Ähnlich am Zweiten Fastensonntag, Lesejahr B. Die erste Lesung aus Gen 22 erzählt, wie Gott Abraham befiehlt, seinen einzigen Sohn als Opfer für Gott zu schlachten. Das soll wirklich Gottes Wort sein?
Mancher tröstet sich damit, dass beide Stellen im Alten Testament stehen und wir Christen doch Gott sei Dank das Neue Testament haben. Aber auch das Neue Testament kann Probleme bereiten: Fest der Heiligen Familie. Die Lektorin, eine selbstbewusste Frau, liest in der Sakristei die zweite Lesung aus Kol 3 durch und erklärt mir dann: Glauben Sie aber bloß nicht, dass ich heute sage: Wort des lebendigen Gottes! Das ist eine Zumutung für jede Frau, wenn da steht: Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter! Das soll Gottes Wort sein, von Gott eingegeben, von ihm inspiriert?
Oder wer manchen „Stern“- oder „Spiegel“-Artikel liest, kann den Eindruck gewinnen: Die Bibel ist ein höchst problematisches Buch, auf höchst zeitbedingte, zufällige Weise entstanden. Da „menschelt“ es allenthalben, da spielen Konflikte der Glaubensgemeinschaft und jede Art von Gruppeninteressen hinein. Wer sie historisch-kritisch betrachtet, für den scheint nicht viel übrig zu bleiben von der göttlichen Inspiration der Schrift. Ich erinnere mich noch, wie mir ein Studienkollege in den siebziger Jahren dezidiert erklärt hat: „Ich glaube nicht an die Inspiration der Bibel. Die Bibel ist eine Sammlung von Dokumenten, in denen Menschen ihre Erfahrungen niedergeschrieben haben, ein Buch wie andere Bücher auch!“
Da kann man allerdings einige Rückfragen stellen: Muss das unbedingt ein Gegensatz sein: menschliche und göttliche Urheberschaft? Was hat dieser Studienkollege von damals für einen Begriff von Inspiration, wenn er die Vorstellung von einer Inspiration der Bibel ablehnt? Orientiert er sich vielleicht allzu sehr an dem, was evangelikal-fundamentalistische Gruppen unter Inspiration verstehen: Die Bibel ist wörtlich von Gott eingegeben und deshalb in allen Punkten wörtlich zu nehmen? Aber ist das die christliche Vorstellung von Inspiration? Was meinte die christlich-theologische Tradition eigentlich, wenn sie von Inspiration sprach? Meinte sie zu allen Zeiten dasselbe? Es lohnt sich, dieser Vorstellung und diesem Begriff der „Inspiration“ der Schrift nachzugehen – mit der Fragestellung im Hintergrund: Enthält die Konzeption von der „Inspiration“ der Schrift vielleicht manches, das auch heute für unser christliches Leben und Denken hilfreich ist, ja vielleicht sogar wichtig und unverzichtbar?
Deshalb wird in einem ersten Kapitel ein Gang durch einige ausgewählte Stationen der Geschichte der christlichen Theologie vorgenommen: Wann hat man angefangen, von einer Inspiration der Bibel zu sprechen? Wer hat angefangen, darüber intensiver nachzudenken? Warum hat man darüber reflektiert? Man hätte es ja auch bleiben lassen und sich mit anderen Themen beschäftigen können! Wer hat sich wann und warum mit der Schriftinspiration befasst? Zu welchen Ergebnissen kam er, und wie sind sie im Gesamt der theologischen Denkgeschichte zu beurteilen?
Dann schließt sich im zweiten Kapitel die Frage an: Wie reden Theologen heute, unter den denkerischen Herausforderungen unserer Zeit, über die Inspiration der Schrift? Was verstehen sie darunter? Das Ziel ist, in einem dritten Kapitel eine Antwort auf die Frage zu geben: Wie kann man heute von der Inspiration der Schrift sprechen – in Verantwortung vor der Überlieferung der Kirche und zugleich so, dass ein kritischer, suchender, reflektierender Mensch unserer Tage mitgehen kann?
Schließlich wird im vierten Kapitel das Entwickelte dem „Praxistest“ unterzogen: Was wirft dieses Verständnis von „Schriftinspiration“ ab für die konkreten Schwierigkeiten im Umgang mit einzelnen biblischen Texten, insbesondere den sperrigen Texten der Bibel? Was ergibt sich aus diesem Verständnis von Inspiration für die Interpretation der Bibel?
Die folgenden Ausführungen versuchen zu zeigen: Ein theologisch verantwortetes Verständnis der Inspiration der Schrift hilft, die Bibel mit ihren manchmal schwierigen Texten sachgerechter zu verstehen. Es trägt dazu bei, dass die Bibel ihre inspirierende Kraft entfalten kann – für das eigene Leben, die Kirche und die heutige Welt.
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