Laura Melina Berling - Selma, Küsse, Kuddelmuddel

»Aber ich bin doch erst zwölf«, seufzte ich. »Na dann wird es ja höchste Zeit.« Sarah strich sich die Haare hinters Ohr und grinste. Auch ihre Ohrringe glitzerten heute. Warum hatte ich nichts Glitzerndes an? »Erst kommen die Brüste, dann die Tage und schwups bekommst du deinen ersten Kuss.« Ich starrte Sarah schockiert an. »Waaas?« Warum denn jetzt küssen? Wen überhaupt? Ich will niemanden küssen.

Der Bus machte eine scharfe Kurve und wir kicherten, als wir aneinandergedrückt wurden. Ich flüsterte Sarah ins Ohr: »Hast du schon mal jemanden geküsst?« Sie grinste erneut. »Klar, ich hab auch einen Freund.« Oha. »Echt?«, rief ich. Sarah nickte und ihre Ohrringe wippten. »Klar. Irgendwann ist es Zeit. Mit zwölf oder 13 den ersten Kuss, dann den ersten Freund und mit 16 sollte man schon das erste Mal haben.« Ich sah Sarah entsetzt an. »Oh. So ist das«, murmelte ich irgendwie panisch.

Eine Stimme über unseren Köpfen ließ Sarah und mich heftig zusammenzucken. »Also da solltet ihr euch echt nicht unter Druck setzen. Das ist bei jeder Person unterschiedlich und man sollte sich mit so etwas Zeit lassen.« Nelly hatte ihre Kopfhörer abgesetzt und nickte uns wissend zu.

»Du sollst uns nicht belauschen!«, rief Sarah empört. Nelly verdrehte die Augen und lachte. »Wollte ich ja auch nicht, aber Selma wollte ich sagen, dass sie gleich rausmuss. Wir haben uns damals so sehr unter Druck gesetzt mit diesem Zeug, dass wir Sachen gemacht haben, die wir nicht wollten. Ich finde, es ist also meine Pflicht, euch als erwachsene Frau, also fast, zu sagen, dass ihr da in euch reinhören dürft, was sich gut anfühlt und was nicht, und dass ihr das auch offen sagen dürft. Also wenn ihr etwas nicht möchtet.«

Sarah war offensichtlich nicht begeistert von Nellys Erklärung. »Du bist doch nicht unsere Mutter oder so.«

»Nee«, erwiderte Nelly. »Zum Glück nicht. Für Kinder bin ich echt nicht bereit. Tut mir leid, wollte dir nicht zu nahetreten, Sarah. Aber so was ist doch gut zu hören. Also dass man da entspannt sein sollte.« Sie lächelte entschuldigend. Sarah verdrehte die Augen und schaute sauer. Doch Nelly setzte einen Hundeblick auf, bis wir lachten. Anschließend drückte sie auf den »Stopp«-Knopf und nickte mir zu. »Deine Haltestelle, Selma. Und ich schwöre, ich lass euch mehr Privatsphäre, ok?«

»Jaja«, sagte Sarah. »Nervt einfach, dass ich so selten wirklich alleine bin.« »Versteh ich gut.« Nelly nickte.

Der Bus hielt, ich drückte Sarah einen Kuss auf die Wange, den sie grinsend erwiderte, und winkte Nelly dankbar zu. Dann schnappte ich meinen Rucksack und hechtete ins Schulgebäude.

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