Elisabeth sah ihn ganz erstaunt an. Darcy fasste sich wieder, rückte etwas ab und fragte, indem er eine Zeitung vom Tisch nahm und in ihr zu blättern begann, in beherrschterem Tone: »Wie gefällt Ihnen Kent?«
Ein auf beiden Seiten ruhig und sachlich geführtes Gespräch über die Schönheiten der Landschaft folgte, bis es durch den Eintritt von Charlotte und ihrer Schwester unterbrochen wurde, die gerade von ihrem Gang zurückgekehrt waren. Auf ihren Gesichtern stand die Verwunderung über den unerwarteten Besuch deutlich zu lesen. Darcy beeilte sich, die Geschichte von seinem Irrtum zu wiederholen, durch den er Miss Bennet gestört habe; und nachdem er noch einige Augenblicke schweigend dagesessen hatte, erhob er sich und ging.
»Was soll denn das bedeuten?« sagte Charlotte, als er fort war. »Meine liebe Lizzy, er muss sich in dich verliebt haben, sonst hätte er uns niemals einen so zwanglosen Besuch gemacht!«
Aber als Elisabeth berichtete, wie er sich die ganze Zeit ausgeschwiegen habe, glaubte selbst Charlotte nicht mehr recht daran, dass etwas Wahres an ihrer Vermutung sein könne. Schließlich einigten sie sich dahingehend, dass sein Besuch erfolgt sei, weil er sich langweilte. Das war auch bei der gegenwärtigen Jahreszeit das wahrscheinlichere. Für Sport war das Wetter zu unsicher, und auf Rosings gab es zwar Bücher, einen Billardtisch und Lady Catherine, um ihm und seinem Vetter die Zeit zu verkürzen, aber ein junger Mensch kann ja nicht den ganzen Tag in ein und denselben vier Wänden hocken.
So kamen denn in der Folge die beiden Vettern fast jeden Tag zum Pfarrhaus, sei es, dass der Weg dorthin oder die Schönheit seines Gartens oder die Liebenswürdigkeit seiner Bewohner sie zu diesen Besuchen veranlasste. Manchmal kam nur einer, manchmal waren sie beide dort, und bisweilen wurden sie sogar von ihrer Tante begleitet. Es wurde bald allen klar, dass Oberst Fitzwilliam ihre Gesellschaft besonders gern genoss, was sein Ansehen in ihren Augen natürlich nur verstärkte. Er erinnerte Elisabeth oft an ihren früheren Verehrer Wickham; zwar besaß Oberst Fitzwilliam nicht dessen freundliches Wesen, aber an Bildung schien er ihm weit überlegen.
Weswegen Darcy aber fast ebensooft zu Besuch kam, das war bedeutend schwieriger zu erraten. Der Unterhaltung und Gesellschaft zuliebe tat er es sicher nicht, denn er sprach oft eine Viertelstunde lang kein einziges Wort; und wenn er etwas sagte, dann erweckte er den Eindruck, als ob er es nur tat, um nicht unhöflich zu erscheinen, und nicht etwa deshalb, weil es ihm vielleicht Freude machte. Innerlich beteiligt an der Unterhaltung schien er nie zu sein. Mrs. Collins konnte nicht klug aus ihm werden. Sie kannte ihn zwar nicht genügend, um zu wissen, dass er sonst anders war, aber seines Vetters gutmütiger Spott über seine Langweiligkeit ließ sie das immerhin vermuten. Und da sie hoffte, dass sein verändertes Wesen den Grund in einer Verliebtheit und diese Verliebtheit wiederum ihren Grund in der Person ihrer Freundin Lizzy habe, machte sie sich mit allem Ernst daran, sich darüber Gewissheit zu verschaffen. Sie beobachtete Darcy, so oft sie auf Rosings war, und sie beobachtete ihn, wenn er nach Hunsford kam, und verglich dann sein Benehmen dort mit dem in ihrem eigenen Hause, aber richtig daraus klug wurde sie nicht. Er ließ zwar ihre Freundin kaum aus den Augen, aber seinen Gesichtsausdruck dabei zu deuten erschien ihr als ein höchst zweifelhaftes Unterfangen; bald deutete sein offener, ruhiger Blick auf beherrschte Bewunderung und im nächsten Augenblick schien er wieder völlig geistesabwesend zu sein.
Ein paarmal hatte sie Elisabeth gegenüber von der Möglichkeit gesprochen, er könne für sie eine besondere Vorliebe haben. Aber Elisabeth hatte sie nur ausgelacht; und Mrs. Collins meinte danach, es sei wohl am klügsten, das Thema nicht weiter zu verfolgen, sonst könne man Gefahr laufen, Hoffnungen zu erwecken, die mit einer Enttäuschung endeten. Denn sie zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass die Abneigung ihrer Freundin wie Rauch zergehen würde, sobald es ihr zum Bewusstsein komme, dass sie sein Herz erobert habe. Einer von den freundschaftlichen Plänen, die Charlotte für Elisabeths Zukunft schmiedete, sah auch eine Heirat mit Oberst Fitzwilliam vor. Er war ohne Zweifel der nettere von den beiden Vettern; seine Bewunderung für die Freundin war ganz offensichtlich, und seine gesellschaftliche Stellung machte ihn zudem noch zu einer guten Partie. Zu bedenken war allerdings für Mrs. Collins auch, dass Darcy als Patronatsherr in kirchlichen Fragen einen Einfluss besaß, wie Fitzwilliam ihn niemals erreichen würde. Und Mrs. Collins war nun einmal jetzt die Gattin eines Pfarrers.
Dreiunddreissigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Mehr als einmal begegnete Elisabeth auf ihren ziellosen Spaziergängen kreuz und quer durch den Park Mr. Darcy. Sie empfand das als einen weiteren Beweis für die Bosheit des Zufalls, der Darcy ausgerechnet dorthin führen musste, wo sonst kein Mensch zu gehen pflegte. Das störte sie; sie wollte ihm nicht begegnen, und deshalb gab sie ihm mit aller Deutlichkeit zu verstehen, dass sie sich diese Wege mit besonderer Vorliebe aussuche.
Und nun lief er ihr da immer wieder in den Weg. Das konnte nur entweder absichtliche Bosheit oder auch eine Art freiwilliger Buße sein; denn es blieb jedesmal nicht bei ein paar höflichen Fragen, er hielt es stets für unerlässlich, sie bis nach Hause zu begleiten. Er sagte nicht viel, und sie nahm sich nicht die Mühe, ihm genau zuzuhören oder gar selbst etwas zu reden; aber bei ihrem dritten Zusammentreffen fiel es ihr doch auf, dass er recht merkwürdige und unzusammenhängende Fragen stellte: wie es ihr in Hunsford gefalle, weswegen sie immer allein spazieren gehe, was sie von Mr. und Mrs. Collins halte und ob sie wohl glücklich miteinander seien. Und als er von Rosings sprach, erhielt sie den Eindruck, als ob er erwarte, dass sie bei ihrem nächsten Besuch in Kent dort wohnen werde. Seine Worte waren gar nicht anders zu verstehen. Ob er wohl dabei an Fitzwilliam dachte? Er musste etwas Ähnliches meinen, wenn er überhaupt etwas meinte. Das beunruhigte sie ein wenig, und sie fühlte sich richtig erleichtert, als sie endlich vor dem Gartentor des Pfarrhauses anlangten.
Eines Tages, als sie während ihres Spaziergangs einen Brief von Jane las, der offenbar in sehr gedrückter Stimmung geschrieben war, hörte sie wieder Schritte sich nähern, und als sie aufsah, erblickte sie nicht Darcy, sondern Fitzwilliam, der ihr entgegenkam. Sie steckte den Brief sogleich fort und zwang sich zu einer heiteren Miene: »Ich wusste gar nicht, dass Sie auch gern hier spazierengehen.«
»Ich habe mir soeben — wie jedes Jahr — den ganzen Park genau angesehen und wollte meinen Weg im Pfarrhaus enden lassen. Wollen Sie noch sehr viel weitergehen?«
»Nein, ich wäre sowieso bald umgekehrt.«
Sie ging den Weg, den sie gekommen war, mit ihm zusammen zurück.
»Wollen Sie wirklich schon Sonnabend abreisen?« fragte Elisabeth.
»Ja, falls Darcy sich nicht wieder anders besinnt. Ich richte mich ganz nach ihm und lasse ihn tun, was ihm Spass macht.«
»Und wenn er auch nicht alles so tut, dass es ihm Spass macht, so hat er doch jedenfalls das Vergnügen, bestimmen zu dürfen. Ich kenne niemanden, dem es mehr Vergnügen macht, zu tun oder zu lassen, was er will, als Mr. Darcy.«
»Ja, er liebt es sehr, seine eigenen Wege zu gehen«, erwiderte Oberst Fitzwilliam. »Aber das ist ja der Wunsch eines jeden. Er kann ihn sich nur leichter als andere befriedigen, weil er reicher ist als die meisten. Ich spreche aus eigener Erfahrung; denn Sie werden wissen, dass ein jüngerer Sohn sich daran gewöhnen muss, seine Wünsche zu unterdrücken, weil er von jemand anderem abhängig ist.«
»Ich weiß nur, dass der jüngere Sohn eines Grafen meiner Meinung nach sich weder an das eine noch an das andere zu gewöhnen braucht. Ernstlich — was verstehen Sie unter unterdrückten Wünschen und unter Abhängigkeit? Dass Sie aus Geldmangel nicht überallhin reisen können, wohin Sie gerade wollen, oder sich nicht gleich alles kaufen können, wozu Sie Lust haben?«
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