Alkibiades:Ich weiß aber nicht, ob ich im Stande sein werde, o Sokrates, es vor dir durchzuführen.
Sokrates:Stelle dir doch nur vor, du Guter, ich wäre die Versammlung und das Volk. Dort wirst du ja auch müssen jeden einzelnen überzeugen. Nicht wahr?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Und es ist ja wohl die Sache desselbigen, Einen einzeln überzeugen zu können und Viele zugleich von dem was er weiß, wie der Sprachlehrer ja wohl Einen überzeugt in Sachen der Sprache und Viele?
Alkibiades:Ja wohl.
Sokrates:Nicht auch von dem, was die Zahlen betrifft, wird derselbige Einen überzeugen können und auch Viele?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Dieser ist aber der, der es versteht, der Rechenkünstler?
Alkibiades:Freilich.
Sokrates:Also nicht auch du, wovon du Viele zu überzeugen im Stande bist, davon auch Einen?
Alkibiades:Wahrscheinlich wohl.
Sokrates:Und das ist doch das was du weißt?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Und ist nun nicht der Redner im Volke nur in so weit von dem in einem solchen Zusammensein verschieden, daß der eine Viele auf einmal von demselben überzeugt, der andere einzeln?
Alkibiades:So scheint es.
Sokrates:So komm also! wenn es doch für denselben gehört Einen zu überzeugen und Viele, so übe dich an mir, und versuche mir zu zeigen, daß das Gerechte bisweilen nicht nützlich ist!
Alkibiades:Du treibst Übermut, Sokrates.
Sokrates:So will ich denn itzt wenigstens aus Übermut dich von dem Gegenteil dessen überzeugen, wovon du mich willst.
Alkibiades:Sprich denn.
Sokrates:Antworte nur was ich dich fragen werde.
Alkibiades:Nein! sondern sprich du allein.
Sokrates:Wie doch? willst du denn nicht so sehr als nur möglich überzeugt werden?
Alkibiades:Allerdings will ich das.
Sokrates:Und nicht wahr, wenn du selbst behauptest, daß sich etwas so verhält, dann bist du aufs beste überzeugt?
Alkibiades:Das dünkt mich wenigstens.
Sokrates:So antworte denn. Und wenn du es nicht von dir selbst hörst, daß das Gerechte zugleich vorteilhaft ist, so glaube es nicht wenn es ein Anderer sagt.
Alkibiades:Freilich nicht; und so will ich denn antworten; denn ich denke ja auch ich werde keinen Schaden davon haben.
Sokrates:Du bist eben wahrsagerisch. Sage mir also, du behauptest einiges gerechte vorteile, anderes nicht?
(115) Alkibiades:Ja.
Sokrates:Und wie? auch daß einiges davon schön sei und anderes nicht?
Alkibiades:Wie meinst du das?
Sokrates:Ob dich schon jemand gedünkt hat schändlich zu handeln, zugleich aber gerecht?
Alkibiades:Nein, das nicht.
Sokrates:Sondern alles Gerechte ist auch schön?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Wie nun das Schöne? ist es alles gut, oder einiges wohl, anderes aber nicht?
Alkibiades:Ich wenigstens meine, einiges schöne sei wohl übel.
Sokrates:Etwa auch schändliches gut?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Meinst du etwa solches, wie daß schon Viele im Kriege, indem sie einem Freunde oder Angehörigen Hülfe leisteten, Wunden davon getragen haben oder gestorben sind, Andere aber, die nicht halfen, obschon sie es gesollt hätten, gesund sind davon gekommen?
Alkibiades:Allerdings eben das.
Sokrates:Und nicht wahr, eine solche Hülfsleistung nennst du zwar schön in Beziehung auf das Bestreben diejenigen zu retten, welche man sollte, und das ist Tapferkeit; oder nicht?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Übel aber nennst du sie in Beziehung auf den Tod und die Wunden. Nicht wahr?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Ist nun nicht etwas anderes die Tapferkeit und wieder etwas anderes der Tod?
Alkibiades:Freilich.
Sokrates:Nicht also in derselben Beziehung ist es schön und übel den Freunden helfen.
Alkibiades:Nein, wie sich zeigt.
Sokrates:Sieh nun, ob es nicht eben in sofern als schön auch gut ist, wie ja auch hier. Denn in Bezug auf die Tapferkeit, gestehst du, sei die Hülfleistung schön. Nun betrachte eben dieses, die Tapferkeit ob sie gut ist oder übel. Überlege es aber so. Welches von beiden möchtest du wohl haben, gutes oder übles?
Alkibiades:Gutes.
Sokrates:Und zwar das größte am liebsten, und am unliebsten möchtest du dir das nehmen lassen?
Alkibiades:Wie sollte ich nicht!
Sokrates:Was meinst du nun von der Tapferkeit, für wieviel möchtest du sie dir wohl nehmen lassen?
Alkibiades:Auch nicht leben möchte ich, wenn ich sollte feige sein.
Sokrates:Das äußerste Übel also dünkt dich die Feigheit?
Alkibiades:Ganz gewiß.
Sokrates:Gleichgeltend dem Sterben, wie sich zeigt?
Alkibiades:Das behaupte ich.
Sokrates:Und dem Tode und der Feigheit ist doch das entgegengesetzteste das Leben und die Tapferkeit?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Und diese beiden wünschest du dir am liebsten, jene am wenigsten?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Wohl weil du die einen für das beste hältst, die anderen für das übelste?
Alkibiades:Freilich wohl.
Sokrates:Das Helfen also den Freunden im Kriege, sofern es schön ist, nämlich vermöge der Vollbringung des Guten, der Tapferkeit, hast du schön genannt.
Alkibiades:Das scheine ich wohl.
Sokrates:Vermöge der Vollbringung des Üblen aber, des Todes, übel.
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Ist es nun nicht recht jegliche Handlung so zu bezeichnen, wenn du sie doch sofern sie übles bewirkt übel nennst, mußt du sie auch sofern sie gutes bewirkt gut nennen.
(116) Alkibiades:Das dünkt mich wohl.
Sokrates:Nicht auch sofern gutes schön, sofern aber übles schlecht?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Wenn du also sagest, die den Freunden im Kriege geleistete Hülfe sei schön aber übel, so sagst du nichts anderes als wenn du sie gut nenntest und auch übel.
Alkibiades:Du scheinst richtig zu reden, Sokrates.
Sokrates:Nichts schönes also ist in sofern schön übel, noch schändliches in sofern schändlich gut.
Alkibiades:Nein wie sich zeigt.
Sokrates:Betrachte es auch noch so. Wer schön lebt, lebt der nicht auch wohl?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Die Wohllebenden aber, sind die nicht glückselig?
Alkibiades:Wie sollten sie nicht!
Sokrates:Und nicht wahr, glückselig durch den Besitz des Guten?
Alkibiades:Vornehmlich.
Sokrates:Dies besitzen sie aber vermöge des Wohl- und Schönlebens?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Wohl zu leben also ist gut?
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