Lingyan Qian
Sprachenlernen im Tandem
Eine empirische Untersuchung über den Lernprozess im chinesisch-deutschen Tandem
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8233-0018-2
Ich möchte mich bei all jenen Menschen bedanken, die mich während der Entstehung der vorliegenden Arbeit unterstützt haben.
Mein besonderer Dank gilt meiner Doktormutter, Prof. Dr. Helga Kotthoff, die mich mit vielen konstruktiven Gesprächen, produktiven Hinweisen und kritischen Rückmeldungen unterstützte, eigene Gedankengänge zu entwickeln.
Für die Übernahme des Zweitgutachtens und die anregenden Diskussionen möchte ich mich herzlich bei Prof. Dr. Katharina Brizić bedanken.
Den Probanden, die an dieser Untersuchung teilgenommen haben, möchte ich herzlich danken. Ihr Vertrauen und Einverständnis haben die Datenerhebung ermöglicht.
Insbesondere danke ich Ulrike Ackermann, die bei der Aufbereitung der Daten eine Unterstützung geleistet hat.
Meine dankbare Anerkennung gilt in besonderer Weise auch Robert Stimpel für die geduldige Korrektur des Manuskripts und die wertvollen Diskussionen.
Das Tandem-Konzept erlebt seit den 1980er Jahren eine Hochkonjunktur im deutschsprachigen Raum. Beim Lernen im Tandem arbeiten in der Regel zwei Personen mit unterschiedlichen Muttersprachen zusammen, um voneinander zu lernen und gemeinsam fortzuschreiten. Jeder Partner bringt Kenntnisse und Fähigkeiten in seiner Sprache und Kultur ein, die der andere erwerben will. Auf diese Weise profitiert jeder von den Erfahrungen und der Unterstützung des Partners.
Im Rahmen des Lehrens und Lernens fremder Sprachen enthält das Lernen im Tandem zwei Ebenen, das Sprachenlernen und das interkulturelle Lernen. Mit der Globalisierung entstehen immer mehr Begegnungssituationen zwischen Menschen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen. Die Entwicklung der weltweiten Mobilität und der zunehmende internationale Austausch stellen Anforderungen an Menschen, sprachliche Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit im interulturellen Kontext zu erwerben. Vor diesem Hintergrund steht die Frage im Mittelpunkt: Wie kann man den Fremdspracherwerb und die Entwicklung der interkulturellen Kompetenz fördern. Neben dem institutionellen Fremdsprachenunterricht stellt das Tandem eine besondere Alternative für den Spracherwerb und die Vermittlung des kulturellen Wissens dar. Das Tandemfieber an deutschen Hochschulen ist seit Jahren deutlich spürbar, von institutionell organisierten Tandemkursen, Einzeltandemvermittlungen bis zu selbstinitiierten Tandeminteraktionen. Das Tandem-Konzept ist weit verbreitet und den meisten Sprachenlernenden bekannt.
In der vorliegenden Studie geht es um die sprachliche Ebene im chinesisch-deutschen Tandem. Die Arbeit beschreibt die Organisation der Tandemgespräche sowie die Lehr- und Lernpotenziale der Tandeminteraktion für das Deutschlernen der chinesischen Studierenden. In der wissenschaftlichen Literatur zum Fremdsprachenlernen im Tandem ist immer wieder die Rede davon, dass die Interagierenden partnerschaftlich die sprachlichen Defizite des Lerners bearbeiten, indem die muttersprachlichen Tandempartner z.B. die lernerseitigen Äußerungen korrigieren, neue Vokabulare einbringen oder auf grammatische Probleme hinweisen. Außerdem geht die Tandemforschung häufig davon aus, dass die Lerner im nicht-institutionellen Kontext Sprechhemmungen abbauen und dadurch freier sprechen können. In der Interaktion mit den muttersprachlichen Gesprächspartnern erwerben die Lerner nicht nur Kenntnisse auf der Ebene der sprachlichen Form, sondern auch auf der Ebene der Struktur der Diskurse und der Kommunikationsfähigkeit im Umgang mit den Fremden. Alle diese positiven Aspekte zeigen, dass das Tandem-Konzept für das Sprachenlernen fördernd sein könnte.
Wie sehen aber die Möglichkeiten und die Grenzen des Sprachenlernens im Tandem genau aus? Was geschieht, wenn zwei Tandempartner zum Zweck des Sprachenlernens miteinander kommunizieren? Welche Vorteile bringt diese besondere Lehr-Lern-Form? Welche Schwierigkeiten haben die Interagierenden im realen Gesprächsablauf? Ein Blick in die Tandempraxis zeigt, dass die Zusammenarbeit der Interagierenden häufig nicht problemlos ist. Relevante sprachliche Fehler bleiben unkommentiert. Gesprächsthemen zu finden, fällt den Interagierenden schwer. Die Initiativen der sprachlichen Behandlung zeichnen sich durch Spontaneität und Beliebigkeit aus. Konkrete Lernziele finden sich nicht. Ferner ist auffällig, dass manche Tandempaare oft nach kurzer Zeit abbrechen, entweder aufgrund von Problemen, die auf der menschlichen Ebene entstehen oder auch wegen des Motivationsmangels der Teilnehmer.
In der bisherigen relativ jungen Tandemforschung gibt es leider wenige Studien, die einen wirklich detaillierten und aufschlussreichen Einblick in den praktizierten Lernprozess geben. Hier bedarf es empirischer Untersuchungen anhand authentischer Daten. Vor diesem Hintergrund fiel die Entscheidung für die vorliegende Forschung: In einer empirischen Studie wurden drei chinesisch-deutsche Tandempaare in Deutschland ein halbes Jahr wissenschaftlich begleitet. Neben ca. 35-stündigen Audioaufnahmen ihrer authentischen Tandemgespräche wurden Abschlussinterviews mit den chinesischen Probanden durchgeführt. Durch teilnehmende Beobachtung, die in der sozialwissenschaftlichen Feldforschung häufig verwendet wird, konnte ich einen genauen Blick in den Interaktionsverlauf gewinnen.
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht jedoch die Frage nach den realen Abläufen und Strukturen der Tandemgespräche zur Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen des Sprachenlernens in der Praxis. Es geht darum, wie sich der Lernprozess im Einzeltandem beobachten, beschreiben und analysieren lässt. Dafür ist es notwendig, eine Unterschungsmethode zu verwenden, mit der man die stattfindenden Gespräche zwischen den Interagierenden rekonstruieren und damit die dynamische Interaktion detailliert analysieren kann. Ein konversationsanalytisches Vorgehen, das anhand authentischer und natürlicher Daten der Analyse der Interaktionsabläufe zugrunde liegt, ist für dieses Untersuchungsziel geeignet.
Die Arbeit ist in sechs Kapitel gegliedert. Diese werde ich hier einführend vorstellen. In Kapitel 1erfolgt ein Überblick über die Lehr- und Lernpotenziale der Interaktion. Hierzu zählen ein historischer Rückblick auf die Entstehung und Entwicklung der interaktionsorientierten Zweitspracherwerbsforschung und der damit verbundenen Frage nach der Bedeutung der Interaktion im gesteuerten und ungesteuerten Kontext. Neben wichtigen theoretischen Prinzipien wird auch eine Darstellung der wichtigsten Forschungsarbeiten der letzten 30 Jahren gegeben, um möglichst viele aufschlussreiche Perspektiven in diesem Bereich zu gewinnen. Aufgrund dessen wird Tandem als eine besondere Interaktionsform für den Zweitspracherwerb beschrieben. Anhand einschlägiger Arbeiten der jungen Tandemforschung wird auf relevante Elemente in diesem Konzept eingegangen. Dieses Kapitel dient dazu, eine Vorstellung des allgemeinen Lehr-Lern-Kontextes, in den der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit eingebettet ist, zu vermitteln.
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