Yvonne Kroonenberg - Der Familien-Blues

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Haben Sie einen Onkel, der ständig dieselben Witze macht? Ist Ihre Schwester auch immer eifersüchtig auf Sie?
Und mischt sich Ihre Mutter überall ein?
In Der Familien-Blues untersucht Yvonne Kroonenberg, wie wir mit Angehörigen und Verwandten umgehen. Warum hängen wir so an ihnen? Und warum ärgern wir uns so über sie?

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Yvonne Kroonenberg

Der Familien-Blues

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Spaß am Lesen Verlag

www.spassamlesenverlag.de

Der Familien-Blues ist ein Buch in Einfacher Sprache und beruht auf einem bearbeiteten niederländischen Text. Das Original Familieblues erschien 2011 bei Uitgeverij Contact.

Text Originalfassung: Yvonne Kroonenberg

Bearbeitung: Jérôme Jacquot, Yvonne Kroonenberg

Übersetzung: Bettina Stoll

Cover-Design: Jurian Wiese

Umschlagmotiv: Shutterstock, Familienfoto aus der Privatsammlung von Yvonne Kroonenberg (die Verfasserin ist nicht abgebildet)

Satz und Gestaltung: Nicolet Oost Lievense

© 2013 | Spaß am Lesen Verlag, Münster

Alle Rechte vorbehalten. Nichts aus dieser Ausgabe darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Herausgebers vervielfältigt, in einem automatisierten Datenbestand gespeichert oder veröffentlicht werden, in irgendeiner elektronischen oder mechanischen Form oder in Form von Fotokopien, Aufnahmen oder auf irgendeine andere Art und Weise.

ISBN 978-3-944668-23-9

Schwierige Wörter oder Ausdrücke sind unterstrichen. Die Erklärungen stehen in der Wörterliste am Ende des Buches.

Inhalt

Der Familien-Blues

Mütter

Väter

Töchter und Söhne

Schwiegermütter

Schwiegertöchter

Schwiegersöhne

Schwestern

Brüder

Großmütter

Großväter

Onkel

Tanten

Kranke

Familienkrach

Wörterliste

Der Familien-Blues

Bis 15 nannte ich meine Eltern Papa und Mama.

Danach nicht mehr.

Von da an sagte ich zu meinem Vater „Herr Lehrer“.

So nannten ihn alle Schüler.

Er war Englischlehrer an meiner Schule.

Sechs Jahre war ich in seiner Klasse.

Ich sagte „Herr Lehrer“, damit ich nicht „Papa“ sagen musste.

Zu Hause nannte ich ihn auch so.

Meine Mutter nannte ich damals „Ma“.

„Hallo Ma!“, rief ich am Telefon.

„Hallo Kind!“, antwortete sie dann.

Ich mochte sie.

Aber nicht allzu sehr.

Ihr gefielen meine Freundinnen nicht.

Und die Jungs, in die ich mich verliebte, auch nicht.

Erst seit einigen Jahren entdecke ich Gemeinsamkeiten.

Vor allem, was das Aussehen angeht.

In dem Haus, in dem ich wohne, hängt ein Spiegel im Aufzug.

Manchmal erschrecke ich vor meinem Spiegelbild.

Ich sehe aus wie Christa.

So hieß meine Mutter: Christa.

Auch ihre Enkel nannten sie immer Christa.

Sie durften nicht „Oma“ zu ihr sagen.

Auf keinen Fall!

Meine Mutter hasste das Wort Oma.

Warum?

Wegen ihrer Schwiegermutter.

Die wollte immer, dass man sie „Oma“ nennt.

Meine Mutter mochte ihre Schwiegermutter nicht.

Deshalb wollte sie keine Oma sein.

Meine Schwestern und ich haben keine Kinder.

Dafür hat mein Bruder welche.

Es sind süße Kinder.

Aber meine Mutter fand meinen Hund netter.

Ich gleiche vor allem meinem Vater.

Er starb, als er 62 Jahre alt war.

Nach seinem Tod telefonierte ich täglich mit meiner Mutter.

Ich hatte Angst, dass sie sonst einsam wird.

Sie selbst rief nie jemanden an.

Freundinnen hatte sie nicht mehr.

Zu den Nachbarn hatte sie auch keinen Kontakt.

Ihre eigenen Verwandten waren tot.

Genau wie die Freundinnen von früher.

Sie sind alle im Krieg umgekommen.

Manchmal besuchte ich meine Mutter.

Und nach ein paar Stunden ging ich wieder weg.

Dann fühlte ich mich schuldig.

Weil es mir nicht gelang, sie aufzumuntern.

Es ist der Familien-Blues .

Dieses Gefühl kennen Sie sicher.

Man hat Eltern, Brüder und Schwestern.

Und man fühlt sich mit ihnen verbunden.

Für immer.

Egal, was man für sie empfindet.

Egal, wie man über sie denkt.

Freundschaften kann man beenden.

Eine Blutsverwandtschaft nicht.

Ich war neugierig, was andere über ihre Familie berichten.

Darum bat ich sie, mir ihre Geschichte zu erzählen.

Jeder konnte mich anrufen oder mir eine E-Mail schicken.

Ich bekam zahlreiche Antworten.

Manchmal hörte ich fröhliche Familiengeschichten.

Doch viele haben schlechte Erinnerungen.

Oder traurige.

Vor allem, wenn die Eltern krank werden.

Dann müssen die Kinder wichtige Entscheidungen treffen.

Oft haben sich die Geschwister lange nicht mehr gesehen.

Aber es ist genauso wie früher.

Der ältere Bruder, der alles bestimmen will.

Die eine Schwester, die nichts unternimmt.

Und die andere Schwester klagt, dass sie alles machen muss.

Ich nenne dieses Gefühl den Familien-Blues.

Es macht einen traurig und niedergeschlagen.

Auch wenn man eine gute Beziehung zu seiner Familie hat.

Auch wenn man sie liebt.

Auch wenn man geliebt wird.

Aber man sieht sich so selten.

Man sollte sich öfter besuchen.

Aber immer kommt etwas dazwischen …

Mütter

Wenn man eine Mutter fragt, wie es ihr geht, sagt sie:

„Gut! Mein Sohn macht gerade das Abitur.“

Oder sie antwortet:

„Gut! Meine Tochter hat einen neuen Freund.“

„Und du?“, fragt man dann weiter.

„Wie geht es dir denn?“

Aber darauf haben Mütter oft keine Antwort.

Denn es gibt kein „ich“.

Es gibt nur „Mama“.

Mama, wo sind meine Turnschuhe?

Mama, warum ist keine Milch mehr im Kühlschrank?

Mütter sind nie gut genug.

Das sagen sie selbst auch.

Auch wenn sie sich viel Mühe geben.

Ich hörte auch von Müttern, die sich keine Mühe geben.

Mütter, die den ganzen Tag jammern.

Mütter, die nie etwas Nettes sagen.

Eine Frau hatte so eine Mutter.

Diese Mutter sagte zu ihrer Tochter:

„Du bist zu dick. Und du trägst hässliche Kleider.“

Eine andere Frau hatte als 17-Jährige einen Freund.

Der Freund wurde krank und starb.

Das Mädchen weinte die ganze Zeit.

Doch die Mutter hatte dafür kein Verständnis.

„Du findest wieder einen anderen“, sagte sie.

Manchmal scheint eine Mutter nett zu sein.

Aber in Wirklichkeit ist sie es gar nicht.

Ein Mann erzählte mir die folgende Geschichte:

Seine Mutter schmiert Brote für ihn, wenn er sie besucht.

Das macht sie immer.

Sie gibt ihm die Brote mit, für den Heimweg.

Der Mann ist 38 Jahre alt.

Er wohnt 20 Kilometer weit weg.

„Das ist manchmal ein Problem“, berichtete der Mann. „Wir waren einmal auf einer Beerdigung.

Gegen Ende wollte ich gehen.

Meine Mutter hielt mich zurück.

Sie wollte mir erst meine Butterbrote geben.

Die Brote lagen im Auto.

Doch die Autotür war abgeschlossen.

Mein Vater hatte den Schlüssel.

Und er unterhielt sich gerade mit jemand.“

„Du konntest also nicht weg“, sagte ich.

„Nein“, antwortete er.

So eine Mutter ist nicht lieb. Sie ist ein Diktator: jemand, der immer der Boss sein will.

Eine gute Mutter hingegen lässt ihre Kinder frei.

Und sie hilft ihnen.

Aber ab und zu lässt sie sie auch in Ruhe.

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