Aber als er das Warenhaus verlässt, hat er noch immer nichts anderes gefunden. Diese kleine feuerfeste Form ist das Resultat aller Anstrengungen. Ist das wirklich möglich? Soll dieses Billiggeschenk aus dem Ausverkauf am nächsten Tag in Gabelshus auf dem Gabentisch liegen? Was wird die Andere sagen? Und Kristin und Trond-Viggo? Er geht in Richtung Parlament und fragt sich, ob er vielleicht doch eine Badezimmerwaage kaufen sollte.
Am nächsten Montag ist er wieder in Oslo. Jetzt ist Tidevann angesagt. Die unbehaglichen Texte. Die beim letzten Mal durchgekommen sind. Die übrig blieben. Die Stimmen, die mit dem Nachtwind verschwanden. Ibsen irgendwo in der kühlen Brise. Unruhe, Misstrauen und Eifersucht. Alex und Ole, die sangen. Die Loyalität der beiden. Als ob sie die Texte auf dieselbe Weise lesen könnten, wie er sich das vorgestellt hat, als er sie schrieb. Das meiste liegt doch im Ungesagten.
»Damit kenne ich mich doch aus«, sagt Ole.
Er selbst erleidet einen Schock, als er begreift, wie sehr die Polygram sich engagiert. Für das, was so privat war, dass es fast nicht veröffentlicht werden dürfte. Jetzt bringen sie überall Plakate an. Er sieht sich in natürlicher Größe im Narvesen-Kiosk an der Ecke beim Hotel Continental. Sie wollen ihn auf der Bestsellerliste von VG haben. Aber das Foto wurde vor zwei Monaten gemacht. Da war er zwei Kilo schwerer. Er bringt es nicht über sich, es anzusehen. Ein dicklicher, skeptischer Mann, ohne deutliche Botschaft. Ein Verräter und Lügner.
Und dennoch ist er begeistert davon, was Musiker und Sänger aus diesem Doppelalbum gemacht haben.
Anne Lise von der Polygram, Auduns rechte Hand, wartet in der Suite im Hotel Ambassadør. Sie ist groß und schön. Sie umarmen einander, als wäre es ihre erste Begegnung nach dem nur mit Mühe und Not überlebten Schiffbruch.
Aber es war kein Schiffbruch. Es war nur Erwartung.
»Wie geht’s dir denn da unten auf Sandøya?«, fragt sie.
»Gut.«
»Angelst du? Wirklich?«
»Es kommt vor, dass ich die Angelrute auswerfe.«
»Fängst du etwas?«
»Ab und zu.«
»Was machst du dann? Schneidest du ihnen die Kehle durch?«
»Ich schlage ihnen zuerst auf den Kopf.«
»Hast du nie ein schlechtes Gewissen? Denkst du nie daran, dass du ein Mörder bist?«
Bald wird die Presse anrücken.
»Du hast einen sexy Hintern«, sagt sie neckend und holt Mineralwasser für sie beide.
Robert Mugabe kehrt nach fünfjährigem Exil nach Rhodesien zurück. Ich sitze zusammen mit Tore Olsen im Frognervei. Im großen Wohnzimmer im ersten Stock. Tore kommt von nirgendwo und wird in viel zu wenigen Jahren in dieselbe Richtung verschwinden, auf einer kurvenreichen Winterstraße zwischen Schweden und Norwegen. Alle haben ihn geliebt. Er ist ein sogenannter Loner unter den Musikjournalisten. Deshalb scharen die sich um ihn. Er ist Redakteur der Musikzeitschrift Puls. Dort schreiben die Leute mit den jungen, starken Meinungen. Für kurze Zeit glaubte ich, einer von ihnen zu sein, aber ich stand zu sehr auf der anderen Seite. Ich war nicht der, der zuhörte. Ich war der, der spielte. Dennoch wurden wir aufeinander zugetrieben, als sich die Zeitungen für Rock und Pop öffneten. Ich schrieb für Aftenposten. Tore wollte für Blikk schreiben, die neue Zeitung von Trygve Hegnar. Er wollte mich mit ins Boot holen. Ich zögerte. Ich wollte eigentlich nicht schreiben. Nicht so. Als Pionier. Für den neuen, unabhängigen Musikjournalismus kämpfen. Wie kann man unter Trygve Hegnar unabhängig sein. Bei Puls ist das anders. Alle neuen Generationen entwickeln ein dichtes Netz von mehr oder weniger Intellektuellen, die die Prämissen setzen. So war es zu Hans Jægers Zeit, zu Johan Borgens Zeit, zur Zeit der Studentenbewegung. Diese selbstsicheren jungen Journalisten machten eine Musikzeitschrift, wie sie in Norwegen bisher noch niemand gesehen hatte. Bisher hatten wir Melody Maker, Down Beat und New Musical Express gelesen. Jetzt lasen wir Puls und die fähige Konkurrentin Nye Takter. Die Botschaft von beiden war klar: Don’t bore us. Come to the chorus. Für mich, der sich mit Klavierkonzerten und Symphonien beschäftigt hatte, die niemals weniger als dreißig Minuten dauerten, war es noch immer seltsam, eine Welt zu betreten, in der jedes Lied nach höchstens vier Minuten zu Ende war. Ich hatte die Methode für Leve Patagonia und Och människor ser igjen und teilweise auch bei Tidevann angewandt. Strophe und Refrain. Strophe und Refrain. Aber das war nicht genug. Was zählte, war der Inhalt. Diese jungen und begabten Journalisten wussten, wie die Musik zu klingen hatte, was gut war und was schlecht. Das Arroganzniveau war so hoch und oft so erschreckend, dass es mir unvorstellbar erschien, jemals mit einer dieser Meinungstrompeten gemeinsame Sache zu machen, ja, sie sogar in den neunziger Jahren heiraten zu sollen. Diese Mischung aus Faye Dunaway, Kim Novak, Jane Fonda und Catherine Deneuve. Die Allererste, die genauso war wie eben sie. Die blonde Bombe an sich, C., die ich später Cruella de Vil nennen sollte, das war in scherzender Stimmung, zugleich aber kam ich mir vor wie ein ängstlicher, schwanzwedelnder Dalmatiner. Bewunderung und Ehrfurcht. Denn ich hatte schon angefangen, um diese Menschen herumzuscharwenzeln, versuchte, mich hip und urban zu machen. Hatte angefangen, mich von den selbstgestrickten Pullovern zu verabschieden, war in meine erste Matinique-Boutique gegangen und hatte Hose und Hemd aus mercerisierter Baumwolle erstanden. Immer, wenn ich in Oslo war, wollte ich mit diesen Menschen zusammen sein, wollte ein Teil der guten Gesellschaft werden, der neuen Profilgruppe, diesmal in der Welt der Musik. Sie ließen das aber nicht einfach zu. Sie konnten einen Speichellecker schon auf meilenweite Entfernung entlarven. »Aal in einem Eimer voll Rotz«, wie einer von ihnen sagte. Sie standen nicht auf der Bühne. Sie saßen im Dunkeln und hörten zu. Wenn wir auf dem Podium standen, wussten wir nie, wo im Saal sie waren. Sie blieben für sich. Hatten ihren Geheimcode und waren auch keine Modelöwen der oberflächlichen Sorte. Wenn sie sich dazu herabließen, etwas zu kaufen von dem Geld, das sie vermutlich nicht hatten, dann etwas Teures. Sie waren eine eng verwobene, rauchende Clique mit Büro irgendwo in der Nähe von Bankplassen. Sie waren der neue Wein und die stinkenden Socken zugleich. Sie befanden sich irgendwo zwischen Sexbombe und Brillennerd, mit dem brutalen und zugleich so unwiderstehlichen Tore Olsen und seinem Freund Tom Stiklesæther, dem es gelang, Grünerløkka aussehen zu lassen wie die Lower East Side, wenn er nur durch die Thorvald Meyers gate ging. Mit dem filmstardunklen Jan Omdahl, der wie eine Kreuzung aus Elvis Presley und Robert de Niro wirkte. Wenn ich gewusst hätte, dass der Bluesprofessor Øyvind Pharo mein Verlagslektor werden sollte, hätte ich mich gefragt, ob mir jemand LSD untergeschoben hatte. Was sie miteinander verband, war die Liebe zur Musik. Die Verachtung des Mittelmäßigen, des Pompösen und des Lächerlichen. Alles, was ich nicht wusste, rettete mich. Deshalb sitzt Tore Olsen an einem Vormittag im Februar bei mir zu Hause und zögert. Er mochte nicht als einer von vielen ins Hotel Ambassadør kommen, zusammen mit verachtenswerten Publikationen wie Dagbladet und VG. Er musste trotz allem mit einem Minimum an Respekt behandelt werden, wie er mit einem Lächeln sagte. Dieser seltsame und melancholische Mann, der mich bisweilen an Humphrey Bogart erinnerte. Ich habe ihm soeben das Titelstück vorgespielt, Tidevann .
»Doch, das ist gut. Natürlich ist das gut.« Er zieht eine fast unsichtbare Grimasse. Als ob er sich darauf vorbereitet, eine faule Tomate runterzuschlucken.
»Ja, sind die Musiker nicht hervorragend? Die Begleitung durch Venaas und Thowsen? Riisnæs und Eberson, die sich gegenseitig hochspielen?«
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