46
Ein weiteres Auslegungsproblem stellt sich in Bezug auf elektronische Dokumente, da der Gewahrsam an ihnen im Einzelfall schwer zu bestimmen ist, wenn auf diese von verschiedenen Orten zugegriffen werden kann. Für das Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO ist jedoch allein maßgeblich, wo diese Dateien gespeichert sind.[136] Es ist damit auf den Gewahrsam am Datenträger abzustellen. Eine Ausnahme ist erneut für Verteidigungsunterlagen zu machen.
d) Beschlagnahme erforderlich, keine freiwillige Herausgabe
47
Wie bereits unter Rn. 28ausgeführt, schützt § 97 StPO nur vor Beschlagnahme. Eine freiwillige Herausgabe ist jederzeit möglich.
3. Kein Ausschluss der Beschlagnahmefreiheit
a) Sog. „Verstrickung“, § 97 Abs. 2 S. 3 1. Var. StPO
48
Nach § 97 Abs. 2 S. 3 1. Var. StPO gilt das Beschlagnahmeverbot nicht, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass die zeugnisverweigerungsberechtigte Person an der Tat (Anm.: des Anvertrauenden) oder an einer Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beteiligt ist. Diese Formulierung entspricht auch § 160a Abs. 4 S. 1 StPO. Auf die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens kommt es dabei ebenso wenig an[137] wie auf die Frage, ob die Beteiligung strafbar ist.[138] Lediglich eine rechtswidrige Tat i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB soll erforderlich sein.[139] Der Verdacht selbst muss sich aus bestimmten äußeren oder inneren Tatsachen ergeben und über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen.[140] Der erforderliche Grad der Konkretisierung ist abhängig von der Schwere des Eingriffs in das Vertrauensverhältnis und muss bereits im Zeitpunkt der Anordnung der Beschlagnahme erreicht sein.[141] Bei Verteidigern gilt im Hinblick auf § 148 StPO die Besonderheit, dass stets gewichtige Anhaltspunkte für eine Beteiligung erforderlich sind.[142]
b) Sog. „Deliktsgegenstände“, § 97 Abs. 2 S. 3 2. Var. StPO
49
Nach § 97 Abs. 2 S. 3 2. Var. StPO gilt das Beschlagnahmeverbot ebenfalls nicht, wenn es sich bei den zu beschlagnahmenden Gegenständen um solche handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, zu ihrer Begehung gebraucht worden oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren. Sie können daher unbeschränkt beschlagnahmt werden. Unter Gegenstände, die zur Begehung einer Straftat gebraucht worden sind, fallen auch solche, die der Tatvorbereitung dienten.[143] Häufig genannte Beispiele sind der über einen beabsichtigten Betrug geführte Schriftwechsel[144] und die zur Begehung einer Wirtschafts- oder Steuerstraftat benutzten Buchungsunterlagen.[145]
4. Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Beschlagnahmeverbot
50
Verstoßen die Ermittlungsbehörden gegen das einen Berufsgeheimnisträger betreffende Beschlagnahmeverbot, richtet sich die Verwertbarkeit bzw. Verwendbarkeit[146] nach § 160a StPO. § 160a Abs. 1 S. 2 und S. 5 StPO führt stets zur Unverwendbarkeit, im Rahmen des § 160a Abs. 2 S. 3 StPO ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach strengen Maßstäben durchzuführen. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 160a Abs. 1 StPO zum 1.2.2011 u.a. auf Rechtsanwälte[147] ist zu beachten. Der in § 160a Abs. 5 StPO normierte Vorrang des § 97 StPO gilt mit umstrittenem Umfang nur für die Ermittlungsmaßnahme als solche und betrifft die Regelung zur Verwendbarkeit erlangter Erkenntnisse bei Gesetzesverstößen nicht.[148] Die Verwertung der Erkenntnisse trotz Verwertungs- bzw. Verwendungsverbot führt zu einem Revisionsgrund.[149] Im Rahmen der Revisionsbegründung muss dargelegt werden, dass die Voraussetzungen der §§ 97 Abs. 2 S. 3, 160a Abs. 4 StPO nicht vorlagen.[150]
51
War die Beschlagnahme zunächst zulässig, bleiben die Erkenntnisse nach herrschender Auffassung verwertbar, selbst wenn später ein Beschlagnahmehindernis entsteht, z.B. der Teilnahmeverdacht entfällt.[151] Im umgekehrten Fall, wenn die Beschlagnahme zunächst unzulässig war, sie aber nachträglich zulässig wird, sollen die Erkenntnisse ebenfalls verwertbar sein, es sei denn, der Verdacht ergibt sich erst aus den unzulässigerweise gewonnenen Erkenntnissen.[152]
[1]
BVerfGE 20, 162, 188; 32, 373, 385.
[2]
Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 1.
[3]
Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 50 und § 160a Rn. 17.
[4]
Vgl. unten Rn. 68.
[5]
LR - StPO /Menges § 97 Rn. 11.
[6]
RGSt 50, 241, 242; Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 10.
[7]
Vgl. oben Rn. 10; umfassend zur alten Rechtslage Roxin NJW 1995, 17, 21 ff.
[8]
BGHSt 25, 168, 169; OLG Hamburg MDR 1981, 603, 603; Krekeler NStZ 1987, 199, 201; Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 4 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung und zu einzelnen Berufsgruppen.
[9]
Krekeler NStZ 1987, 199, 201.
[10]
Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 4.
[11]
Bandisch NJW 1987, 2200, 2204, m.w.N.
[12]
Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 4a und 8.
[13]
Vgl. oben Rn. 23.
[14]
BGHSt 38, 144, 145; KK-StPO/ Greven § 97 Rn. 5; a.A. Gülzow NJW 1981, 265, 267.
[15]
Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 24.
[16]
Vgl. oben Rn. 17sowie Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 25; a.A. OLG Nürnberg NJW 1958, 272, 274; OLG Hamburg NJW 1962, 689, 691.
[17]
Fezer JuS 1978, 765, 767; KK-StPO/ Greven § 97 Rn. 6.
[18]
Wohlers NStZ 1990, 245, 246; Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 6.
[19]
MK-StPO/ Hauschild § 97 Rn. 51.
[20]
MK-StPO// Hauschild § 97 Rn. 51; KK-StPO/ Greven § 97 Rn. 3.
[21]
Fezer JuS 1978, 765, 768.
[22]
BGHSt 18, 227, 230; Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 5.
[23]
KK-StPO/ Greven § 97 Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 7.
[24]
KK-StPO/ Greven § 97 Rn. 3 f.
[25]
Umfassend BeckOK/ Ritzert § 97 Rn. 24 ff. m.w.N. auch zur Gegenauffassung.
[26]
BGHSt 44, 46, 48; Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 28.
[27]
KK-StPO/ Greven § 97 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 28.
[28]
Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 28.
[29]
Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 28.
[30]
Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 28.
[31]
BGHSt 33, 148, 151; OLG München NStZ 2006, 300, 301; KK-StPO/ Greven § 97 Rn. 11.
[32]
LG Bonn wistra 2006, 396, 397.
[33]
Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 29.
[34]
Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 29.
[35]
BVerfGE NStZ 2002, 377, 377; KK-StPO/ Greven § 97 Rn. 11 und 13.
[36]
Vgl. zur Beschlagnahme von Urkundsentwürfen LG Köln NJW 1981, 1746, 1747; Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 40.
[37]
LG Darmstadt wistra 1987, 232, 232; LG Stuttgart wistra 1988, 245, 245; LG Freiburg wistra 1998, 35, 36; Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 40.
[38]
Vgl. OLG Nürnberg NJW 1958, 272, 273.
[39]
Vgl. LG Berlin NJW 1990, 1058, 1058.
[40]
Vgl. zu weiteren Beispielen Meyer-Goßner/Schmitt § 97 Rn. 30.
[41]
OLG Celle NJW 1963, 406, 407; NJW 1965, 362, 363; LG Braunschweig NJW 1978, 2108, 2109; LG Hildesheim NStZ 1982, 394, 395; LG Mainz NStZ 1986, 473, 474; LG Darmstadt NStZ 1988, 286, 286 f.
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