Eine besondere Rolle kommt in der Entwicklung medientheoretischer Ansätze der Fotografie 78zu, mit der sich etwa Walter Benjamin (1892–1940) in seiner „Kleinen Geschichte der Photographie“ 79beschäftigt. 80Ihm ist auch der technische Fortschritt wichtig, der sich zunächst vor allem aus der Reproduzierbarkeit des Bildes ergibt, vor allem aber eine Geschichte des Lesens von Fotografie. Bestandteil dieses Lesens ist die Wahrnehmung der Aura der Fotografie, die eng mit der Welt bürgerlicher Aufstiegshoffnungen des 19. Jahrhunderts, dem Interesse an Inszenierungen und der Positionierung zwischen Kunst und Technikeuphorie verbunden ist. 81Mit ihm entsteht zudem ein Bewusstsein für die Bedeutung der Reproduktion. 82
Sie bewirkt im 19. Jahrhundert nicht nur eine grundlegende Diskussion über den Kunstbegriff der Fotografie beziehungsweise den durch sie veränderten Kunstbegriff. Diese Auseinandersetzung wiederholt sich im 20. Jahrhundert im Umgang mit dem Film und der Entstehung der Filmtheorie 83.
Gerade die Reproduzierbarkeit des Bildes in der Fotografie ermöglicht zunächst eine archivarische Funktion (etwa in der Popularität von Familienfotografien und Porträts 84), später auch eine dokumentarische Funktion (im Aufkommen von Kameras in Privatbesitz und ihrer Verwendung im Zweiten Weltkrieg). Einerseits wird die Fotografie in der Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts zu einem Teilgebiet des Journalismus. Andererseits etabliert sie sich im Kontext der modernen Kunst 85und ordnet sich so in die Kulturgeschichte 86ein. Es kommt also zu einer deutlichen Weitung eines auf technische Bezüge reduzierten Fotografie-Verständnisses. 87
Schließlich wird auch die Fotografie durch die Entwicklung der Digitalisierung grundlegend verändert, und dies nicht nur hinsichtlich der technischen Weiterentwicklungen und der Arbeitsbedingungen innerhalb des Fotojournalismus. Die Möglichkeiten, mit einem einfachen Smartphone relativ hochwertige Spontanaufnahmen anzufertigen und eigene Fotoaufnahmen auf Online-Plattformen wie www.flickr.comoder www.photocase.comanzubieten und zu vermarkten, erzeugt neue bildethische Fragestellungen, 88macht die Fotografie zu einem Feld der digitalen Massenkultur und erschwert die Profilierung professioneller Berufsbilder. Insbesondere die breite gesellschaftliche Etablierung von „Selfies“ mit Hilfe von mobilen Digitalgeräten (in der Regel Smartphone oder Tablet) kann zu einer philosophischanthropologischen Reflexion des Fotos in seiner Bedeutung für die Selbstwahrnehmung und die Inszenierung in der Öffentlichkeit führen. 89
2.2. Wie ticken die „Digital Natives“?
Jüngere Bevölkerungsgruppen, zu deren Kindheitserfahrungen spätestens ab der Grundschule, häufig aber schon im Vorschulalter die Nutzung von digitalen Medien und mobilen Kommunikationsgeräten gehören, werden im Rückgriff auf Marc Prensky, John Palfrey und Urs Gasser 90als „Digital Natives“ bezeichnet. Häufig werden sie in soziologischen Ansätzen mit der „Generation Y“ 91identifiziert und mit leichten Divergenzen in den Geburtsjahrgängen ab (!) 1980 verortet. Insbesondere die selbstverständliche Nutzung digitaler Medien, 92aber darüber hinaus auch andere soziologische Merkmale, wie ein verändertes Bewusstsein für ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit 93(Work-Life-Balance) oder Veränderungen im Konsumverhalten (abnehmende Bedeutung von immobilen Statussymbolen) bewirken in vielen Ansätzen eine scharfe Kontrastierung gegenüber älteren Bevölkerungsgruppen. 94
In Verbindung mit dem technischen Fortschritt, der auch eine mobile Nutzung digitaler Medien ermöglichte, lässt sich beobachten, dass kein gesellschaftlicher Bereich moderner Gesellschaften von dem Einfluss digitaler Medien unbeeinflusst geblieben ist und bleibt. Eine Gegenüberstellung von digitaler und realer Welt, oftmals verbunden mit einer Wertung und häufig auch einer romantisierenden Verklärung der Vergangenheit („Wir haben uns früher noch ohne WhatsApp und Handy vor dem Freibad verabredet!“) erscheint kaum noch plausibel. Besondere Fokussierungen erfolgen in der Regel mit Blick auf generationsspezifische Lebensformen und Konsequenzen für die Arbeitskultur und das Arbeitsverständnis. 95
Die selbstverständliche Nutzung digitaler Medien ist für Prensky Anlass, Konzepte des E-Learning und damit internetgestützte Formate pädagogischer Arbeit innerhalb des schulischen Unterrichts wie auch in außerschulischen Angeboten zu entwickeln und zu etablieren.
„Digital Natives“ sind jedoch nicht nur durch die größere Selbstverständlichkeit in der Nutzung digitaler Medien zu bestimmen. Aus ihrer Medienprägung ergeben sich Konsequenzen für die Ausbildung persönlicher Identitäten und Fragen der Selbstwahrnehmung, für eine veränderte Verhältnisbestimmung von Privatheit und Öffentlichkeit (insbesondere hinsichtlich des „digitalen Fußabdruckes“, also der Daten, die jeder Mensch bei der Nutzung des Internets produziert), der Fähigkeit zu kritischer Reflexion von Informationsangeboten, der Wahrnehmung von Suchtpotenzialen und in vielen anderen Bezügen.
Insbesondere die erwerbstätige Bevölkerungsgruppe, die bis in die Mitte des 21. Jahrhunderts die Arbeitswelt prägen wird, wären demnach mehrheitlich als „Digital Immigrants“ 96zu bestimmen: Sie eignen sich erst im Laufe ihrer Ausbildungsbiographie oder ihres Berufslebens die unterschiedlichen Fähigkeiten zur Nutzung und Gestaltung digitaler Medien an – um die fehlende Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihnen zu ersetzen. 97
Parallel zeichnet sich ab, wie sehr die Eigenarten der „Digital Natives“ zunehmend die verschiedenen Gesellschaftsbereiche bestimmen werden. Dies gilt etwa für die Arbeitswelt, die aufgrund der technischen Entwicklung massive Verdichtungen erfährt (z. B. ermöglichen bildgestützte Telefonkonferenzen via Skype eine große Effektivitätssteigerung der beteiligten Arbeitnehmer_innen). In wirtschaftlichen Prozessen, wie sie mit der gesellschaftlichen Etablierung des Online-Banking, mit Internetportalen für den Online-Handel wie Amazon oder eBay mit Beginn des 21. Jahrhunderts auch breite Bevölkerungsschichten erreicht haben, ist zu beobachten, dass mit den digitalen Medien auch das Konsumverhalten von Verbraucher_innen massiven Wandlungsprozessen unterliegt. Hier wird sichtbar, dass digitale Medien kein separater Bereich privater Lebensvollzüge, sondern ein alle Gesellschaftsbereiche durchziehendes Kontinuum darstellen. Längst ist die klassische Unterscheidung von virtueller 98und realer Welt in dieser Entwicklung obsolet geworden. 99Einerseits dürften sich damit auch Typologien wie „Digital Natives“ und „Digital Immigrants“ nivellieren und einebnen. Inwiefern es sich hierbei um eine unzulässige Komplexitätsreduktion handelt, ist Gegenstand anhaltender Diskussionen. Andererseits fällt auf, dass es insbesondere in der Soziologie mit einer systemtheoretischen Prägung kaum möglich ist, in der Digitalität überhaupt ein alle Gesellschaftsbereiche (und damit alle Systeme) bestimmendes Phänomen und Charakteristikum der Postmoderne auszumachen. 100
2.3. Kirchliches Medien-Engagement
Kirchliche Medienarbeit ist mehr als das Marketing einer Organisation, 101die wie alle gesellschaftlichen Institutionen von Bekanntheit leben, um Mitglieder und Anhänger zu gewinnen und an sich zu binden. Kirchliche Medienarbeit als eine Ausformung kirchlicher Verkündigung gehört zum Selbstverständnis christlicher Nachfolge schlechthin. Neben dieser Einordnung der Medienarbeit in den Kontext der Verkündigung des Glaubens an die Reich-Gottes-Botschaft Jesu kommt es aber seit der Mitte des 20. Jahrhunderts und der gesellschaftlichen Verbreitung von bildgebenden Medien (zunächst vor allem des Fernsehens) zu einer beachtlichen Mediatisierung der katholischen Kirche, für die in besonderer Weise das Pontifikat Papst Johannes Pauls II. und die Einrichtung von Weltjugendtagen als herausragendes, internationales Medienereignis angesehen werden können.
Читать дальше