Im Gesamtergebnis stieß Frey zwar auf einige belastbare Studien, die Effekte narrativer Darstellungsmodi auf die (kurzfristige) Erinnerung und auch Einstellungen sowie für Wirkungen auf Intentionen belegen (Frey 2014, S. 165). Doch wenn, so führt Frey kritisch aus, eine bestimmte Tendenz feststellbar sei, lägen fast immer auch gegenteilige Befunde sowie Studien ohne statistisch abgesicherte Ergebnisse vor (ebd., S. 166). Tendenzielle Belege oder Hinweise, allerdings mit eingeschränkter Aussagekraft, fand er in folgenden Bereichen:
„Narrative Kommunikate scheinen im Vergleich zu nicht oder weniger narrativen mehr Aufmerksamkeit zu generieren, eher holistisch verarbeitet zu werden, die Vorstellungstätigkeit bei der Rezeption stärker anzuregen und (auf der Basis von objektiven Maßen wie Lesezeiten) verständlicher zu sein. Sie werden als lebhafter und realistischer eingeschätzt, steigern die Selbstwirksamkeitserwartung der Rezipienten bezüglich eines thematisierten Themas, werden tendenziell kurz- und mittelfristig besser erinnert und haben intensiveres Erleben spezifischer Emotionen während der Rezeption zur Folge als nicht narrative Botschaften “ (Frey 2014, S. 166).
Frey stellte aber auch negative Effekte narrativer Kommunikation fest: Demnach werden narrative Botschaften als weniger informativ wahrgenommen und mittelfristig schlechter bewertet als nichtnarrative (Frey 2014, S. 166f.). Keine Über- oder Unterlegenheit narrativer Kommunikation könne für die subjektiv wahrgenommene Verständlichkeit, für botschaftskonforme Überzeugungsänderungen und den kurzfristig erhobenen Wissenserwerb konstatiert werden. Denn: Signifikante Befunde in beide Richtungen hielten sich die Waage (ebd., S. 167). Der Kommunikationsforscher hält ein Mehr an methodisch hochwertigen Studien für notwendig, besonders wichtig seien jedoch stärker theoretisch-konzeptionell ausgerichtete Arbeiten (ebd., S. 171).
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Ettl-Huber et al. (2019) in einer Analyse von 62 wissenschaftlichen Beiträgen zur Wirkungsforschung von Storytelling, in denen 76 Einzelstudien durchgeführt worden waren. Demnach weisen 37 Beiträge methodische Mängel auf. So waren z. B. bei fast der Hälfte der 76 Einzelstudien ausschließlich Schüler:innen oder Studierende die Proband:innen, entsprechende Aussagen konnten also nur auf diese eine, junge Zielgruppe und nicht in Bezug auf die Gesamtbevölkerung getroffen werden (Ettl-Huber 2019, S. 38).
Die stärksten Effekte konnten laut dieser Metastudie bei Verständlichkeit, Überzeugungskraft/Handeln und Erinnerung bewiesen werden. Glaubwürdigkeit zeigt demnach neben einem starken Effekt auch drei mittlere Effekte (Ettl-Huber et al. 2019, S. 37). Dass die meisten starken Effekte für die Emotionalisierung festgestellt werden konnten, bedeute nicht, dass damit in Marketingkommunikation, PR und Journalismus bereits eine relevante Wirkung beschrieben werde. „Denn eine emotionalisierte LeserInnenschaft bedeutet noch kein kaufendes oder zustimmendes Publikum“ (ebd.). Ettl-Huber et al. weisen zudem auf zwei „eher ernüchternde Ergebnisse zur Wirkung von Storytelling“ (ebd., S. 38) hin. Erstens wurden unter den analysierten Beiträgen 28 kleine, 7 mittlere und 15 starke Effekte konstatiert – in der deutlichen Mehrzahl handelt es sich also um kleine Effekte (ebd.). Und: Ein bebilderter Beitrag oder Bewegtbildbeiträge „erzielen, zumindest was die Wirkungsdimension Interesse betrifft, die stärkere Wirkung als die beste Story“ (ebd.).
Ähnlich ernüchternd fallen zentrale Ergebnisse einer systematischen Untersuchung zu Wahrnehmungen und zur Wirkung von Nachhaltigkeitsgeschichten von 2017 bis 2020 an der Leuphana Universität Lüneburg aus. Die Nachhaltigkeitsstory hatte im Vergleich zu klassischen Berichten „weder eine positive Wirkung auf das situative Interesse noch auf die umweltschutzbezogenen und konsumbezogenen Handlungsabsichten der jungen Erwachsenen“ (Sundermann 2020).
All diese geschilderten Sachverhalte, Entwicklungen und Faktoren lassen die Entwicklung einer alternativen bzw. neuen Kommunikations- und Darstellungsform, in der die Stärken des Storytellings genutzt und die beschriebenen Risiken vermieden werden, sinnvoll und notwendig erscheinen. Darin liegen der Impetus und die Programmatik dieses Buches. Im Fokus steht dabei zentral die Frage: Wie können ein Kommunikationsprinzip sowie eine Methode zur Darstellung und Vermittlung von Erfahrungswissen, Sachverhalten oder auch Produkten aussehen, welche die Stärken und die sich ergebenden Chancen des Storytellings nutzen, die Schwächen ausgleichen sowie die Risiken reduzieren – und dabei den zentralen Herausforderungen der (digitalen) Transformation gerecht werden? Das Buch liefert dazu die Storyporting-Methode als eine Möglichkeit bzw. als einen zu diskutierenden Vorschlag: Seriöses Storytelling konvergiert mit evidenzbasiertem, ethikgeleitetem und zukunftsorientiertem Reporting, woraus eine Kommunikationsform entsteht, die u. a. subjektive Wahrnehmung und Analyse sowie Emotion und Kognition verbindet.
Ausgangspunkt und Grundlage für die Methodenentwicklung ist eine ausführliche literaturbasierte Bestandsaufnahme zum Einsatz des Storytellings in verschiedenen Bereichen, darunter Unternehmens- und Behördenkommunikation, Marketing, Events, klassische und soziale Medien, politische und Nachhaltigkeitskommunikation. Sie mündet in eine SWOT-Analyse (→ Kapitel 1). Wissend darum, dass der Begriff des Narrativs wie auch des Storytellings teilweise inflationär verwendet wird (Müller 2020, S. 25) und es sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kommunikationspraxis kein einheitliches Begriffsverständnis gibt (Prinzing 2015, S. 13), folgen wir dabei maßgeblich dem Diktum von Früh und Frey: Erzählen ist grundsätzlich eine „funktionale Kulturtechnik“ (Früh/Frey 2014, S. 9), die unter dem Oberbegriff ,Verständigung‘ oder ,Kommunikation‘ zusammenzufassen ist (ebd., S. 9f.).
„Narration ist also eine bestimmte Art der Verständigung bzw. Kommunikation. Je nach Gegenstand und Ziel der Verständigung haben sich deshalb diverse Varianten des Narrativen herausgebildet, bei denen die narrative Grundfunktion durch einzelne Spezifika zu prototypischen Definitionen diversifiziert wird“ (Früh/Frey 2014, S. 10).
Eine solche prototypische Definition, die uns sinnvoll auf verschiedene Einsatzfelder anwendbar erscheint, liegt darin, dass Storytelling eine Methode ist, um Informationen, Sachverhalte, Aussagen, Ereignisse und auch Erfahrungswissen erzählend, damit „dramaturgisch konstruiert“ (Prinzing 2015, S. 14), statt in nüchtern-darstellender bzw. nachrichtlicher Form zu vermitteln. Mitberücksichtigt wird das von Ettl-Huber erarbeitete und auf Erzähltextanalysen von Lahn und Meister basierende Storytelling-Elemente-Repertoire von Thema, Handlung, Figur, Zeit, Raum, Erzählinstanz, Rede und Stil (Ettl-Huber 2019, S. 28; Ettl-Huber 2014, S. 16; Lahn/Meister 2013, S. 204). Die narrative Grundstruktur lässt sich wiederum mit Müller, in Rückgriff auf die Poetik von Aristoteles, so fassen: Ausgangszustand – Transformation, durch ein Ereignis ausgelöst – Endzustand (Müller 2020, S. 23).
Aus der Bestandsaufnahme und der SWOT-Analyse zum Einsatz von Storytelling sowie dem anschließenden makroperspektivischen Blick auf gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische sowie kommunikative Strukturfaktoren und Entwicklungen wird im → Kapitel 2 Storyporting als Kommunikationsprinzip erwünschter Konvergenz abgeleitet – insbesondere vor dem Hintergrund stark polarisierender Tendenzen und des „kommunikativen Klimawandels“ (Pörksen/Schulz von Thun 2020, S. 16) in der heutigen digitalen Gesellschaft. Daraus wiederum wird in → Kapitel 3 Storyporting als dreistufige Kommunikations- und Darstellungsmethode entwickelt. An zahlreichen Anwendungsbereichen, neuen Tools und Formaten werden die konkreten Einsatzmöglichkeiten des Storyportings dargestellt, u. a. im Kontext von Zukunftscamps in Unternehmen/Organisationen und nachhaltiger Entwicklung, als Lerntool, neuem Talkshow-Format oder als szenisches Spiel von Transformationsprozessen (→ Kapitel 4). Schließlich geht es um Überlegungen dazu, wie Storyporting in der wissenschaftlichen Methodik verortet werden kann (→ Kapitel 5).
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