Reine Online-Szenarien, in denen Phasen der Kommunikation mit Lehrenden und anderen Lernern vorgesehen sind, funktionieren jedoch nicht ohne zeitliche Vorgaben, wobei die zeitliche Abhängigkeit bei Aufgabenstellungen, die synchron bearbeitet werden, ebenso hoch ist wie bei Präsenzunterricht – hier wirkt sich vielmehr die räumliche Flexibilität aus. Auch asynchrone Diskussionen sind, wie die Analyse der Bearbeitungszeiten in Kapitel 5.3 zeigen wird, stark abhängig von zeitlichen Vorgaben, weil diese z.B. dafür sorgen, dass schon frühzeitig in der Online-Phase Beiträge gepostet werden. Die Loslösung von Zeit und Raum ist daher kaum möglich, höchstens eine Flexibilisierung dieser Parameter (vgl. Launer 2007, 127).
Ein weiteres Beispiel dafür, dass sich bestimmte angeblich typische Eigenschaften von Lernformen bei näherer Betrachtung als problematisch erweisen, ist die Annahme, dass im Präsenzunterricht Lernkontrollmöglichkeiten durch die Lehrenden bestehen und individuelle Beispiele und Übungen gegeben werden können (vgl. Kranz/Lüking 2005, 1). Abgesehen davon, dass dies nicht für große Lernergruppen gilt, verbirgt sich darin der Umkehrschluss, das E-Learning dieses Potenzial nicht im gleichen Ausmaß oder gar nicht besitzt, was nicht zutreffend ist, denn im E-Learning sind Lernkontrollen und die Bereitstellung individueller Übungen ebenso möglich, durch tracking -Software und andere technische Mittel unter Umständen sogar noch auf eine differenziertere Weise. Vielmehr gilt für Online-Phasen, dass seitens der Lehrenden z.B. durch einen Wechsel der Sozialformen nur begrenzt und kaum spontan auf Probleme, Stimmung etc. reagiert werden kann, was vermutlich eine der größten Schwächen von Blended-Learning-Szenarien und reinem E-Learning ist (vgl. dazu auch Kirchhoff 2008, 105).
Aussagen über einen Mehrwert von Blended Learning sind also generell schwer zu treffen, vor allem, wenn sie sich, so wie es bislang dargelegt wurde, auf die Lernform im Allgemeinen beziehen. Der anzunehmende Mehrwert eines Blended-Learning-Szenarios konstituiert sich für den Fremdsprachenunterricht noch einmal anders – und auch dort nicht einheitlich – als z.B. für Fachinhalte vermittelnde Hochschulseminare, was freilich an den verschiedenen Zielen liegt (vgl. Nicolson/Murphy/Southgate 2011, 8), und somit noch einmal anders für den hier untersuchten integrierten Fremdsprachen-Sachfach-Unterricht, in dem sowohl inhaltliches als auch sprachliches Lernen stattfinden soll (vgl. Kapitel 2.3).
Aufgrund der hohen Anzahl an Möglichkeiten, digitale Medien in den Fremdsprachenunterricht zu integrieren, weisen Rösler und Würffel (2010a, 9) außerdem darauf hin, dass keine allgemeingültigen Aussagen darüber getroffen werden können, welche „Methoden, Inhalte, Aufgaben- und/oder Sozialformen etc. besser für Präsenzphasen oder Online-Phasen geeignet sind“ (ebd.), auch wenn Aussagen wie „Selbstlernphasen mit selbstkorrigierenden Übungen machen mehr Sinn in Online-Phasen, da die Präsenzphase eher zum interaktiven Austausch […] genutzt werden sollte“ (ebd.) durchaus einleuchtend sind. Die Abwägung, wie ein Blended-Learning-Szenario konkret ausgestaltet werden soll, hängt nicht nur von dem ab, was vermittelt werden soll, sondern auch von dem Kontext, d.h. z.B. den technischen Vorkenntnissen der Beteiligten, den technischen Voraussetzungen sowie den Lernzielen.
Aufgrund der schnellen Entwicklung der digitalen Medien, die es inzwischen ermöglichen, präsenzähnliche Kontakte auch über Distanz aufzubauen, wird daher in der Forschung vielmehr zwischen asynchronen und synchronen Phasen unterschieden (vgl. Rösler/Würffel 2010a, 9, vgl. Nguyen 2008, 4). Diese Modi besitzen unterschiedliche Potenziale:6 Synchrone Phasen, zu denen neben Voice-Chat und Text-Chat auch Präsenzunterricht gezählt werden kann (vgl. Nicolson/Murphy/Southgate 2011, 14), eignen sich besonders für informelles Tutorieren oder Lerner-Lerner-Interaktion in informellen Arbeitsgruppen (vgl. ebd.), während asynchrone Phasen, weil sie den Lernenden die Möglichkeit geben, intensiver zu reflektieren, für entsprechende Aufgaben als sinnvoll angesehen werden.
Das folgende Unterkapitel widmet sich im Anschluss daran zunächst in aller Kürze Merkmalen asynchroner und synchroner computervermittelter Kommunikation im Allgemeinen, dann dem lerntheoretischen Hintergrund für den Einsatz von computervermittelter Kommunikation und fokussiert daraufhin den Einsatz asynchroner Formen im Fremdsprachenunterricht.
2.1.2 Computervermittelte Kommunikation im Fremdsprachenunterricht
Die Frage, was computervermittelte Kommunikation (CMC) ist, wird je nach zugrundeliegender Perspektive unterschiedlich beantwortet, d.h. beispielsweise technisch differenziert, mit einem Fokus auf CMC als Werkzeug, als Prozess oder interpersonale Interaktion: „In other words, CMC is a generic term that embodies all forms of communication between individuals and among groups via networked computers“ (Nguyen 2008, 2).
Besondere Merkmale von CMC werden häufig auf der Folie von Face-to-Face-Kommunikation beschrieben, so wie es auch in der folgenden kurzen Darstellung geschieht, die auf Nguyen (ebd., 3) beruht und die Vorlage für die weiteren Ausführungen zu CMC im Fremdsprachenunterricht liefert:1
Technische Merkmale : Interpersonale Kommunikation wird durch CMC erleichtert, sie kann zwischen einzelnen oder vielen stattfinden. Die Kommunikation kann synchron, d.h. nahezu zeitgleich, und asynchron, d.h. zeitversetzt, stattfinden. In beiden Fällen ist die Kommunikation insofern ortsunabhängig, als diejenigen, die miteinander kommunizieren, nicht am gleichen Ort sein müssen. Die zeitliche Flexibilisierung wurde bereits in Kapitel 2.1.1 kommentiert, ist aber, generell gesprochen, beim synchronen Modus weniger gegeben als beim asynchronen Modus.2 Während CMC in den Anfangsjahren zunächst ausschließlich textbasiert stattfand, gibt es heute auch audiobasierte Möglichkeiten wie Video- oder Voice-Chat bzw. die Möglichkeit, text- und audiobasierte Kommunikation zu mischen,3 wobei die Beiträge zu einem späteren Zeitpunkt gelesen/gehört werden können. Die Ausführungen in den folgenden Kapiteln beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf textbasierte computervermittelte Kommunikation.
Sprachliche Merkmale : Die sprachlichen Merkmale von CMC unterscheiden sich stark je nach Modus (asynchron oder synchron). Übergreifend lässt sich feststellen, dass die Sprache von CMC sowohl „konzeptionell schriftlich“ als auch „konzeptionell mündlich“ (vgl. Koch/Oesterreicher 1994) sein kann.
Soziale Merkmale : Nguyen (2008, 3) nennt mit Bezug auf verschiedene Studien, die untersuchten, wie Benutzer/-innen CMC empfinden, Unpersönlichkeit („impersonality“) als das hervorstechende Merkmal. Dies kann auf die sogenannte Kanalreduktion zurückgeführt werden:
Bei computervermittelter Kommunikation via getipptem Text sind […] die meisten Sinnesmodalitäten im interpersonalen Zusammenhang ausgeschlossen: Man kann zwar den Computer riechen und die Computertatstatur fühlen, doch diese Sinnesmodalitäten sind nicht auf das kommunikative Gegenüber anzuwenden – dieses ist vornehmlich nur textuell präsent. Die im Vergleich zur Face-to-Face- bzw. Body-to-Body-Situation drastische Kanalreduktion auf der physikalischen Reizebene gehe auf psycho-sozialer Ebene mit einer Verarmung der Kommunikation […] einher. (Döring 2003, 149, Hervorhebung im Original)
Die Unpersönlichkeit computervermittelter Kommunikation kann so zu Missverständnissen führen, da wichtige nonverbale und paraverbale Aspekte wegfallen. Durch das Herausfiltern sogenannter sozialer Hinweisreize wie Gestalt, Kleidung, Geschlecht, Alter, laute Stimme etc. kann sowohl prosoziales als auch antisoziales Verhalten (sogenanntes flaming ) gefördert werden (vgl. ebd., 54f).
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