Cédric Herrou
mit Marion Gachet Dieuzeide und Michel Henry
Wie ein Bauer zum Fluchthelfer wurde
Mit einem Vorwort von Jean-Marie Gustave Le Clézio
Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer und Andrea Stephani
Rotpunktverlag
Dieses Buch erscheint mit der freundlichen Unterstützung der Paul Grüninger Stiftung.
Der Verlag bedankt sich dafür.
Der Rotpunktverlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021 bis 2024 unterstützt.
Die Originalausgabe ist 2020 unter dem Titel Change ton monde bei Editions Les Liens qui Libèrent in Paris erschienen.
© 2020 Editions Les Liens qui Libèrent, Paris
© 2022 Rotpunktverlag, Zürichfür die deutschsprachige Ausgabe
www.rotpunktverlag.ch
Umschlagfoto: Bertrand Gaudillère
Autorenporträt: Rebecca Marshall
eISBN: 978-3-85869-953-4
1. Auflage 2022
Vorwort
1. Primavera
2. Mein erstes Mal
3. Persona non grata
Der »autorisierte« Checkpoint
Das Gefühl, etwas nicht zu Ende gebracht zu haben
4. Zweifeln
Afrika
Hüttenträume
Dschungel
5. Die Kirche Sant’Antonio
Unnötige Risiken
Wohnwagen
6. Das aufgegebene Royatal
Ungehorsam sein
7. Meine »Mission«
Einfach wie Hubert
8. Petit Bouddha
9. Olivenfest
10. Kalt und pragmatisch
Staatlicher Rassismus
Aufnahmekrise
11. Über die Grenze
Vorausfahrzeug
Es funktioniert
12. Schleuser
Rechenaufgabe
Bullen und Prostitution
13. Die Lage kippt
Schneller machen
14. Zurück zum Ausgangspunkt
Plemplem
15. Demütigen
»Ist das hier ein Familienbetrieb?«
Frei!
Humanitäre Immunität
16. Der Panzer
Apnoetauchen
Die Tragödie der »Dublin-Flüchtlinge«
Fingerabdrücke
17. »Three days!«
Ein spezielles Departement
Die Unsichtbaren
Die sechs Unzertrennlichen
18. Das Arianeviertel
Soso, der Rebell
Gesichtskontrollen
19. Milet, ein Tod zu viel
20. Nicht nur Gehässigkeit und Denunziation
Die Tränen des Gendarmen
Mit den Medien zusammenarbeiten
21. Die amerikanische Zeitung
Der Medienkrieg
»Du bist erledigt, kaputt, dead!«
22. »Help me!«
Campingplatz Cédric Herrou (CCH)
23. Paranoid
24. Wir besetzen Les Lucioles
Rausschmuggeln
25. Ende der Immunität
»Polizeigewahrsam, Cédric!«
Keine Immunität
26. »Côte-d’Azur-Bürger des Jahres«
Vergebliche Klage
27. Der Prozess
28. Ein Sieg für die Minderjährigen
Erfolgreiche Einsprache beim Richter
29. Feinde der Republik
Die Roya-Opas und -Oma
30. Der Brief an den Staatsanwalt
Florent
31. Die Schöne mit dem strahlenden Lächeln
Unmögliche Gleichheit
Missbrauch durch Freiwillige
32. Asyl, hast du es geschafft?
Der Auslöser
Sieg vor dem Verwaltungsgericht
Eine kleine Zugfahrt
»No good!«
33. Der gesetzlose Präfekt
Das Recht ist mit uns
34. Campingplatz Unterpräfektur
Die Rolle der Frauen
Roya Citoyenne
Doktor XY
35. Die zwei Cédric
Meine Geschichte verkauft sich
Medienrummel oder Information?
36. Der lange Marsch
»Vielleicht könnte sich der Präfekt ein Vorbild nehmen«
»Zu Fuß? Aber wie soll das gehen?«
Brennende Füße
37. Hochsicherheitscamping
Jagd auf Schatten
Niederlage vor Gericht
Der Streich mit dem Absperrband
38. Die Falle
Die Sperren verschwinden
Ausweispapiere made in La Roya
Die morgendliche Prozession
39. Die Razzia in Cannes
Das Eiserne Kreuz
Zias Lektion in Sachen Recht
40. Zusammengepfercht wie Vieh
»Ihr hättet aufräumen können!«
Fake Scoop
41. Vorgeladene Kunden und Peilsender
Peilsender
»Störung der öffentlichen Ordnung«
42. Ein »Fürstentum« in Gefahr
Verbissener Angriff auf Martine Landry
43. Der Hütten-Jackpot
Blockiertes Geld
44. Humanitäre Touristen
45. Ein schick angezogener Schleuser
Denunziation und Bedauern
»Das wahre Wesen von Herrou«
Die widersprüchlichen Aussagen von Monsieur Waxaaley
46. Die Niedergeschlagenheit der shebabs
Babakars Albträume
Seelische Zusammenbrüche
47. Ismaël oder die libysche Hölle
Kentern
Das Meer begräbt alles
48. Gesetzlich anerkannte Brüderlichkeit
49. Die Erfindung einer »Gegenleistung für Aktivisten«
Der Fall Les Lucioles
»Strafe zur Mahnung«
50. »Juristische Belästigung«
»Ist es vielleicht dumm und altmodisch, das zu sagen?«
Schluss mit der »Gegenleistung für Aktivisten«
51. Libre , der Film
Bordkamera
Beim Festival von Cannes
Auf den Stufen
Standing Ovations
52. Emmaüs Roya
Ein legaler Status
»Hilf mir helfen!«
Sich einordnen
53. Das Land den Bauern
Bauerntrampel und Nichtsnutze
Zehn Tonnen
Mit Regeln leben
Elfter Polizeigewahrsam
54. Das Bol d’air
Platanenholzweg
Das Gegenteil von Utopie
55. Ändere deine Welt
Enttäuschungen
Fokussierung
Fragen
Ausbeutung
Ansteckung
Konsum
Übergang
Als Cédric Herrou im Frühjahr 2016 auf dem Heimweg von Ventimiglia zu seinem Hof in Breil-sur-Roya ist, fährt er an einer afrikanischen Familie vorbei, die am Straßenrand entlangläuft. Er kehrt um, lässt die Familie einsteigen und nimmt sie mit nach Hause, bis er sie am nächsten Tag in den Zug setzen kann. In den Augen der Eltern liest er Angst, Erwartung, Beklommenheit, auch einen Hilferuf und in denen der Kinder Entschlossenheit, jugendliche Selbstsicherheit und die Erfahrung des Schmerzes. Ihre Blicke treffen ihn unmittelbar ins Herz, und so lässt er sich auf ein Abenteuer ein, das von da an Mittelpunkt und Sinn seines Lebens wird.
Er, der seit seiner Kindheit in Nizzas Armenviertel Ariane – das nichts mit den Weltraumraketen zu tun hat, eher noch mit dem erbarmungslosen Labyrinth des Minotaurus –, einer Art Niemandsland, wohin die Unerwünschten, Habenichtse, Eingewanderten, Gitanos und die ehemaligen Bewohner der Innenstadt, die sich keine andere Wohngegend mehr leisten können, verbannt worden sind und wo er in einer gemischten, teils aus der Bretagne, teils aus Italien stammenden Familie aufwuchs, in der es sogar eine von den Nazis verfolgte deutsche Großmutter gab, er, der bis dahin nichts Besonderes aus seinem Leben gemacht hatte, nicht viel für die Schule tat, zu Träumereien neigte und auf Reisen durch das subsaharische Afrika nach dem idealen Leben gesucht hatte, sich für keine politische Partei interessierte und allem misstraute, was ihm als geschlossene Gesellschaft, als Privilegiertenclub erschien, er beschließt, gegen das System Krieg zu führen, nicht weil er sich plötzlich politisch engagieren wollte, sondern weil es für ihn zutiefst inakzeptabel ist, dass menschliche Wesen, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben und aus einem wirtschaftlich schwachen Land kommen, an der Grenze zurückgewiesen werden – eine brutale, rassistische, ungerechte Praxis, die gegen alle Gesetze verstößt, die, von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen inspiriert, auch von Europa erlassen worden sind.
Читать дальше