Alkibiades:Wie sollte es nicht!
Sokrates:Ist nun aber nicht das Wohlleben etwas schönes?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:So zeigt sich uns also wiederum als dasselbe das Gute und das Schöne?
Alkibiades:So zeigt es sich.
Sokrates:Was wir also schön gefunden haben, das werden wir auch gut finden nach dieser Rede.
Alkibiades:Notwendig.
Sokrates:Und wie! vorteilt das Gute oder nicht?
Alkibiades:Es vorteilt.
Sokrates:Erinnerst du dich auch, was wir über das Gerechte eingestanden haben?
Alkibiades:Ich glaube wenigstens, daß alle rechttuenden notwendig auch schönes tun.
Sokrates:Und die schönes auch gutes?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Das gute aber vorteile?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Das Gerechte also, o Alkibiades, ist vorteilhaft.
Alkibiades:Es scheint ja.
Sokrates:Wie nun, bist du es der dies behauptet oder ich der fragende?
Alkibiades:Ich ja wohl wie es scheint.
Sokrates:Wenn nun einer aufsteht um zu beratschlagen, gleich viel ob mit den Athenern oder Peparethiern, in der Meinung zu verstehen was recht und unrecht ist, und will doch behaupten zu wissen, das Gerechte sei bisweilen übel: würdest du ihn nicht auslachen, da doch auch du behauptest das gerechte und das vorteilhafte sei dasselbe?
Alkibiades:Aber bei den Göttern, o Sokrates, ich weiß nicht was ich behaupte, sondern ordentlich ganz verdreht komme ich mir vor. Denn bald dünkt es mich so, wenn du mich fragst, bald wieder anders.
Sokrates:Und das weißt du nicht, Lieber, was für ein Zustand dies ist?
Alkibiades:Gar nicht.
Sokrates:Glaubst du denn, wenn dich jemand fragte, hast du zwei oder drei Augen, und zwei Hände oder vier, daß du dann auch bald dies antworten würdest bald wieder anderes? oder immer dasselbe?
Alkibiades:Mir ist zwar nun schon ganz bange um mich selbst, ich glaube aber doch dasselbe.
(117) Sokrates:Und daß du es weißt, ist die Ursache davon?
Alkibiades:Das denke ich wenigstens.
Sokrates:Worauf du also wider deinen Willen entgegengesetztes antwortest, darin bist du doch offenbar nicht wissend?
Alkibiades:So sieht es wenigstens aus.
Sokrates:Und nicht wahr, auch indem du über gerechtes und ungerechtes, über schönes und schändliches, über übles und gutes, über was vorteilt und nicht antwortest, gestehst du daß du schwankst? Ist es nun nicht offenbar, daß du, weil du nichts davon verstehst, deshalb schwankst?
Alkibiades:Mir wenigstens.
Sokrates:Verhält es sich etwa auch immer so, wenn jemand etwas nicht weiß, daß die Seele notwendig darüber schwankt?
Alkibiades:Wie sollte sie nicht!
Sokrates:Wie nun? weißt du auf welche Weise du gen Himmel fahren kannst?
Alkibiades:Beim Zeus, ich nicht.
Sokrates:Schwankt etwa deine Meinung auch hierüber?
Alkibiades:Wohl nicht.
Sokrates:Und die Ursache, weißt du sie, oder soll ich sie sagen?
Alkibiades:Sage sie.
Sokrates:Weil du, Lieber, nicht glaubst es zu wissen, wie du es auch nicht weißt.
Alkibiades:Wie meinst du das wieder?
Sokrates:Betrachte es nur mit mir gemeinschaftlich. Was du nicht verstehst, aber auch erkennst, daß du es nicht verstehst, schwankst du etwa über dergleichen? wie von der Zubereitung der Gemüse weißt du doch wohl, daß du nichts weißt?
Alkibiades:Ganz gewiß.
Sokrates:Machst du dir nun hierüber eine Meinung, wie man sie wohl zubereiten müsse, und schwankst dann, oder überläßt du es dem Sachverständigen?
Alkibiades:Das letzte tue ich.
Sokrates:Und wenn du zu Schiffe führest, würdest du dir eine Meinung darüber machen, ob man das Steuerruder wohl müsse nach sich halten oder von sich, und weil du es nicht recht wüßtest schwanken, oder würdest du das dem Steuermann überlassen und dich ganz ruhig halten?
Alkibiades:Dem Steuermann.
Sokrates:Du schwankst also nicht über das was du nicht weißt, wenn du nur weißt, daß du es nicht weißt.
Alkibiades:Ich scheine nicht.
Sokrates:Merkst du nun wohl, daß auch die Fehler im Handeln aus dieser Unwissenheit entstehen, daß wer nicht weiß doch meint zu wissen?
Alkibiades:Wie meinst du nur das wieder?
Sokrates:Wir unternehmen doch nur dann etwas zu tun, wenn wir meinen das zu verstehen was wir tun?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Wenn aber jemand nicht meint etwas zu verstehen: so überläßt er es Andern?
Alkibiades:Wie sollte er nicht?
Sokrates:Und solche Nichtwissende leben doch wohl fehlerlos, weil sie ihre Angelegenheiten Andern überlassen?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Wer sind nun die fehlenden? die Wissenden doch wohl nicht?
Alkibiades:Nicht füglich.
Sokrates:Wenn nun aber weder die Wissenden, noch diejenigen unter den Nichtwissenden, welche wissen daß sie nicht wissen: bleiben wohl Andere übrig, als die Nichtwissenden welche glauben zu wissen?
Alkibiades:Nein, sondern diese.
(118) Sokrates:Diese Unwissenheit nun ist Ursache alles Übels, die schmähliche Torheit.
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Und wenn sie die wichtigsten Dinge betrifft, dann ist sie am verderblichsten und schändlichsten?
Alkibiades:Bei weitem.
Sokrates:Wie nun? weißt du etwas wichtigeres zu nennen als rechtes und schönes und gutes und vorteilhaftes?
Alkibiades:Wohl nicht.
Sokrates:Und hierüber gestehst du, daß du schwankst?
Alkibiades:Ja.
Sokrates:Wenn du aber schwankst, ist es nicht aus dem vorigen klar, daß du nicht nur das wichtigste nicht weißt, sondern auch nicht wissend es doch zu wissen glaubst?
Alkibiades:Das mag wohl sein.
Sokrates:Weh also, o Alkibiades, was ist dir widerfahren, was ich zu nennen Bedenken trage, aber doch weil wir allein sind muß ich es heraussagen. Nämlich mit der Torheit hausest du und zwar mit der schimpflichsten wie die Rede dich beschuldiget und du dich selbst. Darum also läufst du so nach den Staatssachen, ehe du unterrichtet bist. Aber nicht du allein befindest dich in diesem Zustande, sondern die meisten von denen, welche die Angelegenheiten dieser Stadt besorgen, bis auf Wenige wohl und vielleicht deinen Vormund Perikles.
Alkibiades:Von diesem sagt man ja auch, daß er nicht von selbst so weise geworden ist, sondern durch den Umgang mit vielen weisen Männern, dem Pythokleides und Anaxagoras, und auch jetzt noch in solchem Alter geht er eben deshalb mit dem Dämon um.
Sokrates:Aber wie doch? hast du wohl schon einen irgend worin weisen gesehen, der nicht vermögend gewesen wäre, einen andern eben darin weise zu machen, worin er es ist? Wie wer dich die Sprache gelehrt hat, war selbst darin vollkommen, und hat dich auch dazu gemacht, und wen er sonst wollte. Nicht wahr?
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