Sylvi Rennert
Redeflüssigkeit und Dolmetschqualität
Wirkung und Bewertung
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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ISBN 978-3-8233-8281-2 (Print)
ISBN 978-3-8233-0115-8 (ePub)
Wie in vielen anderen Bereichen auch ist das Schlagwort Qualität in der Dolmetschwissenschaft heute allgegenwärtig. Die Frage danach, was Qualität ist und wie man diese beeinflussen und garantieren bzw. womöglich sogar als Norm festhalten kann, beschäftigt diese Disziplin seit Jahrzehnten. Umso mehr verwundert es, dass viele der – oft sehr unterschiedlichen – Definitionen nicht näher darauf eingehen, wie diese Qualität zu messen sei. Trotz aller Heterogenität der Definitionen findet sich jedoch ein Grundsatz in der dolmetschwissenschaftlichen Literatur immer wieder, den bereits die Pioniere des Konferenzdolmetschens und der Dolmetschwissenschaft betonten: die Wichtigkeit des gleichen Inhalts bzw. der gleichen kognitiven Wirkung von Ausgangs- und Zieltext (AT, ZT) auf das Publikum. Diese Forderung, die oft auch als „Verständlichkeit“ der Dolmetschung ausgedrückt wird, findet sich sowohl in theoretischen als auch in praxisorientierten Werken zum Dolmetschen und ist wohl eines der wenigen Prinzipien, mit dem alle übereinstimmen; gleichzeitig wird sie aber selten als Qualitätsdefinition operationalisiert. Es ist zwar nicht möglich, den Verstehensprozess selbst zu beobachten, das kognitive Endergebnis (Verständnis der ZuhörerInnen) kann aber über Hörverständnistests gemessen werden, um so einen Einblick in die kognitive Wirkung bzw. Verständlichkeit als Eigenschaft der Dolmetschung zu erhalten. Hörverständnistests wurden bislang in der Untersuchung lautsprachlicher Dolmetschungen jedoch nur selten eingesetzt.
Die vorliegende Studie soll einen Beitrag zur systematischen Erforschung von Qualitätsparametern in der Dolmetschwissenschaft leisten. Das hierin beschriebene Forschungsvorhaben wurde im Rahmen des vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderten Projekts „Qualität beim Simultandolmetschen (QuaSI)“ unter der Leitung von A.o. Univ.-Prof. Mag. Dr. Franz Pöchhacker am Zentrum für Translationswissenschaft (ZTW) der Universität Wien umgesetzt. QuaSI wurde von 2008 bis 2010 am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien durchgeführt und bestand aus vier Teilprojekten, die sich mit verschiedenen Aspekten der Dolmetschqualität beschäftigten: einer Fragebogenstudie zum Qualitäts- und Rollenverständnis von KonferenzdolmetscherInnen (Zwischenberger 2013) sowie drei Experimenten, in denen die Verständlichkeit von Dolmetschen vs. Englisch als Lingua Franca (Reithofer 2014), der Einfluss von Intonation auf die kognitive Wirkung einer Dolmetschung (Holub 2010) sowie der Einfluss von Redeflüssigkeit auf die kognitive Wirkung (Rennert 2010, 2013, vorliegende Arbeit) untersucht wurden.
Qualität als gleiche kognitive Wirkung, gemessen mittels Hörverständnistests, ist der zentrale Ansatz, der der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegt; gleichzeitig wird aber auch die beim Dolmetschen – wie bei anderen Dienstleistungen – so wichtige subjektive KundInnenperspektive nicht vernachlässigt. Diese beiden Perspektiven werden hier verbunden, indem untersucht wird, ob Redeflüssigkeit einen Einfluss auf die kognitive Wirkung einer Dolmetschung einerseits und die subjektive Wahrnehmung der Dolmetschqualität durch die Zuhörer andererseits hat. Dieser im Zuge des QuaSI-Projekts entwickelte Forschungsansatz liegt auch den anderen QuaSI-Experimenten (Holub 2010, Reithofer 2014) zu Grunde.
In der vorliegenden Arbeit wird ein detailliertes Bild der Qualität aus NutzerInnensicht und der Qualität aus DolmetscherInnensicht gezeichnet. Daraus ergibt sich einerseits das obengenannte Verständnis von Qualität als gleicher kognitiver Wirkung, die sowohl von NutzerInnen als auch DolmetscherInnen und DolmetschwissenschaftlerInnen gefordert wird, und andererseits die subjektive Wahrnehmung der Dolmetschqualität durch die KundInnen, die individuell variiert. Die Auswirkungen von Redeflüssigkeit sowohl auf die mittels Hörverständnistest gemessene kognitive Wirkung als auch die subjektive Bewertung der Dolmetschung durch das Publikum werden empirisch untersucht.
Dazu werden in Kapitel 2 zunächst die für die Arbeit zentralen Begriffe definiert: In 2.1 werden verschiedene Qualitätsbegriffe und -perspektiven besprochen und Qualität als Wirkungsäquivalenz definiert. In Abschnitt 2.2 wird nach einem Überblick über verschiedene Definitionen von Redeflüssigkeit diese als Funktion temporaler Variablen bestimmt und die konstituierenden Variablen werden im Detail beschrieben.
Aufbauend darauf bietet Kapitel 3 einen Überblick über den Forschungsstand zur Redeflüssigkeit in der Dolmetschwissenschaft. Dabei wird ein Bogen von Untersuchungen und Experimenten, die sich mit der Verteilung von Flüssigkeitsmerkmalen in AT und ZT befassen, über Erhebungen von Qualitätserwartungen und Beurteilungsexperimente bis hin zur Erforschung der kognitiven Wirkung gespannt. Die in Kapitel 2 angesprochenen Unterschiede zwischen Qualitätserwartungen und Beurteilungen einerseits und Unterschiede in den Erwartungen und Beurteilungen verschiedener Zielgruppen andererseits werden hier anhand von Forschungsergebnissen illustriert und die verwendeten Forschungsmethoden werden kritisch beleuchtet.
Diese Methodendiskussion bildet die Grundlage für den empirischen Teil, der ab Kapitel 4 im Detail beschrieben wird. Im Anschluss an die Forschungsfragen in Abschnitt 4.1 wird in Abschnitt 4.2 das im Rahmen des QuaSI-Projekts entwickelte Forschungsdesign beschrieben. Beim Design wurde Wert darauf gelegt, so viele Faktoren wie möglich zu kontrollieren, gleichzeitig aber den Eindruck einer echten Dolmetschung zu erwecken. Daher wurde eine realistische Dolmetschsituation simuliert, indem am Versuchsort zwei mobile Dolmetschkabinen aufgestellt wurden und die ProbandInnen wie bei einer realen Simultandolmetschung Kopfhörer bekamen. Über diese wurden zwei verschiedene im Vorfeld manipulierte Versuchstexte eingespielt, was den ProbandInnen aber nicht bewusst war, da in jeder der Kabinen eine Dolmetscherin saß, die eine der Versionen nachsprach. Danach wurden die ProbandInnen gebeten, einen Fragebogen auszufüllen, der aus einem Hörverständnistest, einigen subjektiven Bewertungsfragen sowie Fragen zur Erfassung von Hintergrundvariablen bestand. Die Wahl der Versuchspersonen und deren Randomisierung wird in Abschnitt 4.3 beschrieben, die Wahl des Ausgangstextes für den Versuch in Abschnitt 4.4. Um das oben erwähnte Versuchsmaterial zu erhalten, wurde eigens für dieses Projekt eine Methode zur apparativen Manipulation von Redeflüssigkeit entwickelt, die es ermöglicht, zwei bis auf die Redeflüssigkeit identische Versionen einer Dolmetschung zu erzeugen. Diese Methode und die Veränderungen, die beim Erstellen des Versuchsmaterials vorgenommen wurden, werden in Abschnitt 4.5 ausführlich beschrieben. Der Fragebogen und dessen Erstellung werden in Abschnitt 4.6 besprochen. Abschnitt 4.7 schließlich beschreibt das Setting und den Ablauf des Versuchs.
Die Ergebnisse des Versuchs werden in Kapitel 5 vorgestellt. Nach einer detaillierten Beschreibung der Versuchspersonen in Abschnitt 5.1 werden in Abschnitt 5.2 die Ergebnisse des Hörverständnistests beschrieben. Diese Ergebnisse werden anhand verschiedener unabhängiger Variablen analysiert, um festzustellen, ob der Grad der Redeflüssigkeit oder andere Faktoren einen Einfluss auf die kognitive Wirkung des Versuchsmaterials hatten. In 5.3 werden die Ergebnisse der subjektiven Beurteilungen im Detail ausgewertet und den Ergebnissen des Hörverständnistests gegenübergestellt. So kann festgestellt werden, ob ein Zusammenhang zwischen den Ergebnissen des Hörverständnistests und der Einschätzung der Flüssigkeit und Intonation des Versuchsmaterials, der subjektiven Bewertung der Leistung der Dolmetscherin bzw. der Einschätzung des eigenen Verständnisses besteht.
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