die Inspiriertheit aller Glaubenszeugnisse und die Schriftinspiration
4. Das Spezifische der Inspiration der Schrift
4.1. Schriftinspiration als Inspiration grundlegender und normativer Texte
4.2. Die Kriterien der Kanonizität
5. Der Vorgang der Schriftinspiration: das Zusammenwirken von Gott und Mensch
5.1. Göttliches und menschliches Wirken bei der Entstehung der Schrift
5.2. Göttliches und menschliches Wirken beim Lesen und Verstehen der Schrift
6. Der Wahrheitsanspruch der Schrift
7. Inspiration innerhalb und außerhalb der Glaubensgemeinschaft
4. Was sich aus diesem Inspirationsverständnis für die Interpretation der Bibel ergibt – ein „Praxistest“ für den Umgang mit schwierigen Bibelstellen
1. Inspirationsverständnis und Bibelhermeneutik
2. Hilfen zur Auslegung biblischer Texte
2.1. Biblische Texte als Menschenwort lesen
2.1.1. Bibeltexte als menschliche Deutung von Erfahrungen auf Gott hin verstehen
2.1.2. Die literarischen Formen und Gattungen beachten
2.1.3. Beachten, wer den Text an wen in welcher Situation mit welcher Absicht geschrieben hat
2.2. Biblische Texte im Kontext der ganzen Schrift lesen
2.3. Biblische Texte in gläubiger Offenheit lesen
2.4. Biblische Texte in der Glaubensgemeinschaft lesen
Anmerkungen
Leseempfehlungen
„Sie werden lachen – die Bibel!“, antwortete Bertolt Brecht auf die Frage, welches Buch ihn am meisten anspreche. Die Heilige Schrift war für ihn offenbar ein inspirierendes Buch, durch das er sich bereichert und angeregt, vielleicht auch herausgefordert fühlte. Ähnlich empfinden es viele Menschen unserer Zeit – nicht nur engagierte Christen, die Sonntag für Sonntag Schriftlesungen im Gottesdienst hören und vielleicht auch selber die Bibel lesen oder in Bibelkreisen Anregungen für ihr Leben bekommen, sondern auch Kirchendistanzierte, denen zumindest einige zentrale Texte der Bibel vertraut sind. Die Psalmen des Alten Testaments, das Hohelied der Liebe aus dem ersten Korintherbrief, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, die Weisungen Jesu in der Bergpredigt empfinden viele Menschen – Engagierte wie Fernstehende, Christen wie Nichtchristen – als bedeutungsvolle und anregende Texte. Die Bibel inspiriert.
Allerdings: Auch außerbiblische Texte inspirieren. Geistliche Texte des Christentums, etwa die „Bekenntnisse“ des heiligen Augustinus, sprechen viele Menschen an. Dasselbe gilt für heilige Schriften anderer Religionen. Mancher literarische Text – etwa „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry oder „Der Prophet“ von Kahlil Gibran – bedeutet Menschen unserer Zeit viel. Ich erinnere mich an eine Trauung, bei der eine Lektorin an den Ambo trat und anhob: „Lesung aus dem Buch vom kleinen Prinzen.“ Und Brautpaare fragen mich manchmal, ob man nicht statt einer biblischen Lesung einen Abschnitt von Kahlil Gibran vorlesen könne; er sei ihnen so wichtig für ihre Beziehung geworden. Biblische und außerbiblische Texte können gleichermaßen inspirierend sein – warum nicht im Gottesdienst einen biblischen Text durch einen anderen ersetzen?
Umgekehrt: Es gibt viele Texte in der Bibel, von denen anscheinend gar keine inspirierende Wirkung ausgeht. Wer die Bibel aufschlägt und ausgerechnet auf die Stammeslisten oder das Lagerstationen-Verzeichnis im Buch Numeri stößt, wird die Heilige Schrift bald enttäuscht weglegen. Und der Gottesdienstteilnehmer, der kurz vor Weihnachten in den Werktagsgottesdienst geht und als Evangelium ausgerechnet den Stammbaum Jesu mit einer Fülle von ihm unbekannten jüdischen Namen hört, wird sich fragen: Was soll das?
Innerhalb und außerhalb der Bibel gibt es Inspirierendes und Nicht-Inspirierendes. Was ist das Besondere an der Bibel? Was unterscheidet sie von den „Bekenntnissen“ des Augustinus, vom „Kleinen Prinzen“, vom Koran, vom Buch der Wandlungen aus der chinesischen Philosophie und anderen ebenso inspirierenden Texten?
Die Antwort der christlichen Theologie verwendet dasselbe Wort, das in den vorausgegangenen Abschnitten oft vorkam: Sie spricht von „Inspiration“ und drückt die Überzeugung aus, die Bibel sei inspiriert, d. h. sie sei unter dem „Anhauch“, der „Einhauchung“ des Heiligen Geistes entstanden. Und eine zweite Aussage taucht gleichgewichtig auf: Die Bibel habe Gott zum „auctor“, zum Urheber. Inspiration des Geistes und göttliche Urheberschaft – diese beiden Merkmale wurden mit allerhöchster kirchlicher Autorität im Ersten Vatikanum (1869–70) der Bibel zugeschrieben und vom Zweiten Vatikanum (1962–65) bekräftigt.
Aber mit diesem Satz „Die Bibel ist von Gott inspiriert“ haben viele ihre Schwierigkeiten, und nicht nur Nichtchristen. Ein Beispiel: Es ist Montag der zweiten Woche im Jahreskreis, Jahr II. Der Lektor trägt die Lesung aus 1 Sam 15 vor: Samuel kündigt dem König Saul an, dass Gott ihn verwerfen wird, weil er nicht, wie von Gott befohlen, die Amalekiter mit Stumpf und Stiel ausgerottet hat. Als der Lektor mit dem Satz schließt: „Wort des lebendigen Gottes“, lese ich förmlich in den Augen der Mitfeiernden: Das ist also Gottes Wort, von Gott inspiriert? Wir sollen wirklich glauben, dass der Gott, von dem wir sagen, er sei die Liebe, die Vernichtung der Feinde befiehlt?
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