weiblichen Arbeiten großzog. Als aber dem Jüngling der Flaum um das Kinn zu keimen anfing,
entdeckte er sich in seiner Verkleidung der lieblichen Tochter des Königes, Deïdameia. Die gleiche
zärtliche Neigung vereinigte in der Verborgenheit den Heldenjüngling mit der königlichen Jungfrau,
und während er bei allen Bewohnern der Insel für eine Verwandte des Königs galt und auch bei
Deïdameia für nichts anderes gelten sollte, war er heimlich ihr Gemahl geworden. Jetzt, wo der
Göttersohn zur Besiegung Trojas unentbehrlich war, entdeckte der Seher Kalchas, dem wie sein
Geschick so auch sein Aufenthalt kein Geheimnis geblieben, diesen letztern den Atriden; und nun
schickten die Fürsten den Odysseus und den Diomedes ab, ihn in den Krieg zu holen. Als die Helden
auf der Insel Skyros ankamen, wurden sie dem Könige und seinen Jungfrauen vorgeführt. Aber das
zarte Jungfrauengesicht verbarg den künftigen Helden, und so scharfsichtig der Blick der beiden
Griechenfürsten war, so vermochten sie doch nicht, ihn aus der Mädchenschar herauszuerkennen.
Da nahm Odysseus seine Zuflucht zu einer List. Er ließ wie von ungefähr in den Frauensaal, in dem die
Mädchen sich befanden, einen Schild und einen Speer bringen und dann die Kriegstrompete blasen,
als ob der Feind heranrückte. Bei diesen Schreckenstönen entflohen alle Frauen aus dem Saale, Achill
aber blieb allein zurück und griff mutig zu dem Speer und zu dem Schilde. Jetzt ward er von den
Fürsten entlarvt und erbot sich, an der Spitze seiner Myrmidonen oder Thessalier, in Begleitung
seines Erziehers Phönix und seines Freundes Patroklos, welcher mit ihm einst bei Peleus aufgezogen
worden war, mit fünfzig Schiffen zu dem griechischen Heere zu stoßen.
Zum Versammlungsort aller griechischen Fürsten und ihrer Scharen und Schiffe wurde die Hafenstadt
Aulis in Böotien, an der Meerenge von Euböa, durch Agamemnon ausersehen, den die Volkshäupter
als den tätigsten Beförderer der Unternehmung zum obersten Befehlshaber derselben ernannt
hatten.
In jenem Hafen sammelten sich nun außer den genannten Fürsten mit ihren Schiffen unzählige
andere. Die vornehmsten darunter waren der riesige Ajax, der Sohn des Telamon aus Salamis, und
sein Halbbruder Teucer, der treffliche Bogenschütze; der kleine, schnelle Ajax aus dem Lokrerlande;
Menestheus aus Athen, Askalaphos und Ialmenos, Söhne des Kriegsgottes, mit ihren Minyern aus
Orchomenos; aus Böotien Peneleos, Arkesilaos, Klonios, Prothoënor; aus Phokis Schedios und
Epistrophos; aus Euböa und mit den Abanten Elephenor; mit einem Teile der Argiver und andern
Peloponnesiern außer Diomedes, Sthenelos, der Sohn des Kapaneus, und Euryalos, der Sohn des
Mekistheus; aus Pylos Nestor der Greis, der schon drei Menschenalter gesehen; aus Arkadien
Agapenor, der Sohn des Ankaios; aus Elis und andern Städten Amphimachos, Thalpios, Diores und
Polyxenos; aus Dulichion und den Echinadischen Inseln Meges, der Sohn des Phyleus; mit den
Ätoliern Thoas, der Sohn des Andraimon; aus Kreta Idomeneus und Meriones; aus Rhodos der
Heraklide Tlepolemos; aus Syme Nireus, der schönste Mann im griechischen Heere; aus den
Kalydnischen Inseln die Herakliden Pheidippos und Antiphos; aus Phylake Podarkes, Sohn des
Iphiklos; aus Pherai in Thessalien Eumelos, der Sohn des Admet und der frommen Alkestis; aus
Methone, Thaumakia und Meliböa Philoktet; aus Trikka, Ithome und Öchalia die zwei heilkundigen
Männer Podaleirios und Machaon; aus Ormenion und der Umgegend Eurypylos, der Sohn des
Euaimon; aus Argissa und der Gegend Polypötes, der Sohn des Peirithoos, des Theseusfreundes;
Guneus aus Kyphos, Prothoos aus Magnesia.
Dies waren nebst den Atriden, Odysseus und Achill die Fürsten und Gebieter der Griechen, die,
keiner mit wenigen Schiffen, sich in Aulis sammelten. Die Griechen selbst wurden damals bald
Danaer genannt, von dem alten ägyptischen Könige Danaos her, der sich zu Argos im Peloponnese
niedergelassen hatte, bald Argiver, von der mächtigsten Landschaft Griechenlands, Argolis oder dem
Argiverlande; bald Achajer oder Achiver, von dem alten Namen Griechenlands Achaja. Später heißen
sie Griechen, von Graikos, dem Sohne des Thessalos, und Hellenen, von Hellen, dem Sohne des
Deukalion und der Pyrrha.
Botschaft der Griechen an Priamos
Unterdessen, solange die Ausrüstung der Griechen sich vorbereitete, ward von Agamemnon im Rate
seiner Vertrauten und der Häupter des Volkes, um auch gütliche Mittel nicht unversucht zu lassen,
beschlossen, daß eine Gesandtschaft nach Troja an den König Priamos abgehen sollte, um sich über
die Verletzung des Völkerrechts und den Raub der griechischen Fürstin zu beschweren und die
entrissene Gattin des Fürsten Menelaos samt ihren Schätzen zurückzufordern. Es wurden hierzu in
der Versammlung der Kriegshäupter Palamedes, Odysseus und Menelaos auserwählt; und obgleich
Odysseus im Herzen der Todfeind des Palamedes war, so unterwarf er sich doch zum gemeinen
Besten der Einsicht dieses Fürsten, der in dem griechischen Heere um seines Verstandes und seiner
Erfahrung willen hoch gefeiert war, und überließ ihm willig die Ehre, am Hofe des Königs Priamos als
Sprecher aufzutreten.
Die Trojaner und ihr König waren über die Ankunft einer Gesandtschaft, die mit einer ansehnlichen
Schiffsrüstung erschien, in kein geringes Staunen versetzt. Sie wußten von der unmittelbaren
Ursache der Sendung noch nichts; denn Paris verweilte noch immer mit seiner geraubten Gattin auf
der Insel Kranaë und war in Troja verschollen. Priamos und sein Volk glaubten deswegen nicht
anders, als der trojanische Kriegszug, der die Gesandtschaft des Paris und die Zurückforderung der
Hesione unterstützen sollte, habe Widerstand in Griechenland gefunden, und jetzt nach seiner
Vernichtung würden die Griechen, übermütig geworden, über die See herbeikommen, die Trojaner in
ihrem eigenen Lande anzufallen. Die Nachricht, daß sich griechische Gesandte der Stadt näherten,
versetzte sie daher in nicht geringe Spannung. Indessen öffneten sich jenen die Tore willig, und die
drei Fürsten wurden sofort in den Palast des Priamos und vor den König selbst geführt, der seine
zahlreichen Söhne und die Häupter der Stadt zu einem Rate zusammenberufen hatte. Palamedes
ergriff vor dem Könige das Wort und beklagte sich bitter im Namen aller Griechen über die
schändliche Verletzung des Gastrechts, die sich sein Sohn Paris durch den Raub der Königin Helena
zuschulden kommen lassen. Dann entwickelte er die Gefahren eines Krieges, die dem Reiche des
Priamos aus dieser Untat erwüchsen, zählte die Namen der mächtigsten Fürsten Griechenlands auf,
die mit allen ihren Völkern auf mehr als tausend Schiffen vor Troja erscheinen würden, und verlangte
die gütliche Auslieferung der geraubten Fürstin. »Du weißt nicht, o König«, so schloß er seine Rede,
»was für Sterbliche durch deinen Sohn beschimpft worden sind: es sind die Griechen, die alle lieber
sterben, als daß einem einzigen von ihnen durch einen Fremdling ungerechte Kränkung widerfahre.
Sie hoffen aber, indem sie dieses Unrecht zu rächen kommen, nicht zu sterben, sondern zu siegen,
denn ihre Zahl ist wie der Sand am Meere, und alle sind von Heldenmut erfüllt, und alle brennen vor
Begierde, die Schmach, die ihrem Volke widerfahren ist, in dem Urheber zu tilgen. Darum verkündigt
euch unser oberster Feldherr, Agamemnon, König der mächtigen Landschaft Argos und der erste
Fürst Griechenlands, und mit ihm lassen euch alle anderen Fürsten der Danaer sagen: Gebet die
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