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Eine entsprechende Auffassung hat insbesondere für drei Fallkonstellationen der internen Ermittlungen Bedeutung. Zum einen muss die Frage beantwortet werden, ob auch Gegenstände geschützt sind, die ein Dritter dem Verteidiger zu Zwecken der Verteidigung übergeben hat. Nach Auffassung des LG Mainz sollen solche Gegenstände nämlich beschlagnahmt werden können, da sie nicht von „an diesem Vertrauensverhältnis beteiligten Personen stammen“.[44] Als zweites muss die Frage geklärt werden, ob und in welchem Umfang Geschäfts- und Buchungsunterlagen, die der Beschuldigte zu anderen Zwecken als zur Verteidigung einem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer übergeben hat, beschlagnahmt werden dürfen, und drittens, ob auch sonstige, übergebene oder vom Berufsträger angefertigte Gegenstände, wie im Rahmen des Mandats gefertigte Protokolle über Interviews, beschlagnahmefrei sind, wenn sich das Verfahren nicht gegen den Mandanten richtet.
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Nun zur ersten Fallgruppe, für die das Meinungsbild am deutlichsten ist: Unterlagen, die dem Verteidiger von einem Dritten zu Zwecken der Verteidigung übergeben worden sind, werden vom Beschlagnahmeverbot erfasst.[45] Die in allen drei Fallgruppen gegen eine Beschränkung auf das Verhältnis Berufsträger/Beschuldigter angeführten Argumente werden auch hier ins Feld geführt. Bereits der Wortlaut der Nr. 1 und 2 unterscheide sich erheblich von Nr. 3, da dort der Begriff des „Beschuldigten“ nicht genannt werde.[46] Das vorstehende Argument werde noch dadurch verstärkt, dass schon die ausschließliche Anwendung der Nr. 2 auf Umstände, die aus der Beziehung zwischen dem Berufsgeheimnisträger und dem beschuldigten Auftraggeber erwachsen seien, fraglich scheine, da der 2. HS „Aufzeichnungen über andere Umstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt“ keine derart enge Auslegung gebiete, sondern auch an § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1–3b StPO ausgerichtet werden könne.[47] Dass dort aber auch solche Tatsachen und Umstände erfasst werden, die dem Berufsträger von einem Dritten mitgeteilt oder über einen Dritten bekannt geworden sind, ist tatsächlich ganz überwiegende Meinung.[48] Regelmäßig heißt es zu § 53 StPO, von wem, zu welchem Zweck und aus welchem Grund dem Berufsausübenden die Tatsachen bekannt geworden seien, sei gleichgültig.[49] Die Befürworter einer extensiven Auslegung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO argumentieren daher weiter, der Sinn und Zweck des § 97 StPO, das Zeugnisverweigerungsrecht der §§ 53, 53a StPO vor Umgehungen zu schützen, spreche damit gegen die in der Rechtsprechung früher regelmäßig anzutreffende Restriktion.[50] Das Schweigerecht und das Beschlagnahmeverbot müssten sich unter teleologischen Gesichtspunkten entsprechen.
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Soweit die Frage nach von Dritten übergebenen Gegenständen zur Verteidigung im Raum steht, werden diese allgemeinen Argumente aber noch durch das weitere Argument gestützt, dass auch diese Unterlagen unmittelbar das Vertrauensverhältnis zwischen Berufsträger und Beschuldigtem betreffen, auch wenn sie nicht von einem dieser beiden stammen.[51]
Erfreulicherweise hat sich daher seit den neunziger Jahren in der Rechtsprechung ein Umdenken eingestellt und die Entscheidungen mehren sich, die eine Beschränkung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO auf Gegenstände, die der Beschuldigte dem Berufsträger übergeben hat, ablehnen.[52] Die herrschende Auffassung hat sich insoweit gewandelt und wird nun sowohl dem Wortlaut als auch dem telos besser gerecht.[53]
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In der zweiten, jedoch verwandten Fallkonstellation verlaufen Argumentation und Entwicklung des Meinungsspektrums ähnlich. So wollte das LG Braunschweig aus dem Gedanken des Vertrauensschutzes ableiten, das Buchhaltungsunterlagen und Belege, die ein Steuerberater für seinen Mandanten verwahrt, aus dem Anwendungsbereich der Norm auszunehmen seien.[54] Das LG Braunschweig argumentierte, dass nach Sinn und Zweck der Norm nur solche Aufzeichnungen, Mitteilungen und andere Gegenstände privilegiert werden dürften, die innerhalb des Vertrauensverhältnisses entstanden seien. Ganz eindeutig gelte dies für die in § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO genannten schriftlichen Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den zeugnisverweigerungsberechtigten Personen sowie für die in § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO genannten Aufzeichnungen der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen über anvertraute Mitteilungen oder über andere Umstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstrecke.[55] Im Rahmen der Nr. 3 dürfe jedoch nichts anderes gelten. Auch der Anwendungsbereich dieser Nr. müsse im Hinblick auf den Sinnzusammenhang der Nr. auf entsprechende Gegenstände beschränkt bleiben.[56] Hieraus folgte für das LG Braunschweig und die anderen Vertreter einer derart restriktiven Auslegung, dass privilegiert nur ein solches Beweismittel sein könne, das an die Stelle des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen treten könne oder das durch ihn im Einzelnen erläutert werden müsse. Es sei erforderlich, dass das Beweismittel eigene Wahrnehmungen des Zeugen in vergegenständlichter Form enthalte, was auf Buchführungsunterlagen und Belege eines Beschuldigten, die von ihm, d.h. dem Beschuldigten, oder innerhalb seiner Firma von seinen Mitarbeitern gefertigt worden seien, nicht zuträfe. Eine Ausnahme vom Beschlagnahmeverbot nur für Gegenstände zuzulassen, die zum Zwecke des Versteckens vor den Verfolgungsbehörden an die zeugnisverweigerungsberechtigte Person weitergegeben worden sind, unterliege praktischen Bedenken.[57]
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Inzwischen scheint sich aber auch hier abzuzeichnen, dass sich eine Orientierung an den §§ 53, 53a StPO und dem Merkmal des Berufsbezugs durchsetzt.[58] Die grundsätzliche Ablehnung der Beschlagnahmefreiheit ist einer differenzierenden Auffassung gewichen. Hiernach sollen Geschäftsführungs- und Buchungsunterlagen vom Beschlagnahmeverbot erfasst werden, wenn sie dem Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer zur Erstellung von Jahresabschlüssen oder Steuererklärungen übergeben worden sind und solange sie für diese Zwecke benötigt werden, nicht dagegen, wenn den Berufsträgern lediglich die Buchführung obliegt und ihnen die Unterlagen nur zu diesem Zweck übergeben worden sind.[59] Da das Buchführungsprivileg der steuerberatenden Berufe nach §§ 1 Abs. 2 Nr. 2, 6 Nr. 3 StBerG gegen Art. 12 GG verstöße,[60] gehöre die Buchführungstätigkeit nicht zum Berufsbild des Steuerberaters und würde den §§ 53, 53a StPO nicht unterfallen.[61] Das Zeugnisverweigerungsrecht der §§ 53, 53a StPO und die Beschlagnahmefreiheit müssten dem Sinn und Zweck des § 97 StPO entsprechend jedoch korrespondieren.[62] Vergegenständlichte Erklärungen über deren Inhalt der Zeugnisverweigerungsberechtigte bei mündlicher Mitteilung nicht auszusagen bräuchte, müssten der Beschlagnahme daher konsequent entzogen werden.[63] Die entgegenstehende Auffassung sei zu eng und finde im Gesetzeswortlaut keine Stütze.[64] Gleiches muss aber wohl auch für die Beschränkung der Beschlagnahmefreiheit durch die nun herrschende Meinung auf den Zeitraum gelten, in dem die Unterlagen tatsächlich zur Erstellung von Jahresabschlüssen oder Steuererklärungen verwendet werden, da § 97 StPO nicht die bloße ordnungsgemäße Abwicklung eines Steuerberatungsmandates schützen will, sondern – so das LG Stade – das Geheimhaltungsinteresse des jeweiligen Auftraggebers, welches analog § 54 Abs. 4 StPO das zugrundeliegende Mandatsverhältnis überdauere.[65] Als Zwischenfazit zu den ersten beiden Fallgruppen bleibt daher festzuhalten, dass sich die herrschende Auffassung erkennbar gewandelt hat und nach und nach Konturen annimmt, auch wenn noch nicht alle Detailfragen endgültig beantwortet sind.[66] Die Erfolgsaussichten einer Verteidigung gegen die Beschlagnahme dürften in den verschiedenen Landgerichtsbezirken noch immer ebenso unterschiedlich sein wie der Einfluss nur geringfügiger Abweichungen der festgestellten Tatsachen groß.
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