Sylvi S.
Eine Hochzeit und zwei Bräute
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Inhaltsverzeichnis
Titel Sylvi S. Eine Hochzeit und zwei Bräute Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5
Teil 6
Teil 7
Teil 8
Teil 9
Teil 10
Impressum neobooks
Es war ein typischer Samstagvormittag. Nun gut, ganz so ruhig wie üblich, verlief er dann doch nicht. Daran erinnerte Susann ihr Puls, der sich nur langsam beruhigte. Auch das aufgeregte Organ in ihrer Brust nahm nur widerwillig seinen gewohnten Rhythmus an. Der Schreck hatte bei ihr tatsächlich mehr Spuren hinterlassen als eine fette Spinne an der Wand.
Der halbhysterische Anruf ihrer besten Freundin Nadine, sich SOFORT den Anzeigenteil des “Dorfjournals” zu besorgen und ihn genau zu inspizieren, hatte ihr nicht nur zitternde Hände, sondern beinahe auch einen Herzinfarkt beschert und somit ihren gewohnt entspannten Tagesrhythmus gehörig durcheinandergewirbelt.
Es war kein Problem gewesen, selbst dieses Käseblatt in Berlin aufzutreiben. Im Kiosk um die Ecke gab es nichts, was es nicht gab. Man konnte bei Dimitri sogar eine Zeitung aus Humbuktu-West bestellen und würde sie spätestens am nächsten Tag geliefert bekommen. Das Geheimnis, wie dies möglich war, verriet der windige Geschäftsmann freilich nicht.
Auf dem Nachhauseweg hatte Susann ihren dünnen Lesestoff bereits hastig durchgeblättert, ohne etwas Besonderes zu entdecken. Nun saß sie an dem kleinen Küchentisch ihres Ein-Zimmer-Apartments und durchforstete die Todesanzeigen. So aufgewühlt, wie Nadine geklungen hatte, konnte es sich nur um eine tragische Nachricht handeln.
Aber so sehr sie ihre Augen auch anstrengte, ihr fiel kein Name auf, weder der eines Freundes noch der eines Familienmitgliedes oder gar des geliebten Mannes. Dabei hatten sich in den letzten Wochen erstaunlich viele Menschen in ihrem Heimatdorf für immer verabschiedet. Aber die “Hochsaison” war an ihrem Bekanntenkreis zum Glück vorbeigegangen. Doch wenn es nicht die Todesanzeigen waren, was war es dann?
Susann riskierte einen Blick in die Stelleninserate. Seitdem sich ihr Freund mit seiner Firma für Webentwicklung selbstständig gemacht hatte, war er ständig auf der Suche nach professioneller Unterstützung. Aber warum sollte diese Tatsache Nadine so aus der Fassung bringen? Es sei denn, Mark hätte öffentlich eine halbnackte Mitarbeiterin für den Kundenempfang gesucht.
Okay, das hätte ihre beste Freundin normalerweise auch nicht in einen Schockzustand versetzt. Da hatte sich Mark mit seinen seltsamen Ideen und unkonventionellen Methoden, Erfolg zu haben, bereits weitaus Schlimmeres geleistet. Um Nadine aus der Ruhe zu bringen, hätte er schon ein Pferd hinter den Empfangstresen stellen müssen.
Der Gedanke verleitete Susann dazu, gleich mal im “Tiermarkt” nachzuschauen. Aber auch in Verbindung mit den Vierbeinern tauchte kein bekannter Name auf. Da blieben eigentlich nur noch die Rubriken “Dies und das” sowie “Einsames Herz sucht”. Letzteres konnte sie getrost vergessen. Mark würde wohl kaum eine Heiratsannonce aufgeben.
Über diese Vorstellung musste sich die Blondine köstlich amüsieren. Ihr Freund hatte schon immer eine Abneigung gegen den „Bund des Lebens“ gehabt. Obwohl sie es gerne gewollt hatte, hatte sie es zunächst nicht geschafft, ihn auch nur am Rathaus vorbeigehen zu lassen. Und als sie ihn dann doch soweit hatte, hatte sie selbst kalte Füße bekommen und einen Rückzieher gemacht. Daraufhin war er zu der Erkenntnis gekommen, dass es ein Wink des Schicksals war, dem Standesamt für immer fernzubleiben. Die Vorstellung, dass er es sich jetzt anders überlegt hatte, war einfach nur zum Lachen. Doch dieses Lachen blieb ihr kurz darauf im Halse stecken. Genau zwischen “Dies und Das” und dem “Einsamen Herzen” entdeckte sie sie: Die Anzeige, in der Mark vorkam. Und leider nicht nur der.
Neben dem vertrauten Namen und einem kleinen Bild befanden sich ein fremder Name und das Foto eines unbekannten Gesichts. Das Herz, das um Beide geschlungen war, störte den Gesamteindruck gewaltig.
Die Herzrhythmusstörungen meldeten sich voller Wucht zurück, als sie schließlich den Text darunter las:
“Ihre bevorstehende Hochzeit am 21. September geben bekannt: Mark Grunert und Angie Marie Klosterfrau.”
Wer zum Teufel war diese Schnepfe mit dem bescheuerten Namen? Und warum wagte sie es, IHREN Mark heiraten zu wollen? Wie konnte ihr Freund ihr das überhaupt antun?
Susann knallte mit Schwung die Zeitung zu. Da hatte sie auch noch ein Wörtchen mitzureden. Aber ein Gewaltiges! Gut, Mark und sie hatten sich seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen, obwohl sie sich geschworen hatten, dass sie eine Fernbeziehung lockern meistern würden. Es sollte ihnen nicht zum Verhängnis werden, dass sie ihrer Karriere wegen nach Berlin gezogen war. Hier, in der weltoffenen Stadt, würde sie es einfacher haben, sich als Künstlerin zu etablieren und groß rauszukommen. In ihrem verschlafenen Heimatkaff wäre sie dagegen beruflich keinen Schritt weitergekommen.
Mark hatte ihren Lebenstraum unterstützt und versprochen, immer zu ihr zu halten. Und doch war es passiert: Ihr Kontakt war irgendwann eingeschlafen. Dennoch hatten sie nie ausdrücklich ihre Beziehung beendet. Susann war immer noch der Meinung, dass sie zusammen waren, sich nur ein wenig mehr Freiraum und Selbstverwirklichung gegönnt hatten. Offenbar hatte Mark diese Gelegenheit gleich genutzt, um sich eine andere an Land zu ziehen und eine Dummheit zu begehen. Dieser Mistkerl!
Es wurde Zeit, ein paar Dinge klarzustellen und Mister Grunert darüber aufzuklären, dass SIE immer noch die Frau an seiner Seite war! Was auch immer in der Zwischenzeit geschehen war, es konnte nicht mit rechten Dingen zugegangen sein! Aber sie würde die Wahrheit schon ins Licht ziehen.
Ohne zu zögern, suchte Susann den nächsten Zug heraus, der sie in ihr Heimatdorf bringen würde und warf schnell ein paar Sachen in den Koffer. Es wäre doch gelacht, wenn sie diese Hochzeit nicht verhindern konnte!
Noch bevor sie das trostlos wirkende Bahnhofsgelände verlassen hatte, war Susann schon völlig entnervt. Ihr Agent hatte so gar kein Verständnis für ihre übereilte Abreise gehabt und nutzte ihr Handy nun als eine Art Sorgentelefon. Er jammerte ihr ununterbrochen die Ohren voll, dass sie ihm das nicht antun konnte, die Stadt ausgerechnet jetzt zu verlassen. Er stand kurz vor einer mittelschweren Panikattacke, weil er mehrere Shows organisiert hatte, die die Anwesenheit der Künstlerin erforderlich machten. Aber darauf konnte Susann keine Rücksicht nehmen. Sie hatte im letzten halben Jahr so viel erreicht und große Erfolge eingefahren, dass sie sich auf der sicheren Seite fühlte. Man würde sie bestimmt nicht in die Wüste schicken.
In Berlin würde man schon ohne sie klarkommen und ihre Karriere am Laufen erhalten. Ob sie die Besucher ihrer Ausstellungen nun persönlich vollschleimte oder sich würdig von ihrem Agenten vertreten ließ, kam auf dasselbe heraus: Lange würden die Wände der Galerien nicht voll bleiben.
Mittlerweile hatte Susann ohnehin das Gefühl, dass ihr Charme mehr Eindruck schindete als ihre Bilder selbst. Zumindest war das bei den männlichen Kunstliebhabern der Fall. Es war kein bemitleidenswerter Größenwahn zu behaupten, dass sie in der Kunstszene begehrt war. Manchmal war es schon zu viel des Guten, und sie hetzte von Termin zu Termin. Ja, beruflich hatte sie es geschafft, wenn vielleicht auch nicht aus den Gründen, die sie sich erhofft hatte. Leider war das Glück im Privatleben dabei auf der Strecke geblieben.
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