„H×fer heilt!“, verkündete denn auch die Echopresse und lobte einmal mehr die staatstragende Souveränität ihres Prassidenten. Die dieser auch parteiintern bereits unter Beweis gestellt hatte, indem er innerer Zerrissenheit der Einbläulinge von Anfang an einen Riegel vorschob: Er schuf einen neuen Wallfahrtsort, St. Rache, und würdigte damit die Bedeutung des zweiten Mannes im Staat, Bundesabkanzler Hetz-Christian Rache. Der war zwar durch den prassidialen Machtzuwachs zu einer gemeinverwahrenden Symbolfigur, vulgo Prassionette, geworden, durfte sich dafür aber als graue Eminenz hinter dem Aufstieg des No-bert H×fer im nach ihm benannten Wallfahrtsort jederzeit in den Huldigungen der Pilgerscharen sonnen.
Die kat-hohle Kirche hatte sich schon Jahrzehnte zuvor, in der wirklich guten alten Zeit, nicht erkennbar gegen die Vereinnahmung durch die damaligen Machthaber zur Wehr gesetzt. Mittlerweile war ihr allgemeiner Einfluss geschrumpft; der offene Bruch des Prassidenten mit der zahlenmäßig noch immer größten religiösen Gruppe Bösterreichs machte aus dem leckenden Schiff eine Titanic, aus dem Mitgliederschwund einen Sturzbach der Ent-kat-hohlisierung. Kurz gesagt: Die einst so mächtige Kirche war in keiner Position, den Einbläulingen ernsthaft etwas entgegensetzen zu können, selbst wenn sie das gewollt hätte. So wurde Rache in nie dagewesenem Eiltempo heiliggesprochen – noch dazu zu Lebzeiten.
Trotz dieses ungeheuerlichen Bruchs mit den Traditionen erfuhr der Rache-Kult einen Aufschwung sondergleichen. „Auf Rache schwören“ gehörte bald zum festen Stammtischvokabular in den Gauen Bösterreichs, und parallel zum Staatsgruß „H×fer heilt!“ wurde auch „Rache heilt!“ zum geflügelten Wort. „Unser Bundesno-bert“, wie der Prassident gerne liebevoll genannt wurde, musste sich deshalb aber keine Sorgen machen, sein Bundesabkanzler würde ihm womöglich wieder den Rang ablaufen. Der gewiefte Taktierer und Stratege wurde von den Entwicklungen keinesfalls überrascht: Alles verlief entsprechend seinem Plan.
Rache selbst war aus dem Machtspiel genommen, genoss zugleich aber buchstäblich die Verehrung eines Heiligen, was seinem Ego, ganz wie H×fer es vorausgesehen hatte, noch mehr schmeichelte, ja gewaltig zu Kopf stieg – sein Heiligenbildnis zeigt ihn mit blitzsprühenden Augen, nacktem, muskulösem Oberkörper und schmerzhaft weißen Zähnen; die Hände ruhen auf den Schädeln von einem Mann und einer Frau, die links und rechts von ihm demütig seine Einbläuungen entgegennehmen, sein mächtiges Haupthaar wird von einem Kokablattkranz gekrönt. Auch wegen derlei Götzenhaftigkeit rieb die kat-hohle Kirche sich weiter auf – Traditionalisten konnten ihr Entsetzen über die Heiligsprechung eines lebenden Menschen nicht überwinden, schrieben die Kirchensatzungen doch eindeutig vor, dass Heilige verehrt werden müssen. Was nun darauf hinauslief, dass neben der Dreifaltigkeit eine Art lebender Halbgott entstand, dessen direkter Draht zu Gott kirchenseits hochoffiziell bestätigt worden war; theologisch gesehen eine Kontinentalverschiebung, mit der insbesondere die bisherige Kirchenelite weder mitwollte noch mitkonnte. Eine weitere Spaltung der ganz und gar nicht mehr „universalen“ Religionsgemeinheit schien bald nur noch eine Frage der Zeit. Viele jener Anhänger, denen derlei kirchenphilosophische Gedankengänge am Allerwertesten vorbeigingen, strömten derweil dem Rache-Kult zu und verwandelten in genauer Befolgung der kat-hohlen Heiligenverehrungsvorschriften ihre Kirche in eine guruhörige Sekte zurück. Die große Masse tat, was sie schon die Jahrzehnte zuvor getan hatte, wenn auch nunmehr lawinenartig: Sie trat aus.
Aus H×fers Sicht ein Erfolg auf allen Linien: Rache „zu Tode befördert“, wie er es gerne für sich allein ausdrückte, die Kat-hohlen auf den kürzesten Weg zu ihrer eigenen Vernichtung gebracht und dabei selbst als Teil der Religions-Protestgruppe frei von jeder Verantwortung. Die Einbläulingen-Partei war zu einem Kult geworden, H×fer zu dessen Hohepriester. Endlich konnten die bisher von den politischen, rassischen, ideologischen, völkischen, fremdsprachlichen, ausländischen, inländischen, intellektuellen, religiösen und sonstigen Feinden als Behauptungen, Propaganda oder gar glatte Lügen verunglimpften eingebläuten Wahrheiten im unverfälschten Glanz unbedingter Wahrhaftigkeit erstrahlen. Egal was Rache von sich gab, ob er der Demokratie an sich die Daseinsberechtigung absprach, nach einem starken Führer schrie, die Schuld an allen Missständen je nach Stimmungslage den Asylanten, Islamisten, Flüchtlingen, Muslimen, Burka-Trägerinnen, Linkslinken, Migranten, Sozialschmarotzern oder Vaterlandsverrätern zuschob, den baldigen Bürgerkrieg heraufbeschwor, den Untergang des Abendlandes prophezeite – alles wurde von den Eingebläuten aufgesogen, als gelte es die Milch des Herrn zu trinken. Noch wichtiger: Es wurde nicht hinterfragt, nach Fakten geprüft oder zur Diskussion gestellt, es wurde geglaubt. H×fer stellte hinter den Kulissen sicher, dass Rache sich dabei – Ehre! Treue! – an seinen Plan hielt und nichts verkündete, das diesem zuwiderlief, also seine, H×fers, Stellung untergrub. Das funktionierte weitestgehend reibungslos, da der Bundesabkanzler seine symbolische Position in vollen Zügen genoss: Sie entband ihn der Mühen des gemeinverwahrenden Tagesgeschäfts und verhalf ihm zu gottähnlicher Verehrung. Welches Interesse sollte er daran haben, zu den Grabenkämpfen der Gewöhnlichen zurückzukehren? Und in den seltenen Fällen, in denen doch einmal der alte Hetz-Christian zum Vorschein kam, andere niedermachend zur eigenen Erhebung anstatt zum Wohle der großen Gemeinheit der Einbläulinge, mit Sätzen um sich schlagend im unablässigen Kampf um die Spitze, setzte H×fer sein huldvollstes Lächeln auf und erklärte den andächtig Lauschenden, wie im ersten Moment befremdlich Wirkendes tatsächlich zu verstehen waren. Als Hohepriester der großen Gemeinheit hatte er die Deutungshoheit, sein Wort war nicht bloß Gesetz; es aufzunehmen, anzunehmen, zu verinnerlichen war gelebter Glaube.
Ja, No-bert H×fer war am Ziel. Und lächelte.
© 2016
Schöne neue Gesundheitswelt
„Guten Morgen, Bürg (21) (21) Die radikal geschlechtsneutrale Anrede verdankten wir dem Höhepunkt der Political-Correctness-Ära in den 20er-Jahren. Immerhin musste sich seither niemand mehr mit dem nervigen Binnen-I herumärgern. (22) Über die Frage, ob zuerst das männliche „O“ oder das weibliche „A“ in den geschlechtsneutralen Endungen zu stehen habe, wurde per Volksabstimmung entschieden. Erschienen in der Zeitschrift „Wege“, Frühjahr 2012
Santler! Sie sind heute um 7:32 aufgestanden (übernorm). Ihre momentanen Werte: Blutdruck 135 zu 80 (norm), BMI 29 (übernorm), Puls vor Beginn des Normtrainings 60, Höchstwert 160, Regenerationswert 98 (norm). Blutzucker unauffällig. Empfohlene Frühstücks-Kalorienmenge: 120.“
Ich gab die Zahl in die Kücheneinheits-Konsole ein, die wenig später eine Tasse Tee (lactosefreie Leichtmilch, Zuckerersatz), zwei Scheiben Normknäck und einen exakt bemessenen Strang ProMorning ®produzierte. Die kackbraune Masse, ein ernährungswissenschaftlich optimierter Cocktail aus Eiweiß, Mineralstoffen, Spurenelementen, Vitaminen und ein paar Füllstoffen – „Alles, was Bürg braucht. Garantiert normiert.“ – erinnerte mich an eine schleimige Nacktschnecke, wie sie da aus dem Extruder quoll. Manche behaupteten, das Protein darin stamme tatsächlich von Nacktschnecken. Auch ohne diese Information konnte ich das Zeug kein bisschen leiden. Ich trank den Tee, klatschte das ProMorning ®aufs Normknäck und spülte beides anschließend im Klo hinunter. Die Menge wurde natürlich registriert, aber die chemische Analyse schafften nur die moderneren Toiletteneinheiten in den Horm ®-Häusern der Innenstadt. Außerdem unterschied sich das Normfrühstück analytisch ohnehin nicht von Scheiße … ja, okay, es unterschied sich meiner Meinung nach nicht von Scheiße.
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