Der Verlag Hier und Jetzt wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
Mit weiteren Beiträgen haben das Buchprojekt unterstützt:
Gemeinde Vals
Graubündner Kantonalbank, Beitragsfonds
Kulturförderung Kanton Graubünden / SWISSLOS
Stadt Chur, Kulturförderung
Stiftung Lienhard-Hunger
Valser Fonds
Eine Publikation des Instituts für Kulturforschung Graubünden ( www.kulturforschung.ch). Der Text entstand im Rahmen eines Forschungsprojekts des Instituts für Kulturforschung Graubünden.
Dieses Buch ist nach den aktuellen Rechtschreibregeln verfasst. Quellenzitate werden jedoch in originaler Schreibweise wiedergegeben. Hinzufügungen sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen, Auslassungen mit […] gekennzeichnet.
Umschlagbild:
Johann Stoffel, elegant gekleidet. StAGR III 23 d 2 (Stoffel, Johann, Dossier 1929).
Lektorat:
Andri Perl, Chur
Stephanie Mohler, Hier und Jetzt
Gestaltung und Satz:
Simone Farner, Naima Schalcher, Zürich
Bildbearbeitung:
Benjamin Roffler, Hier und Jetzt
ISBN Druckausgabe 978-3-03919-523-7
ISBN E-Book 978-3-03919-972-3
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
© 2020 Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Zürich, Schweiz
www.hierundjetzt.ch
Für Patrizia
Einleitung
Die Vita des Johann Stoffel
Der Bastard
Der Einbrecher
Der Ausbrecher
Der Schelm
Der Angeklagte
Der Schneidermeister
Die Legende
Schlusswort
Anhang
Reglement für die kantonale Strafanstalt Sennhof
Prozessberichterstattung der Neuen Bündner Zeitung vom 25. und 26. Februar 1931, Bündner Kantonsgericht, Chur
Zeittafel
Quellen und Literatur
Anmerkungen
Abbildungsverzeichnis
Autor
Ende Februar 1931 steht ein besonderer Angeklagter vor dem Bündner Kantonsgericht in Chur: Johann Stoffel von Vals. Das öffentliche Interesse ist weit über den Kanton hinaus gross. Ausführlich über Stoffels Taten berichten die drei Churer Tageszeitungen, und in ihrer Berichterstattung schwingt ein gehöriges Stück Faszination für den Angeklagten mit. Die Neue Bündner Zeitung behauptet sogar: «Stoffel hatte eine bessere Presse als mancher Politiker vor einer Wahl.» 1
Wer war dieser Stoffel? Erwähnt man heute den Bündner Ein- und Ausbrecherkönig, reagieren die allerwenigsten. Auch unter Historikerinnen und Historikern weiss man kaum von Johann Stoffels Existenz. Das ist bedauerlich, denn Stoffel war schweizweit berüchtigt und bot Stoff für Legenden. Es soll hier erstmals Licht auf Stoffel und seinen Wandel vom populären Ein- und Ausbrecher zum geachteten Schneidermeister geworfen werden. Weil Stoffels Leben beispielhaft in die gesellschaftlichen Phänomene jener Zeit eingebettet werden kann, leistet das Buch einen spannenden Beitrag zur jüngeren Bündner und zur Schweizer Sozialgeschichte.
Die ersten Begegnungen des Schreibenden mit dem Stoff waren zufällig. Sie ergaben sich meist bei der Beschäftigung mit einem anderen Thema, bei welchem Stoffel nur nebenbei in einem halben Satz oder einer Anmerkung aufschien. Bei der später zielgerichteten Suche redeten aber zahlreiche historische Zeugnisse zum Historiker. Die Fülle an Quellen ist so ergiebig, dass diese hier im Zentrum stehen sollen. Das Buch will keine rein chronologische Biografie sein, sondern eine Collage des Quellenmaterials. Diese Collage orientiert sich thematisch an den verschiedenen Rollen der historischen Figur Johann Stoffel.
Wie kam es so weit, dass ein chronischer Dieb und Gesetzesbrecher es zu grosser Popularität brachte? Wie war Stoffel überhaupt zum weitherum bekannten Dieb geworden, samt seinen – je nach Standpunkt – «Delikten» oder «Streichen»? Und haben wir es gar mit einem Bündner Robin Hood, einem Social Bandit zu tun? Wie reagierte die gedemütigte Staatsmacht? Wie schaffte es Stoffel schliesslich, einer angesehenen bürgerlichen Tätigkeit nachzugehen? Trifft für einmal also das Etikett der erfolgreichen Resozialisierung wirklich zu?
Heute leben nur noch ganz wenige Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, die aus erster Hand berichten können. Immerhin lassen sich mit Interviews noch einige weitere Informationen beibringen, wenn auch nur aus zweiter und dritter Hand. Eine auch nur bescheidene Literatur existiert hingegen nicht. Besser steht es um einschlägige Zeitungs- und Zeitschriftenartikel aus den 1920er- und 1930er-Jahren. Ertragreich ist das Archivmaterial, weitaus am meisten davon findet sich im Staatsarchiv Graubünden in Chur. Häufig stehen die Quellen in Zusammenhang mit dem grossen Prozess von 1931 und stammen vom Kantons-Verhöramt (der späteren Staatsanwaltschaft). Interessante Hinweise liefern auch das Stadtarchiv Zürich und das Staatsarchiv des Kantons Zürich, hielt Stoffel sich doch privat und «beruflich» häufig in dieser Stadt auf. Von zentraler Bedeutung ist sein von ihm eigenhändig verfasster Lebenslauf, den er wenige Tage vor dem Prozessbeginn für seinen Verteidiger erstellte. 2Sehr dienlich zur Illustration sind auch die zeitgenössischen Fotos aus dem Staatsarchiv Graubünden und aus dem Familienbesitz.
Um gleich zu Beginn Orientierung in einer nicht immer übersichtlichen Ereignisgeschichte zu schaffen, wird im ersten Kapitel ein kurzer Lebenslauf von Johann Stoffel nachgezeichnet. Es folgen unter dem Titel «Der Bastard» Angaben zu seiner schwierigen Herkunft, seinen ersten zwei Lebensjahrzehnten und zur Anbahnung seiner Diebeskarriere. «Der Einbrecher» zeigt Stoffel dann gewissermassen auf der Höhe seiner Fertigkeit. «Der Ausbrecher» behandelt das Gegenteil, nämlich die Kunst des Entweichens. Das Kapitel «Der Schelm» – und diese vieldeutige Bezeichnung ist durchaus gewollt – behandelt die Interaktion zwischen dem Delinquenten und der Staatsmacht, zwischen Selbstbild und Fremdbild. Dieses Zusammenspiel spiegelt sich beispielhaft in Johann Stoffels schillerndem Verhältnis zu den Frauen oder in seiner Funktion als Fasnachtsmotiv.
«Der Angeklagte» geht insbesondere auf den Prozess von 1931 vor dem Bündner Kantonsgericht ein. Dieses Kapitel fasst die tatsächlichen oder auch nur behaupteten Delikte von Stoffel zusammen und erwähnt das Strafmass. «Der Schneidermeister» zeigt auf, wie aus einem Kleinkriminellen der Besitzer einer Uniformenfabrik wurde, und «Die Legende» schliesslich beschäftigt sich mit dem «Stoffelkult». Zeugnisse aus zweiter Hand und einige wenige literarische Bearbeitungen des Stoffs führen zur Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen Johann Stoffel und dem in diesem Kontext oft erwähnten Robin Hood.
Die Vita des Johann Stoffel
Johann Stoffel ist eine populäre Figur der 20er- und 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Nur sehr wenige heute lebende Personen haben ihn noch persönlich gekannt. Umso freier entwickeln sich Sagen und Legenden. Was jedoch belegt ist: Johanns Startchancen sind nicht gut. Er wird im Frühling 1899 in Vals als uneheliches Kind geboren. Er berichtet in seiner Autobiografie, dass die Dorfbewohner ihn als «Bastard» titulierten. Schon als kleines Kind wird er verdingt. Als seine Mutter heiratet, zieht der Neunjährige mit ihr nach Zürich. 1915 tritt sein Stiefvater eine Anstellung in Köln an. Johann arbeitet dort zeitweise unter gesundheitsschädigenden Umständen in einer der Munitionsfabriken, wo der Verdienst aber angesichts des Arbeitskräftemangels recht gut ist. Noch in Köln begeht der junge Mann jedoch die ersten zwei Diebstähle, beim zweiten wird er ertappt und muss eine siebenmonatige Haftstrasse absitzen.
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