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Erkrankt eine Betreuungspersoneines Kindes, das das achte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung dauernd pflegebedürftig ist, so steht dem Beschäftigten ein Anspruch auf Arbeitsbefreiung von bis zu vier Arbeitstagen im Kalenderjahr zu, wenn er die Betreuung des Kindes übernehmen muss, § 29 Abs. 1 e) cc) TVöD.
Betreuungsperson kann jede Person sein, die mit der Versorgung des Kindes betraut worden ist, gleichgültig, ob in einer Verwandtschaftsbeziehung stehend, oder nicht.
Neben dem Ehegatten und den Großeltern kommt auch die Tagesmutter, Erzieherin in einer Kindestagesstätte, das Au-pair oder ggf. noch die Grundschullehrerin in Betracht, soweit krankheitsbedingt die Einrichtung geschlossen wird.
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Darauf hinzuweisen ist, dass zu den persönlichen Anlässen i.S.d. § 29 TVöD nicht solche zu rechnen sind, in denen die Schulen aufgrund des Corona-Ausbruchsgeschlossen worden sind und für die Kinder eine Betreuung nicht anderweitig sichergestellt werden kann. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, hat das BMI als Ausfluss des § 616 BGB den Tarifbeschäftigten bis zu 10 Tage Sonderurlaub unter Fortzahlung des Entgelts gewährt, soweit Kinder unter 12 Jahren betroffen sind, wobei vorrangig Möglichkeiten mobilen Arbeitens zu nutzen seien. In besonderen Härtefällen kann darüber hinaus Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Entgelts nach § 21 TVöD gewährt werden. Anknüpfungspunkt ist insoweit die Neuregelung des § 563 IfSG.
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Nur bei den Doppelbuchstaben aa) und bb) bedarf es der Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung.
Im Falle einer erkrankten Betreuungspersonkann keine ärztliche Bescheinigungverlangt werden. Ein solche könnte z.B. auch nicht von einer Erzieherin einer Kindertagesstätte für alle betroffenen Eltern eingefordert und als nicht vertretbare Handlung auch nicht eingeklagt werden.
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Absatz 1 f): ärztliche Behandlung während der Arbeitszeit:
erforderlich nachgewiesene Abwesenheitszeit einschließlich
erforderlicher Wegezeiten
Der Tarifbeschäftigte kann weiterhin einen Freistellungsanspruch geltend machen, wenn die ärztliche Behandlung während der Arbeitszeit erfolgen muss. Davon soll auch auszugehen sein, wenn der Arzt den Beschäftigten während der Kernarbeitszeit zur Untersuchung oder Behandlung in seine Praxis bestellt und der Beschäftigte auf die Termingestaltung keinen Einfluss nehmen kann.[59] Grundsätzlich hat jedoch der Beschäftigte anzustreben, dass eine Behandlung außerhalb der Arbeitszeit, bei Gleitzeit folglich außerhalb der Kernzeit, erfolgt. Eine Zeitgutschrift kann der Beschäftigte insoweit während der Gleitzeit nicht verlangen. In Dienststellen ohne Kernzeit ist daher der Beschäftigte grds. dazu verpflichtet, das Defizit vor oder nach der ärztlichen Behandlung nachzuholen. Eine Zeitgutschrift kann insoweit nur in Betracht kommen, soweit die ärztliche Behandlung sich über den gesamten Arbeitstag bzw. wesentliche Teile hiervon erstreckt.
Nach Auffassung des LAG Niedersachsen[60] ist ein Arztbesuch nicht bereits dann notwendig, wenn der behandelnde Arzt einen Arbeitnehmer während der Arbeitszeit zur Behandlung oder Untersuchung in seine Praxis bestellt. Der Arbeitnehmer muss versuchen, das Arbeitsversäumnis möglichst zu vermeiden. Hält der Arzt außerhalb der Arbeitszeit Sprechstunden ab und sprechen keine medizinischen Gründe für einen sofortigen Arztbesuch, muss der Arbeitnehmer die Möglichkeit der Sprechstunde außerhalb der Arbeitszeit wahrnehmen. Unverschuldet ist die Versäumnis hingegen, wenn der Arbeitnehmer von dem Arzt zu einer Untersuchung oder Behandlung einbestellt wird und der Arzt auf terminliche Wünsche des Arbeitnehmers keine Rücksicht nehmen will oder kann.
Das Erfordernis der ärztlichen Behandlung während der Arbeitszeit ist durch entsprechende ärztliche Bescheinigungzu belegen. Diese hat regelmäßig auch die Dauer der Abwesenheitszeit zu enthalten.
3.Allgemeine staatsbürgerliche Pflichten nach § 29 Abs. 2 TVöD
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§ 29 Abs. 2 TVöDenthält einen Freistellungsanspruch bei Erfüllung allgemeiner staatsbürgerlicher Pflichten.
Bei Wahrnehmung dieser nach deutschem Recht bestehenden Pflichten, soweit die Arbeitsbefreiung gesetzlich vorgeschrieben ist und soweit die Pflichten nicht außerhalb der Arbeitszeit, ggf. nach ihrer Verlegung wahrgenommen werden können, besteht der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts insoweit, als Beschäftigte nicht Ansprüche auf Ersatz des Entgelts geltend machen können.
Von der Regelung erfasst wird etwa die Tätigkeit als Wahlhelfer, als ehrenamtlicher Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit, als Schöffe in der Strafgerichtsbarkeit oder als Zeuge.
Wird dem Beschäftigten für die Wahrnehmung seiner staatsbürgerlichen Pflichten ein Entgelt gewährt, so enthält die Tarifnorm die Verpflichtung, den Erstattungsbetrag an den Arbeitgeber abzuliefern, da dieser das Entgelt fortzahlt und eine Doppelbezahlung vermieden werden soll.
Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung sieht das BMI vor, dass das Entgelt bei Tätigkeiten als ehrenamtlicher Richter, Schöffe oder Zeuge für die Dauer der zeitlichen Inanspruchnahme bei erteilter Arbeitsbefreiung abweichend von § 29 Abs. 2 TVöD nach § 21 TVöD außertariflich fortgezahlt wird.
Damit entfallen zugleich die Voraussetzungen einer Entschädigung für Verdienstausfall nach den §§ 18 und 22 JVEG. Lediglich die in § 16 JVEG enthaltene Entschädigung für Zeitversäumnis darf noch geltend gemacht werden.
Gibt der Beschäftigte gegenüber dem Gericht wahrheitswidrige Angaben über sein Entgelt ab und macht sowohl die Entgeltfortzahlung als auch die zusätzliche Entschädigung geltend, kommt eine Strafbarkeit wegen Betrugsin Betracht.
4.Arbeitsbefreiung in sonstigen dringenden/begründeten Fällen nach § 29 Abs. 3 TVöD
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Die Generalklausel des § 29 Abs. 3 TVöD ermöglicht zwei Fälle von Arbeitsbefreiung:
Absatz 3 S. 1: Arbeitsbefreiung in sonstigen dringenden Fällen:
bis zu drei Arbeitstagen
Die Arbeitsbefreiung wird unter Fortzahlung des Entgeltsgewährt. Die bezahlte Freistellung wird nur gewährt, soweit der Anlass nicht unter die in Absatz 1 geregelten Sachverhalte fällt oder gerade nicht fallen soll (wie etwa der Umzug aus privaten Gründen). Es bedarf daher einer wirklichen Ausnahmesituation, um die Arbeitsbefreiung begründen zu können.
Der Arbeitgeber hat hierüber im Einzelfall eine Entscheidung im Rahmen des billigen Ermessens nach § 315 BGB unter Einbeziehung der wechselseitigen Interessen zu treffen.
Regelmäßig wird der Beschäftigte zunächst gehalten sein, Erholungsurlaub nach § 26 TVöD zu beantragen oder positive Arbeitszeitsalden zu nutzen.
Hochwasser, Brand, extremer Schneefall, fehlende Betreuung von Kindern unter 12 Jahren während der sog. Corona-Krise bei besonderen Härtefällen.
Absatz 3 S. 2: Arbeitsbefreiung in begründeten Fällen:
kurzfristige Arbeitsbefreiung
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Unter Verzicht auf das Entgeltkann dem Beschäftigten kurzfristige Arbeitsbefreiung erteilt werden, wenn die dienstlichen oder betrieblichen Verhältnisse es gestatten.
Auch insoweit handelt es sich um eine Ermessensentscheidung des Arbeitgebers, jedoch ist der Freistellungsanspruch als unbezahlter bereits zu gewähren, wenn vernünftige, nachvollziehbare dienstliche oder betriebliche Gründe nicht entgegenstehen.
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