Folglich werden Erholungsurlaub und Zusatzurlaub zunächst getrennt errechnet; eine Abrundung von Zusatzurlaubsansprüchen ist auch insoweit nach dessen Addition zum Erholungsurlaub nicht vorgesehen.
99
Ergeben sich aus § 208 SGB IX weitere, nicht von der Norm erfasste Auslegungsfragen, ist ergänzend auf das BUrlG abzustellen. Dies folgt daraus, dass es sich um Zusatz- und nicht um Sonderurlaub handelt. Insb. ist auf § 1 BUrlG, die Wartezeit nach § 4 BUrlG und den in § 5 BUrlG normierten Teilurlaubsanspruch abzustellen, wie auch auf §§ 6, 7, 9 und 11 BUrlG.
Hat das Arbeitsverhältnis des vollzeitbeschäftigten schwerbehinderten Menschen im Eintrittsjahr länger als sechs Monate bestanden, entsteht damit nach § 4 BUrlG ein Anspruch von fünf Tagen Zusatzurlaub.
100
Zur Geltendmachung des Zusatzurlaubsanspruchs bedarf es zunächst eines Antrags auf Feststellung der Schwerbehinderung. Wird die Schwerbehinderung anerkannt, so steht dem Beschäftigten rückwirkendbis zum Zeitpunkt der Antragstellung der Anspruch auf Urlaub nach § 208 SGB IX zu.
101
§ 208 Abs. 3 SGB IXregelt schließlich, wie bei rückwirkender Anerkennung der Schwerbehinderung zu verfahren ist: Wird die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nach § 152 Absatz 1 und 2 SGB IX rückwirkend festgestellt, finden auch für die Übertragbarkeit des Zusatzurlaubs in das nächste Kalenderjahr die dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegenden urlaubsrechtlichen Regelungen Anwendung.
102
Der Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX unterliegt derselben Verfallsfrist wie der gesetzliche Mindesturlaub. Damit gilt für die Tarifbeschäftigten des Bundes dieselbe Verfallsfrist, die auch für den gesetzlichen und tariflichen Mindesturlaub heranzuziehen ist: 12 Monate zum Kalenderjahresende (31.12. des Folgejahres), bei längerer Erkrankung erweitert um drei Monate auf 15 Monate 31.3. des Folge-Folgejahres. Der Anspruch auf Zusatzurlaub verfällt, da er das rechtliche Schicksal des Mindesturlaubsanspruchs teilt, aufgrund der Rechtsprechung von EuGH und BAG nach 15 Monaten nach Ablauf des Entstehungsjahres in Fällen lang andauernder Arbeitsunfähigkeit.
Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer erkrankt vom 19.4.2019 durchgehend bis zum 21.6.2021. Auch während des Krankheitszeitraums erwirbt der Arbeitnehmer Zusatzurlaubsansprüche. Nach Wiederaufnahme der Arbeit am 22.6.2021 ist jedoch der Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX aus dem Kalenderjahr 2019 mit Ablauf des 31.3.2021 verfallen. Der Zusatzurlaub aus den Jahren 2020 und 2021 besteht noch.
103
Das BAG[51] hat zudem entschieden, dass der Schwerbehindertenzusatzurlaub ebenso wie der Mindesturlaub nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses entsprechend § 7 Abs. 4 BUrlG abzugeltenist, sofern der Zusatzurlaub nicht gewährt werden konnte, weil der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt war. Denn auch bei dem Schwerbehindertenurlaub handelt es sich um einen nicht disponiblen, eng mit dem Mindesturlaub verbundenen Anspruch, sog. Grundsatz der Akzessorietät.
Das LAG Niedersachsen[52] hat festgestellt, dass der Arbeitgeber verpflichtetist, den schwerbehinderten Arbeitnehmer auf dessen Zusatzurlaub hinzuweisen. Kommt er seiner Informations- und Hinweispflicht entsprechend den Vorgaben des EuGH nicht nach, hat der Arbeitnehmer nach §§ 280 Abs. 1 und 2, § 283 BGB i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB einen Schadensersatzanspruch in Form des Ersatzurlaubs, der sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 251 Abs. 1 BGB in einen Abgeltungsanspruch umwandelt.
104
Diese Argumentation der Rechtsprechung lässt sich darüber hinaus auch auf den in § 19 JArbSchG gesicherten Zusatzurlaubsanspruch für Jugendlicheübertragen.
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Nach § 28 TVöDkönnen Beschäftigte bei Vorliegen eines wichtigen Grundes unter Verzichtauf die Fortzahlung des Entgelts Sonderurlauberhalten.
Besondere Tatbestandsvoraussetzungen wie auch Einzelfälle sind in die Vorschrift nicht aufgenommen worden.
Zu den wichtigen Gründenwerden insbesondere gezählt:
Betreuung von Kleinkindern;
Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger;
sonstige bedeutsame familiäre Erfordernisse;
Fortbildungsmaßnahmen und berufsfördernde Umschulungsmaßnahmen;
Kur- oder Heilverfahren, soweit keine Freistellung nach § 22 Abs. 1 TVöD erfolgen kann;
Aufnahme eines Studiums;
Übernahme eines kommunalen Amtes und die damit verbundene Ernennung zum Beamten.
Der Arbeitgeber kann betriebliche Interessen hiergegen nur im Rahmen einer Interessenabwägung nach § 315 BGBentgegenhalten. Diese ist er verpflichtet durchzuführen. Dabei hat der Arbeitgeber nach billigem Ermesseneine Entscheidung zu treffen. Je wichtiger der vom Beschäftigten angeführte Grund ist, desto gewichtiger muss auch das Gegeninteresse des Arbeitgebers sein, um den Anspruch verweigern zu können. Je länger der Zeitraum des begehrten Sonderurlaubs ist, desto bedeutender muss auch der Grund für die Freistellung von der Arbeit sein.
Wird keine einvernehmliche Lösung erzielt, so kann sich der Beschäftigte vor dem Arbeitsgericht den Sonderurlaub erstreiten. Dies verlangt allerdings, dass sich das Ermessen des Arbeitgebers auf null reduziert hat.
Antreten darf der Beschäftigte den Sonderurlaub stets erst nach Zustimmung des Arbeitgebers bzw. nach Ersetzung der Zustimmung durch das Arbeitsgericht.
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Während der Zeit des Sonderurlaubs erwirbt der Arbeitnehmer nach neuerer Rechtsprechung keinerlei Urlaubsansprüche, soweit der Sonderurlaub ganze Kalendermonate umfasst.
Von der Kürzung betroffen ist darüber hinaus auch die Jahressonderzahlung, § 20 Abs. 4 TVöD.
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Zeiten des Sonderurlaubs werden zudem grds. nicht auf die Beschäftigungszeit angerechnet. Anderes gilt nur, wenn der Arbeitgeber vor Antritt desselben ein dienstliches bzw. betriebliches Interesse schriftlich anerkannt hat, § 34 Abs. 3 S. 2, § 17 Abs. 3 S. 1 d) TVöD.
Nachteile ergeben sich bei der Inanspruchnahme von Sonderurlaub auch im Hinblick auf die gesetzliche Krankenversicherung, die einen Monat nach Unterbrechung des aktiven Arbeitsverhältnisses gem. § 19 Abs. 2 SGB V erlischt, so dass sich der Arbeitnehmer eigenständig um die Absicherung bemühen muss.
Ergänzt wird die tarifliche Bestimmung um das PflegeZG, wonach bei kurzzeitigerArbeitsverhinderung nach § 2 PflegeZG ein Anspruch auf Freistellung für bis zu zehn Arbeitstage und ggf. Pflegeunterstützungsgeld sowie bei Inanspruchnahme von Pflegezeitauf unbezahlten Freistellungsanspruch von bis zu sechs Monaten besteht, §§ 3 und 4 PflegeZG, ggf. ergänzt um Familienpflegezeit bis zur Gesamtdauer von 24 Monaten nach dem FPflegeZG.
Es ist für den Beschäftigten ratsam, statt Sonderurlaub Pflegezeit in Anspruch zu nehmen, um keine Nachteile u.a. im Hinblick auf die Altersversorge zu erleiden.
108
Jedem Arbeitnehmer steht ein Recht auf Bildungsurlaubzu, wie dem IAO-Übereinkommen Nr. 140zu entnehmen ist. Dieses zu sichern, ist Aufgabe der einzelnen Bundesländer, da der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz bislang keinen Gebrauch gemacht hat.
Bis auf Bayern und Sachsen sind alle Bundesländer diesem Auftrag gefolgt und haben eigenständige Regelungswerke normiert.
Um Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz in Bayern oder Sachsen haben, gleichwohl in ihrem Recht auf Bildung zu schützen, gilt, wie unter A V. 7. a). Arbeitsbefreiung dargestellt, § 9 Abs. 2 SUrlV entsprechend.
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