Bei Kanalreduktion und Filtertheorie handelt es sich aber auch um die Gründe, die in den 1990er Jahren zum Einsatz von besonders synchroner computervermittelter Kommunikation in den Fremdsprachenunterricht führte: Da Sprachenlernende nur in den seltensten Fällen einen PC besaßen, wurde synchrone computervermittele Kommunikation (SCMC) in Form von didaktisierten Chats in den Face-to-Face-Unterricht integriert. So kann nachgewiesen werden, dass SCMC für eine gleichberechtigtere Teilnahme aller Lernenden sorgen kann: Studierende, die in Face-to-Face-Diskussionen eine zurückhaltendere Rolle einnehmen, nehmen verschiedenen Studien zufolge (vgl. z.B. Beauvois 1992, Bump 1990) häufiger an Online-Diskussionen teil, wobei die gesteigerte Teilnahme der Tatsache zugeschrieben wird, dass Aspekte wie z.B. Geschlecht, Klasse und Akzent in den textbasierten Umgebungen der Online-Kommunikation nicht zu erkennen sind (vgl. auch O’Dowd 2007, 2). Beauvois und Eledge können bestätigen, dass zurückhaltende Studierende von dem Einsatz von SCMC profitieren: Sie beziehen das Verhalten während Online- und Face-to-Face-Diskussionen auf Persönlichkeitstypen von Myers-Briggs4 und zeigen so, dass introvertierte Typen aktiver an den Online-Diskussionen teilnahmen als an Face-to-Face-Diskussionen (vgl. Beauvois/Eledge 1994, 35).5
Lerntheoretischer Hintergrund
Interaktionistisch-kognitivistische und interaktionistisch-soziokulturelle Fremdsprachenerwerbstheorien bilden die Basis für den Einsatz computervermittelter Kommunikation im Fremdsprachenunterricht (vgl. z.B. Lamy/Hampel 2007, 19–30, Warschauer 1997, 470–472, Brandl 2012, 2–4), wobei beide Theorien auch, in Abwandlungen, für Lernprozesse im Allgemeinen gelten (vgl. Nückles/Wittwer 2014, 231–235). In letzter Zeit kann zudem von einer Koexistenz beider Perspektiven gesprochen werden (vgl. ebd., 231, Aguado 2010, 822).
Interaktionistisch-kognitivistische Ansätze basieren zunächst auf Krashens Input-Hypothese (1982, 1985), nach der ein sprachlicher Input, der nur minimal über dem Kenntnisstand des Lernenden liegt, für den erfolgreichen Fremdsprachenerwerb ausreicht. Ausgehend von Krashens Input-Hyothese fokussiert Long (1983) in der Interaktions-Hypothese die Interaktion mit L1-Sprechern und fortgeschritteneren Lernern, da diese den Lernenden helfe, Bedeutung auszuhandeln, indem verschiedene Strategien wie z.B. Vereinfachung, Nachfragen etc. angewendet werden und der Input so besser angepasst und aufgenommen werden kann. Ergänzt wurden diese interaktionistisch-kognitivistischen Ansätze durch Swains Output-Hypothese (1985), die besagt, dass zudem das Produzieren von verständlichem sprachlichem Output für das Fremdsprachenlernen sehr wichtig sei, da dieser dazu führe, dass Sprache vom Lernenden bedeutungsvoll angewendet werde und er/sie potenziell gleichzeitig Fehler und Lücken bemerke, was für das Lernen relevant sei. Computervermittelte Kommunikation bietet den Fremdsprachenlernenden nicht nur verständlichen Input und die Möglichkeit des Produzierens verständlichen Outputs, sondern stellt zugleich eine Plattform dar, auf der sie interagieren können.
Besonders der Einsatz von synchroner computervermittelter Kommunikation geht auf diese lerntheoretischen Annahmen zurück. Didaktisierte Chats werden so als eine ideale Plattform für das Üben von Interaktion betrachtet (vgl. Lamy/Hampel 2007, 115). Als vorteilhaft wird dabei angesehen, dass die Lernenden ihre Beiträge in die Eingabemaske des Chats eingeben, aber dennoch wieder korrigieren können. Zahlreiche Studien bestätigen das Potenzial von synchroner CMC, wie beispielsweise die von Marques-Schäfer, in der dargelegt wird, dass „die DaF-Lernenden im untersuchten Chat-Raum Gelegenheiten erhalten, ihre Kenntnisse der deutschen Sprache in die Praxis umzusetzen, in Echtzeit fremdsprachliche Inputs zu bekommen und Outputs zu produzieren“ (Marques-Schäfer 2013, 298).
Wesentlich wichtiger für asynchrone computervermittelte Kommunikation im Allgemeinen und für die hier untersuchte im Besonderen sind interaktionistisch-soziokulturelle Theorien, die auf die Annahme von Vygotsky (1978) zurückgehen, dass alle höheren psychischen Funktionen soziokulturell vermittelt sind. Mit Block (2003) kann dies als der „social turn“ im Bereich des Fremdsprachenerwerbs bezeichnet werden. Der Fokus rückt hier auf die Bedeutung sozialer Aspekte für das Fremdsprachenlernen (vgl. auch Lantolf/Thorne 2006), wobei alle Arten von Wissen, nicht nur Sprachwissen, soziokulturell vermittelt sind (vgl. Fischer 2002). Im Lernen findet eine Bewegung von Fremdregulation zur Selbstregulation statt, „bei der die soziale, intermentale Entwicklung der individuellen, intramentalen Entwicklung vorangeht“ (Aguado 2010, 820). Lehrende und kompetentere Lernende spielen dabei eine wichtige Rolle, das gemeinsam konstruierte Wissen zu internalisieren. Die Online-Diskussionen haben dahingehend eine zentrale Rolle: Durch die Partizipation an Aktivitäten der kollektiven Konstruktion bzw. Bedeutungsaushandlung und Weiterentwicklung externaler Wissensbestände soll auch das individuell-kognitive Wissen erweitert werden (vgl. Fischer 2002, 124).
Asynchrone computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht
Asynchrone computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht kann in drei verschiedenen Szenarien stattfinden: Sie kann (1) innerhalb einer Lerngruppe erfolgen, dann findet die Kommunikation meistens in Online-Phasen statt. Zudem wird die Interaktion (2) zwischen zwei oder mehr Lerngruppen ermöglicht sowie (3) die sogenannte „class-to-world interaction“1 (Dooly/O’Dowd 2012, 16). Dieses Unterkapitel wird zeigen, dass die zweite Möglichkeit, die sogenannte Telekollaboration, zu den CMC-Szenarien gehört, zu denen derzeit die meiste Forschung stattfindet und die auch aus landeskundlicher Perspektive interessant ist. Forschung zu landeskundlichem Lernen in Diskussionen, die innerhalb einer Lerngruppe stattfinden, ist bislang ein Desiderat, obwohl dieses Szenario populär ist:
Today, in-class online interaction is of course still quite common in FL education. However, this type of activity now generally tends to focus on asynchronous tools such as discussion forums and blogging etc. which are used for reflective discussion in distance education courses or by teachers wishing to promote greater interaction among students of their normal classroom contact hours. (ebd., 17)
Allgemeindidaktische Gründe, die im Folgenden näher beschrieben werden und die dafür sorgen, dass asynchrone Online-Diskussionen auch in anderen Bildungskontexten eingesetzt werden, liegen demnach meistens dem Einsatz des ersten Szenarios zugrunde. Im Folgenden wird zunächst das allgemeindidaktische Potenzials beschrieben, sodann die Gründe für den Einsatz im Fremdsprachenunterricht dargestellt.
Allgemeindidaktisches Potenzial
Das allgemeindidaktische Potenzial asynchroner Online-Diskussionen wird in der Regel auf der Folie von Face-to-Face-Diskussionen formuliert. Graham (2006, 18) beispielsweise vergleicht unter Berücksichtigung von Forschungsergebnissen, welche Stärken und Schwächen Face-to-Face- und asynchrone Online-Diskussionen allgemein haben, die sich in der Verbindung beider Komponenten, d.h. in Blended Learning, ausgleichen können. Face-to-Face-Diskussionen haben die Stärke der sozialen Komponente: „It is easier to bond and develop a social presence in a face-to-face environment. This makes it easier to develop trust“ (ebd., 8). Zudem könne man in Face-to-Face-Diskussionen spontan Ideen und Assoziationen entwickeln. Diese Vorteile spiegeln wiederum die Schwächen von asynchronen Online-Diskussionen, die aufgrund der Kanalreduktion als unpersönlich empfunden werden können und so zu weniger befriedigenden Diskussionen führen (vgl. ebd., 18).
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