Der junge Baron, der in diesem Augenblicke eintrat, mußte wohl darauf gerechnet haben, die Schwester allein zu finden, denn er sagte mit offenbarer und nicht ganz angenehmer Ueberraschung:
„Du hier, Papa? Ich hörte doch, Du hättest drüben in der Bibliothek eine Conferenz mit unserem Rechtsanwalte.“
„Wir sind bereits zu Ende, wie Du siehst.“
Curt schien der besagten Conferenz fast eine längere Dauer gewünscht zu haben, indeß er erwiderte nichts, sondern ging zu seiner Schwester und nahm vertraulich an ihrer Seite Platz. Er war in der That erst heute Mittag aus der Provinz eingetroffen; ein eigenthümlicher, dem Baron im höchsten Grade fataler Zufall hatte es gewollt, daß das Regiment, bei welchem sein ältester Sohn stand, gerade jetzt in die Stadt verlegt wurde, die den Berkow’schen Besitzungen zunächst lag, gerade jetzt, wo man alle Beziehungen dort abgebrochen hatte! Von einem längeren Urlaube des jungen Officiers konnte nicht die Rede sein, da die soeben ausbrechende Bewegung der Arbeiter in dortiger Gegend die ganze Provinz in Aufregung versetzte. Es standen Unruhen und demzufolge das Einschreiten des Militärs zu erwarten – da konnte sich Curt dem Dienste nicht entziehen. Er reiste also ab, mit der gemessenen Weisung des Vaters, in seiner neuen Garnison, wo man natürlich Berkow sehr genau kannte, die bevorstehende Scheidung für jetzt noch zu verschweigen. Der Baron hielt an der Taktik fest, der Welt erst die Thatsache gegenüberzustellen, und im Uebrigen hegte er die stillschweigende Voraussetzung, daß sein Sohn jede persönliche Berührung mit dem einstigen Verwandten möglichst vermeiden werde.
Die Voraussetzung schien auch einzutreffen, wenigstens wurde Arthur’s Name in den Briefen nie genannt und die Verhältnisse auf seinen Besitzungen nur sehr beiläufig erwähnt, bis Curt in einer dienstlichen Angelegenheit nach der Residenz beordert wurde. Während der wenigen Stunden seines Hierseins hatte man sich nicht aussprechen können. Bei Tische hatte die Gegenwart einiger Gäste der Familie Zwang auferlegt; jetzt aber, wo durch die geforderte Unterschrift Eugeniens der sonst streng vermiedene Punkt einmal berührt war, erkundigte sich der Baron auch mit jener Gleichgültigkeit, mit der man nach dem Ergehen eines sehr entfernten Bekannten fragt, wie es denn eigentlich auf den Berkow’schen Gütern stände.
„Schlimm, Papa, sehr schlimm!“ sagte Curt, indem er sich dem Vater zuwandte, ohne jedoch seinen Platz neben der Schwester aufzugeben. „Arthur wehrt sich wie ein Mann gegen das Unglück, das von allen Seiten auf ihn einstürmt, aber ich fürchte, er wird ihm doch zuletzt unterliegen. Er hat es zehnfach schlimmer als seine Collegen auf den übrigen Werken; all’ die Sünden, die sein Vater mit einer zwanzigjährigen Tyrannei und Ausbeutung, mit den unsinnigsten Speculationen der letzten Zeit aufgehäuft hat, muß er jetzt büßen. Ich begreife nicht, wie er sich in dem Kampfe noch überhaupt aufrecht erhält. Ein Anderer wäre längst unterlegen.“
„Wenn die Bewegung ihm über den Kopf wächst, so wundert es mich, daß er noch nicht militärische Hülfe in Anspruch genommen hat,“ meinte der Baron ziemlich kühl.
„Das ist’s ja eben, daß er in dem Punkte keine Vernunft annehmen will! Ich“ – hier brach die ganze aristokratische Rücksichtslosigkeit des jungen Erben von Windeg durch – „ich hätte längst unter die Kerle schießen lassen und mir mit Gewalt Ruhe geschafft! Anlaß dazu haben sie ihm wahrhaftig genug gegeben, und wenn ihr Rädelsführer so weiter hetzt, wie er es jetzt Tag für Tag thut, so werden sie ihm noch nächstens das Haus über dem Kopfe anzünden – aber das hilft Alles nichts. ‚Nein und abermals nein‘, und ‚so lange ich mich noch allein wehren kann, setzt kein Fremder den Fuß auf meine Werke!‘ Da helfen weder Bitten noch Vorstellungen. Und, offen gestanden, Papa, man sieht es im Regimente sehr gern, wenn unsere Hülfe nicht verlangt wird, wir haben sie nur zu oft leisten müssen in den letzten Wochen. Auf den anderen Werken war es nicht halb so schlimm wie auf den Berkow’schen, und doch hatten die Herren nichts Eiligeres zu thun, als nach Schutz und Soldaten zu rufen und sich mit ihren eigenen Leuten auf den Kriegsfuß zu stellen. Es sind da häßliche Scenen vorgekommen, und wir fahren am schlimmsten dabei. Mit Härte vorgehen soll man nicht, wo es sich nur irgend vermeiden läßt; seiner Autorität etwas vergeben soll man auch nicht, und doch die Verantwortung tragen für Alles, was geschieht. Darum rechnen es auch der Oberst und die Cameraden dem Arthur hoch an, daß er bis jetzt noch ganz allein mit seinen Rebellen fertig geworden ist und auch ferner mit ihnen fertig werden will, obgleich es gerade bei ihm am ärgsten zugeht.“
Eugenie hörte in athemloser Spannung dem Bruder zu, der sie für ganz unbetheiligt bei der Sache zu halten schien, denn er wandte sich mit der Erzählung ausschließlich an seinen Vater. Dieser dagegen, der schon mit steigendem Mißfallen das wiederholte „Arthur“ bemerkt hatte, dessen sein Sohn sich bediente, sagte jetzt mit zurechtweisender Kälte:
„Du und Deine Cameraden, Ihr scheint ja sehr genau über Alles unterrichtet zu sein, was da draußen bei Berkow vorgeht.“
„Die ganze Stadt spricht davon!“ versicherte Curt unbefangen. „Was mich betrifft, ich war allerdings ziemlich oft draußen.“
Der Baron fuhr fast in die Höhe bei diesem Geständniß. „Du warst bei ihm auf seinen Gütern? Und das sogar öfter?“
Ob der junge Officier die innere Bewegung bemerkt hatte, die sich bei seinen letzten Worten in den Zügen Eugeniens bemerkbar machte, er schloß ihre Hand auf einmal fest in die seinige, während er seinen unbefangenen Ton beibehielt.
„Nun ja, Papa! Du befahlst mir ja über die bewußte Angelegenheit noch zu schweigen, und da wäre es doch aufgefallen, wenn ich meinen Schwager völlig ignorirt hätte, zumal in seiner augenblicklichen Lage; das Hinausfahren war mir ja nicht verboten.“
„Weil ich glaubte, Dein eigenes Tactgefühl würde Dir dergleichen verbieten,“ rief Windeg im höchsten Grade gereizt. „Ich setzte voraus, daß Du diese Beziehungen meiden würdest; statt dessen hast Du sie geradezu aufgesucht, wie es scheint, ohne mir auch nur ein Wort davon zu schreiben. Wahrhaftig, Curt, das ist stark!“
Curt hätte, um die Wahrheit zu sagen, bekennen müssen, daß er ein directes Verbot gefürchtet und es deshalb wohlweislich vorgezogen hatte, das ganze Vergehen, brieflich wenigstens, zu verschweigen. Er hegte sonst einen unbedingten Respect vor dem zornigen Stirnrunzeln seines Vaters; heute aber schien die Gegenwart Eugeniens diesem Respect das Gleichgewicht zu halten. Sein Auge begegnete dem ihrigen, und was er darin sah, mußte ihm wohl die väterlichen Vorwürfe erträglicher machen, denn er lächelte sogar, als er ganz unbekümmert erwiderte:
„Ja, Papa, ich kann doch nicht dafür, daß ich Arthur so lieb gewonnen habe! Du hättest es auch gethan an meiner Stelle. Ich versichere Dir, er kann von einer ganz hinreißenden Liebenswürdigkeit sein, wenn er nur nicht immer so furchtbar ernst wäre, aber freilich, das steht ihm ganz ausgezeichnet. Ich habe ihm noch gestern beim Abschiede gesagt: ‚Arthur, wenn ich Dich früher so gekannt hätte –‘“
„‚Dich?‘“ unterbrach ihn der Baron mit seiner allerschärfsten Betonung.
Der junge Officier warf ziemlich trotzig den Kopf zurück. „Nun ja, wir sind Du und Du geworden! Das heißt, ich bat ihn darum, und ich sehe auch nicht ein, warum wir einander nicht so nennen sollen. Er ist ja doch mein Schwager.“
„Die Schwagerschaft hat ein Ende!“ sagte der Baron kalt, nach dem Schreibtisch zeigend, „dort liegt der Scheidungsantrag.“
Curt warf einen nicht allzu zärtlichen Blick auf das bezeichnete Blatt. „Ja so, die Scheidung! Hat Eugenie schon unterschrieben?“
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