209
Die Pflichtverletzung ist verschuldet, wenn die Unternehmensleitung gegen die ihr obliegende Pflicht einer ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitung verstoßen hat.[7] Führt die Unternehmensleitung z.B. trotz eindeutiger Hinweise auf ein dauerhaftes Fehlverhalten von Mitarbeitern keine unternehmensinterne Untersuchung durch, stellt dies eine verschuldete Pflichtverletzung dar. Die Unternehmensleitung begeht aber z.B. auch dann eine Pflichtverletzung, wenn sie die Untersuchung nur in einem Unternehmensteil durchführt, obwohl es Hinweise gegeben hat, dass es auch in anderen Unternehmensteilen zu der Begehung von Straftaten durch Mitarbeiter gekommen ist.
210
Durfte die Unternehmensleitung hingegen vernünftigerweise und auf der Grundlage angemessener Informationen annehmen, dass die durchgeführten Untersuchungen nach Art und Umfang ausreichend waren und dass sie zum Wohle der Gesellschaft durchgeführt wurden, fehlt es an einer Pflichtverletzung. Insoweit ist die Business Judgement Rule einschlägig.[8]
211
Neben einer Pflichtverletzung ist stets ein konkreter Schaden des Unternehmens Voraussetzung jedes Anspruches gegen die Unternehmensleitung. Es gilt der allgemeine Schadensbegriff der §§ 249 ff. BGB. Schaden ist somit jede Minderung des Gesellschaftsvermögens, so wie auch jede unterlassene Mehrung.[9] Unerheblich ist in einer Gesellschaft, ob sich der Wert der Anteile erhöht hat, da das Vermögen der Gesellschafter und das der Gesellschaft stets zu trennen ist.[10] Die Darlegungs- und Beweislast für den Eintritt und die Höhe des entstandenen Schadens trägt die Gesellschaft.[11]
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Führt die Unternehmensleitung eine Untersuchung durch, obwohl diese nicht oder nicht in diesem Ausmaß geboten war, so liegt der Schaden der Gesellschaft mindestens in der Höhe der zu viel getätigten Aufwendungen. Unterlässt die Gesellschaft hingegen eine unternehmensinterne Untersuchung, obwohl sie hierzu verpflichtet gewesen ist, dann ist die Bestimmung des Schadens weitaus schwieriger. Unternehmensinterne Untersuchungen als Teil der allgemeinen Corporate Compliance haben insbesondere eine Risikobegrenzungsfunktion.[12] Ziel einer unternehmensinternen Untersuchung ist die unternehmensinterne Sachverhaltsaufklärung und Ahndung des Fehlverhaltens. Hierdurch soll zum einen präventiv Fehlverhalten in der Zukunft verhindert werden, zum anderen eine bestmögliche Verteidigung des Unternehmens gegen drohende Bußgelder gewährleistet sein.[13] Anhand dieser Ziele lässt sich der potentielle Schaden bestimmen. Wird ein bereits begangenes Fehlverhalten nicht endgültig aufgeklärt, wiederholt es sich möglicherweise. Hierdurch drohen dem Unternehmen weitergehende Schäden, die bei Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung, Einstellung der Verstöße und ggf. Anpassung des Compliance-Systems möglicherweise nicht angefallen wären.
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Eine weitere Schadensquelle liegt in der Schadensminderungsfunktion unternehmensinterner Untersuchungen. Über die Zurechnungsnorm des § 30 OWiG besteht bei Gesetzesverstößen regelmäßig die Gefahr der Bußgeldsanktion des Unternehmens. Nur wer den gesamten Sachverhalt kennt, kann sich gegen diesen optimal gegenüber den Behörden und vor Gericht verteidigen. Je weniger ein Unternehmen hingegen den vorgefallenen Sachverhalt kennt, desto weniger kann es zur eigenen Verteidigung beitragen und ist den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft „ausgeliefert“. Zudem kann das Unternehmen aufgrund des regelmäßig besseren Einblicks meist schneller als die Staatsanwaltschaft ermitteln. Eine unternehmensinterne Untersuchung kann somit dazu führen, dass Ermittlungen und Verfahren gegen Unternehmen möglichst zeitnah abgeschlossen sind und das Unternehmen sich wieder dem operativen Geschäft als der eigentlichen Aufgabe widmen kann. Bei vollständiger Sachverhaltskenntnis kann sich das Unternehmen gegenüber den Behörden und vor Gericht besser verteidigen und möglicherweise durch eine Kooperation die Folgen für das Unternehmen erheblich mildern. Besonderes Beispiel ist hier das Kartellrecht, in welchem die Kronzeugenregelung in Kombination mit einer schnellen Sachverhaltsaufarbeitung große Vorteile bringt.[14]
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Der Nachweis der Kausalität zwischen Nichtdurchführung einer unternehmensinternen Untersuchung und Schadenseintritt wird oftmals schwer zu führen sein. Die Gesellschaft muss den Eintritt und Höhe des Schadens und die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vorstandsmitglieds und dem Schaden beweisen. Die betroffene Unternehmensleitung muss hingegen gem. § 93 Abs. 2 S. 2 AktG darlegen, dass sie nicht pflichtwidrig gehandelt hat.[15] Die Beweislastverteilung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG ist im Rahmen des § 43 Abs. 2 GmbHG analog anzuwenden und gilt damit nicht nur für die AG, sondern auch für die Unternehmensleitung einer GmbH und einer GmbH & Co. KG.[16] Also ist auch der Geschäftsführer einer GmbH verpflichtet nachzuweisen, dass er nicht pflichtwidrig gehandelt hat, wenn die Gesellschaft Eintritt, Höhe und Kausalität des Schadens bewiesen hat. Für die Geschäftsführer bedeutet dies, dass alle unternommenen Maßnahmen zur Aufklärung von Verstößen möglichst gründlich dokumentiert werden sollten.
b) Haftung der Unternehmensleitung gegenüber Aktionären bzw. Gesellschaftern
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Verstößt die Unternehmensleitung im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen gegen ihre Pflichten, ist neben der Haftung gegenüber der Gesellschaft auch eine Haftung gegenüber den Aktionären bzw. Gesellschaftern denkbar.
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Eine solche Haftung kann sich zum einen aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben, da die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft ein sonstiges Recht im Sinne der Vorschrift ist.[17] Handelt die Unternehmensleitung pflichtwidrig, bedeutet dies allerdings keinen Eingriff in die Mitgliedschaft, da die Mitgliedschaft nicht das Recht auf pflichtgemäße Unternehmensleitung beinhaltet.[18] Eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB im Rahmen einer Pflichtverletzung bzgl. der Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung scheidet somit aus.
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Denkbar ist wiederum eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266 StGB. Ein Teil der Literatur erachtet den § 266 StGB auch als einschlägig, insbesondere in der Form des Treubruchtatbestandes.[19] Dem ist zu widersprechen, da es sich bei § 266 StGB nicht um ein Schutzgesetz zu Gunsten der Aktionäre bzw. Gesellschafter handelt. Zwar handelt es sich, wie bereits gezeigt, bei § 266 StGB um ein Schutzgesetz. Allerdings schützt es nur denjenigen, gegenüber dem ein Treueverhältnis besteht. Die personale Selbstständigkeit der Gesellschaft führt aber dazu, dass die Treuepflichten der Unternehmensleitung nur gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber den einzelnen Aktionären bzw. Gesellschaftern bestehen.[20] Die Unternehmensleitung ist als handelndes Organ verpflichtet, die Vermögensinteressen der Gesellschaft zu wahren und zu verwalten. Eine Erstreckung der Treuepflicht des Vorstandes gegenüber den Aktionären und Gesellschaftern würde die Trennung von Aktionär/Gesellschafter und Gesellschaft verkennen.[21] Der BGH hat zu dieser Frage bislang noch keine Stellung nehmen müssen. Sieht man mit der erstgenannten Meinung § 266 StGB als Schutzgesetz zugunsten der Anteilsinhaber an, liegt der Schaden des Aktionärs bzw. Gesellschafters insbesondere darin, dass sein Anteil entwertet wird.[22] Grds. gilt der Haftungsmaßstab des § 93 Abs. 2 AktG nur gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber den Gesellschaftern.[23] Somit gilt im Verhältnis zu den Gesellschaftern der allgemeine Haftungsmaßstab des § 276 BGB und die Business Judgement Rule ist nicht unmittelbar anwendbar. Allerdings setzt eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB eine vorsätzliche Untreuehandlung des Schädigers voraus.[24] Fehlt es hieran, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB aus, da das Schutzgesetz nicht verletzt ist. Zudem ist auch die Business Judgement Rule bei der Beurteilung einer Strafbarkeit nach § 266 StGB anzuwenden ( Rn. 207).[25]
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