Anja C. Wagner - Berufen statt zertifiziert (E-Book)

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Berufen statt zertifiziert (E-Book): краткое содержание, описание и аннотация

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Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen.
Arbeit strukturiert unsere Gesellschaft und prägt uns selbst. Wir werden aus-, fort- und weitergebildet, damit wir in unserem Beruf bestehen, den eigenen Unterhalt verdienen und für eine Familie sorgen können. So war das jedenfalls, bevor die digitale Transformation einsetzte. Nun fallen Jobs weg und damit auch gleich ganze Berufe und Lebenskonzepte. Für die neuen Arbeitsanforderungen qualifizieren die im tradierten Bildungssystem erworbenen Abschlüsse und Zertifikate nicht. Was denn sonst? Anja C. Wagner macht uns Mut für Veränderung.

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Anja C Wagner Berufen statt zertifiziert Neues Lernen neue Chancen ISBN - фото 1

Anja C. Wagner

Berufen statt zertifiziert

Neues Lernen, neue Chancen

ISBN Print: 978-3-0355-1868-9

ISBN E-Book: 978-3-0355-1869-6

Fotos: Nicole Bauch

1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.com

EINBLICK Aus dem Maschinenraum eines verunsicherten Bürgertums

RÜCKBLICK Wie es zum Zertifikate-Wahnsinn kommen konnte

Ein kleiner Rückblick auf die Berufsentwicklung

Beruf stammt von Berufung

Neue Positionen durch die Industrialisierung

Differenzierung der Erwerbstätigen

Die Geschichte des Ausbildungssystems

Die Bedeutung der Hochschulen

Universitäten als Männerdomäne

Unsere heilige duale Ausbildung

Lebenslanges Lernen – muss man das dokumentieren?

Die Geschichte der Zertifikate

Aufstieg durch Bildung

Der Kampf um die Deutungshoheit

Alte Abschlüsse und neue Online-Zertifikate

DURCHBLICK Warum es Zeugnisse und Zertifikate kaum noch braucht

Die disruptiven Wellen – ein Ausflug zu neuesten Innovationen

Die Kondratjew-Zyklen

Innovation als schöpferische Zerstörung

Digitale Disruption

Was bedeutet eigentlich «richtige Arbeit»?

Die «gute Arbeit»

Die Macht der Tarifparteien

Die Zukunft der Arbeit = Leben mit X Berufen?

Wie handhaben es Vorreiter*innen?

Alles MINT oder was? Google und Co. sind anders

Neue Selbstständigkeit jenseits des Freelancings

Wo findet man die eigene Berufung?

AUSBLICK Was das bedeutet

Für unser Selbstverständnis

Für die armen Unternehmen

Für die empowerten Menschen

Für die verzweifelten Bildungsanbieter

Für uns als Gesellschaft

AUFBLICK Wie es für dich weitergeht

Anmerkungen

Die Autorin

Einblick Aus dem Maschinenraum eines verunsicherten Bürgertums KARRIERE IST - фото 2

Einblick

Aus dem Maschinenraum eines verunsicherten Bürgertums

«KARRIERE IST ETWAS HERRLICHES, ABER MAN KANN SICH NICHT IN EINER KALTEN NACHT AN IHR WÄRMEN.»

Marilyn Monroe

Das hatten sie sich anders vorgestellt. Sie meinten es doch gut. Damals, als Ronald Reagan, Margaret Thatcher und auch unser Helmut Kohl die konservative Wende ausriefen und niemand etwas dagegenhielt. Die 68er hatten sich ausrevolutioniert, der Sozialismus hatte sich in Kuba, Korea, Kambodscha und in der DDR schon selber abgeschafft. Der Neoliberalismus bot sich als Zukunftsmodell der westlichen Gesellschaft dar. Es klang ja so überzeugend:

Neues Wachstum generieren, den Unternehmen neue Absatzmärkte verschaffen und alles, aber wirklich alles diesem Ziel unterzuordnen. Mehr, mehr, mehr. Alle Menschen galt es in diesen Prozess zu integrieren, für unser aller «Wohlstand». Und die Besten, Leistungsfähigsten sollten daran ordentlich verdienen. Als Ansporn, Zielmarke, Möhre.

Die zentrale Idee hinter dieser neoliberalen Ideologie: Geht es den Unternehmen und den Besserverdienenden gut, sickert genügend Kapital nach «unten» – und alle profitieren von diesem Prozess. Naja, fast alle.

Die Legende von der höheren Bildungsleiter wurde zum Mantra. Businessschulen, tausende von Bachelor- und Master-Variationen wuchsen und gediehen, denn sie waren das Premium-Ticket für den Arbeitsmarkt. Jeder sollte aus seinen Neigungen das Beste machen können. Ein Master der Numismatik oder der Filmwissenschaft, Hauptsache ein Master.

Die Globalisierung nahm ihren weiteren Lauf, eine weitere Drehung auf einer neuen Umlaufbahn. Für viele lief es größtenteils auch ganz gut. Die Menschen kümmerten sich um ihre Karrieren, sie lernten und schufteten, reisten und sahen die Welt. Und überhaupt: Die Kinder der 68er wuchsen in eine zunehmend liberalere Welt hinein, die kulturellen Werte änderten sich nachhaltig – und die weltgesellschaftlichen Strukturen ebenso.

Dann startete die Digitalisierung langsam durch. Für viele nur eine Randerscheinung, eine Freizeitbeschäftigung. Für andere wurde sie zum zentralen Lebenselixier, das alles verändern sollte.

Schwellenländer nutzten ihre Chancen, der globale Handel nahm Fahrt auf. Immer mehr Menschen partizipierten am weltweiten Warenhandel. Die globalen Kreisläufe boomten und die Zahlen stimmten. Gut, es gab ein paar Krisen und Kriege und immer mehr Menschen begaben sich auf die Flucht. Aber über alle Kategorien hinweg ging es der Menschheit immer besser. Durchschnittlich. Das wissen wir jetzt rückblickend aufgrund des Datenmaterials der «Welt in Zahlen».[1]

Es gab nur einen Wermutstropfen: Das Klima. Eigentlich war es längst bekannt. Seit den 1970er-Jahren gab es erste umweltpolitische Demonstrationen. Der Club of Rome warnte. Aber es scherte kaum jemanden. Man machte weiter, wie gehabt. Die politischen Strukturen waren darauf angelegt, bedient zu werden. Von jedem und jeder Einzelnen. Alle kämpften. Für sich. Und die eigene Familie. Solidarität mit anderen Gruppen, denen man nicht selbst angehörte? Kostete zu viel Energie. Man kann sich ja nicht um alles kümmern. Hauptsache, die Wirtschaft boomt. Die große und auch die kleine.

Und so drehte sich die Welt Jahr um Jahr weiter. Ohne große mentale Veränderungen. Alle machten einfach immer so weiter. Weder nach links noch rechts wurde geblickt. Leider auch nicht nach vorne, zumindest hierzulande. Man hörte und las zwar hin und wieder, dass von einer digitalen Transformation die Rede war. Aber wie, bitteschön, sollte solch eine Spielerei wie ein Onlineshop, eine Suchmaschine oder soziale Netzwerke unsere Wirtschaft nachhaltig verändern? Lächerlich, fanden das viele – und machten weiter wie gehabt. «Hoffentlich ist dieser Hype bald wieder vorbei», so hörten wir es häufig schallen.

Nun, es sollte anders kommen. Als sie es bemerkten, waren die meisten Züge bereits abgefahren. Gut, man konnte die Digital-Infrastrukturen nutzen, um wenigstens noch etwas am neuen globalen Rad mitzudrehen. Aber man konnte ja niemanden dazu zwingen. Wegen Datenschutz und so – ihr wisst schon. Man war gelähmt im Hier und Jetzt. Jahr um Jahr. Es gab ja keine eigenen, europäischen Plattformen, die usable waren. Also machte man: nix.

Leider lernte man dabei auch nicht, neu zu denken. Ohne Praxiserfahrung dominiert das Geschwafel. Es gibt keine Expertise und damit kein Potenzial, das Morgen mitzugestalten. Der Umgang mit der Digitalisierung fokussierte darauf, sich vor den anderen Plattformen und Prozessen zu schützen. Nichts sollte verändert werden. Stört uns nicht. Uns geht es gut. Und solange es uns gut geht, ändern wir überhaupt nichts. Warum auch? Was sollen die Unkenrufe!

Alles ging weiter seinen gewohnten Gang. Es wurde Papier bedruckt, gefaxt, unfassbar umständlich bürokratisiert, unendlich viel Energie darauf verwendet, diesen langsamen Prozess am Laufen zu halten. Und keiner hatte mehr Kraft, über den Tellerrand zu schauen. Geschweige denn, etwas zu bewegen. Man musste ja schaffe, schaffe, Häusle baue. Und reisen, ja, Urlaub machen. Um sich zu erholen von dem Ganzen.

Nur langsam dämmerte es immer mehr Personen in halbwegs verantwortlichen Positionen, dass sich da in anderen Teilen der Welt etwas tut. Dort nutzten sie die Digitalisierung, um Prozesse zu optimieren, um dem Klimawandel zu begegnen und die Gesellschaft neu zu strukturieren. Besser. Effizienter. Klüger. Zumindest im Großen und Ganzen.

Klar kamen dadurch auch die Nepper, Schlepper, Bauernfänger zum Zuge, die versuchten, Strukturen und die digitale Inkompetenz der Menschen für ihre Zwecke zu nutzen. Dagegen musste man sich schützen. Darum kümmerte man sich hier gerne. Man nutzte diesen Hebel, um den eigenen Einflussbereich weiter auszudehnen – alles unter dem Vorwand, uns zu schützen. Und wir schützten uns. Beschäftigten uns unentwegt und dauernd mit dem Schutz unserer wie anderer Räume. Schutz. Schutz. Schutz. Bloß nichts selbst gestalten. Außer den eigenen Garten.

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