feurigen Tydeus zu sein!« Diomedes blickte bei diesen Reden der Göttin auf, staunte ihr ins Gesicht
und sprach: »Wohl erkenne ich dich, Tochter des Zeus, und will dir die Wahrheit unverhohlen sagen.
Weder Furcht noch Trägheit lähmen mich, sondern der gewaltigsten Götter einer. Du selbst hast mir
das Auge aufgetan, daß ich ihn erkenne. Es ist Ares, der Gott des Krieges, den ich im Treffen der
Trojaner walten sah; sieh hier die Ursache, warum ich selbst zurückwich und auch dem übrigen
Griechenvolke gebot, sich hier um mich zu sammeln!« Darauf antwortete ihm Athene: »Diomedes,
mein auserwählter Freund! Hinfort sollst du weder den Ares noch einen andern der Unsterblichen
fürchten; ich selbst will deine Helferin sein. Lenke nur mutig deine Rosse dem rasenden Kriegsgott
selber zu!« So sprach sie, gab seinem Wagenlenker Sthenelos einen leichten Stoß, daß er willig vom
Streitwagen sprang, und setzte sich selbst in den Sessel zu dem herrlichen Helden. Die Achse stöhnte
unter der Last der Göttin und des Stärksten unter den Griechen. Sofort ergriff Pallas Athene Zügel
und Peitsche und lenkte den Huftritt der Rosse Ares, dem Kriegsgotte, zu. Dieser raubte gerade dem
tapfersten Ätolier, Periphas, den er erschlagen hatte, die Rüstung. Als er aber den Diomedes im
Streitwagen auf sich zukommen sah ‐ die Göttin hatte sich in undurchdringliche Nacht gehüllt ‐, ließ
er den Periphas liegen und eilte auf den Tydiden zu, über Joch und Zügel seiner Rosse herausgelehnt
und mit der Lanze nach der Brust des Helden zielend. Aber Athene, unsichtbar, ergriff sie mit der
Hand und gab ihr eine andere Richtung, daß sie ohne Ziel in die Luft hinausflog. Nun erhub sich
Diomedes in seinem Wagensitze, und Athene selbst lenkte den Stoß seines Speeres, daß es dem Ares
unter dem ehernen Leibgurt in die Weiche fuhr. Der Kriegsgott brüllte, wie zehntausend Sterbliche in
der Schlacht schreien: Trojaner und Griechen zitterten, denn sie glaubten bei heiterer Luft den
Donner des Zeus zu hören. Diomedes aber sah den Ares, in Wolken gehüllt, wie in einem Orkane zum
Himmel emporfahren. Dort setzte sich der Kriegsgott neben den Donnerer, seinen Vater, und zeigte
ihm das aus der Wunde herabtriefende Blut. Aber Zeus schaute finster und sprach: »Sohn, winsle mir
hier nicht an meiner Seite! Von allen Olympiern bist du mir der Verhaßteste; immer hast du nur Zank
und Fehde geliebt, mehr als alle anderen gleichest du an Trotz und Starrsinn deiner Mutter. Gewiß
hat dieses Weh dir auch ihr Rat bereitet! Dennoch kann ich nicht länger mit ansehen, wie du leidest,
und der Arzt der Götter wird dich heilen.« So übergab er ihn dem Paion, welcher der Wunde
wahrnahm, daß sie sich auf der Stelle schloß.
Inzwischen waren auch die andern Götter in den Olymp zurückgekehrt, um die Feldschlacht der Troer
und Danaer wieder sich selbst zu überlassen. Zuerst brach jetzt Ajax, der Sohn Telamons, in das
Gedränge der Trojaner und machte den Seinigen wieder Luft, indem er Akamas, dem gewaltigsten
Thrakier, die Stirne unter dem Helm durchbohrte. Darauf erschlug Diomedes den Axylos und seinen
Wagenlenker; vor Euryalos erlagen drei andere edle Trojaner, vor Odysseus Pidytes, vor Teucer
Aretaon, vor Antilochos Ableros, vor Agamemnon Elatos, vor andern andere. Den Adrastos erhaschte
Menelaos, als ihn die Rosse, strauchelnd, auf den Boden geworfen und mit dem Wagen unter andern
herrenlosen Pferden zur Stadt enteilten. Der liegende Feind umschlang die Knie des Fürsten und
flehte jämmerlich: »Fange mich lebendig, Atride, nimm volle Lösung von Erz und Gold aus dem
Schatze meines Vaters, der sie dir willig gibt, wenn er mich wieder lebendig umarmen darf!«
Menelaos fühlte sein Herz im Busen bewegt, da lief Agamemnon heran und strafte ihn mit den
Worten: »Sorgst du so für deine Feinde, Menelaos? Fürwahr, sie haben es um dich im Heimatlande
verdient! Nein, keiner soll unserm Arm entfliehen, auch der Knabe im Mutterschoße nicht! Alles, was
Troja großgezogen hat, soll ohne Erbarmen sterben!« Da stieß Menelaos den Flehenden mit der
Hand von sich, und Agamemnon durchbohrte ihm den Leib mit er Lanze. Unter den stürmenden
Argivern hörte man Nestors hallenden Ruf: »Freunde, daß ja keiner, zu Raub und Beute gewendet,
dahinten bleibe! jetzt gilt es nur, Männer zu töten; nachher könnt ihr gemächlich den Leichnamen die
Rüstung abziehen!«
Bald wären jetzt die Trojaner ihrer Stadt überwunden zugeflohen, wenn nicht Helenos, der Sohn des
Priamos, der kundigste Vogelschauer, sich zu Hektor und Äneas gewendet und so zu ihnen
gesprochen hätte: »Alles beruht jetzt auf euch, ihr Freunde; nur wenn ihr das flüchtige Volk vor den
Toren hemmet, vermögen wir selbst noch die Scharen der Danaer zu bekämpfen. Dir, Äneas,
übertragen die Götter zunächst dieses Geschäft. Du aber, Bruder Hektor, eile gen Troja und sage
unserer Mutter ein Wort. Sie soll die edelsten Weiber auf der Burg im Tempel Athenes versammeln,
ihr köstlichstes Gewand auf die Knie der Göttin legen und ihr zwölf untadelige Kühe geloben, wenn
sie sich der trojanischen Frauen und Kinder und ihrer Stadt erbarmt und den schrecklichen Tydiden
abwehrt.« Unverdrossen sprang Hektor vom Wagen, durchwandelte ermahnend die Geschwader
und enteilte nach der Stadt.
Glaukos und Diomedes
Auf dem Schlachtfelde rannten jetzt der Lykier Glaukos, der Enkel des Bellerophontes, und der
Tydide Diomedes aus den Heeren hervor und begegneten voll Kampfgier einander. Als Diomedes den
Gegner in der Nähe sah, maß er ihn mit den Blicken und sprach: »Wer bist du, edler Kämpfer? Noch
nie bist du mir in der Feldschlacht begegnet, doch jetzt sehe ich dich vor andern weit hervorragen, da
du es wagest, dich meiner Lanze entgegenzustellen; denn mir kommen nur Kinder in den Weg, die
zum Unglücke geboren sind. Bist du aber ein Gott, der sterbliche Gestalt angenommen hat, so
begebe ich mich des Kampfes. Ich fürchte den Zorn der Himmlischen und verlange nicht ferner nach
dem Streite mit unsterblichen Göttern. Doch wenn du ein Sterblicher bist, so komm immerhin heran,
du sollst dem Tode nicht entgehen!« Darauf antwortete der Sohn des Hippolochos: »Diomedes, was
fragst du nach meinem Geschlecht? Wir Menschen sind wie Blätter im Walde, die der Wind verweht
und der Frühling wieder treibt! Willst du es aber wissen, so höre: Mein Urahn ist Aiolos, der Sohn des
Hellen, der zeugte den schlauen Sisyphos, Sisyphos zeugte den Glaukos, Glaukos den Bellerophontes,
Bellerophontes den Hippolochos, und des Hippolochos Sohn bin ich. Dieser schickte mich her gen
Troja, daß ich andern vorstreben und der Väter Geschlecht nicht schänden sollte.« Als der Gegner
geendigt, stieß Diomedes seinen Schaft in die Erde und rief ihm mit freundlichen Worten zu:
»Wahrlich, edler Fürst, so bist du ja mein Gastfreund von Väterzeiten her, Öneus, mein Großvater,
hat deinen Großvater Bellerophontes zwanzig Tage lang gastlich in seinem Hause beherbergt; und
unsere Ahnen haben sich schöne Ehrengeschenke gereicht: der meine dem deinen einen purpurnen
Leibgurt, der deinige dem meinigen einen goldenen Henkelbecher, den ich noch in meiner
Behausung verwahre. So bin ich denn dein Wirt in Argos und du der meine in Lykien, wenn ich je
dorthin mit meinem Gefolge komme. Darum wollen wir uns im Schlachtgetümmel beide mit unsern
Lanzen vermeiden. Gibt es doch für mich noch Trojaner genug zu töten und für dich der Griechen
genug! Uns aber laß die Waffen miteinander vertauschen, damit auch die andern sehen, wie wir uns
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