Sylvia Giesecke
Blutsverwandtschaft
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Sylvia Giesecke Blutsverwandtschaft Dieses ebook wurde erstellt bei
Unangenehmer Besuch
Der Ursprung allen Übels
Das erste Mal
Der Beginn einer blutigen Beziehung
Wie angelt man sich einen Millionär
Die dunkle Seite des Gabriel von Hagen
Dunkelrote Weihnachten
Urlaub in Bangkok
Ein familiärer Todesfall
Wer hat Angst vor einem Krüppel
Die Konfrontation mit der Wahrheit
Impressum neobooks
Schon seit Stunden prasselte der Regen unablässig gegen die Scheiben des Instituts. Während sich Friedensreich um den letzten Papierkram für die anstehende Trauerfeier kümmerte, starrte ich gelangweilt auf die Pfützen im Park. Der dunkelblaue Wagen, der sich in diesem Moment näherte, gab meiner Gleichgültigkeit einen Tritt in den Allerwertesten und weckte meine Neugier aus einem tiefen Schlaf. Da die Verabschiedung erst in einer guten Stunde stattfinden sollte, handelte es sich bei der zügig näherkommenden Limousine vermutlich um neue Klientel. Doch ich sollte mich irren, denn die beiden Anzugträger, die in diesem Moment aus dem Wagen stiegen, waren mir durchaus bekannt. Der Silberrücken und sein Entlauser wollten mir scheinbar schon wieder ihre durchaus verzichtbare Ehre erweisen. Echte Wiedersehensfreude sah garantiert anders aus. Trotzdem ging ich zur Tür, zupfte meine Krawatte zurecht und begrüßte die Herrschaften in meiner gewohnt freundlichen Art. „Guten Tag, meine Herren, … was kann ich denn heute für sie tun?“
Der Silberrücken nestelte kurz an seiner Jackentasche herum, ehe er mir ein keineswegs unbeschriebenes Blatt Papier direkt unter die Nase hielt, „Leonhard Ruben Grün, sie stehen unter dem dringenden Verdacht, ihre Schwester Juliette von Hagen ermordet zu haben. Sie haben das Recht …“
Es traf mich wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht, ich wollte nicht glauben, was dieser Berggorilla mir da gerade zu verkaufen versuchte, „Was erzählen sie denn da für einen Schwachsinn? Ich habe meine Schwester doch nicht ermordet, … warum sollte ich das tun? Wie kommen sie überhaupt auf diese irrsinnige Idee?“
Der Entlauser packte mich am Arm, „Begleiten sie uns freiwillig oder …“
Ich schüttelte ihn ab, „Schon gut, schon gut, ich komme ja.“ Ehe ich den beiden, selbstverständlich unfreiwillig, Gesellschaft leistete, wandte ich mich noch kurz an den sichtlich verdutzten Friedensreich, „Bitte kümmern sie sich um alles und machen sie sich keine unnötigen Sorgen. Es kann sich hier nur um ein Missverständnis handeln, deshalb rechne ich auch mit meiner baldigen Rückkehr.“ Der Entlauser tätschelte an mir herum. Ich empfand die Berührungen seiner Wurstfinger als äußerst unangenehm, ließ ihn aber zwangsläufig gewähren. Anschließend schubste er mich durch den Regen und verfrachtete mich schwungvoll auf der Rücksitzbank, ehe er mich mit seiner unmittelbaren Nähe bedrängte. Ich fühlte mich wie eine Maus in der Lebendfalle, „Wollen sie mir nicht endlich verraten, was hier los ist? Ist meiner Schwester irgendetwas passiert?“
Seine Antwort fiel kurz und unbefriedigend aus, „Sie haben es doch gehört und der Rest folgt später.“
Meine Begeisterung für dieses Szenario hielt sich in Grenzen und stieß zudem auf ziemliches Unverständnis. Erst warfen sie mir den Mord an einer geliebten Verwandten vor, dann ließen sie mich mir nichts, dir nichts in diesem Wolkenbruch stehen. Inzwischen machte ich mir ernsthafte Sorgen um Jules Wohlergehen. Da der Entlauser mein Telefon konfisziert hatte, musste ich mich wohl oder übel in Geduld üben. Je mehr ich über diesen vollkommen hirnverbrannten Vorwurf nachdachte, umso wütender wurde ich. Ich liebte meine Zwillingsschwester über alles und hätte ihr niemals auch nur ein Haar gekrümmt. Wie kamen die bloß auf so eine bescheuerte Idee? Zumal sie ja diejenige war, die leidenschaftlich gerne tötete. Meine Aufgabe bestand lediglich darin, gründlich hinter ihr aufzuräumen. Anfangs ist mir das keinesfalls leichtgefallen, aber der Mensch ist nun mal ein Gewohnheitstier. Zum besseren Verständnis für jedermann werde ich meine Geschichte wohl von Anfang an erzählen müssen. Zugegeben, meine Memoiren beinhalten eine nicht unerhebliche Vielzahl von menschlichen Abgründen, deshalb muss ich auch explizit davor warnen. Wer dennoch gewillt ist sich darauf einzulassen, dem möchte ich mich kurz vorstellen. Mein Name ist Leonhard Ruben Grün, und wenn nichts Großartiges mehr dazwischenkommt, dann feiere ich morgen meinen achtundzwanzigsten Geburtstag. Das eigentliche Drama meines vom Schicksal geprügelten Daseins begann auf den Tag genau vor achtzehn Jahren. An jenem verhängnisvollen Dienstag wurden die Weichen für die Zukunft meiner gesamten Familie vollkommen neu gestellt.
Wie in jedem Sommer verbrachten wir unsere Ferien wieder einmal in Frankreich. Ich persönlich habe nie verstanden, warum es ausgerechnet ein Land sein musste, indem man aufgrund seiner Nationalität von einem Großteil der Bevölkerung demonstrativ gemieden wurde. In den Restaurants wurden wir, bis auf ein paar kaum erwähnenswerte Ausnahmen, grundsätzlich als Letzter bedient. Bereits im Kleinkindalter bekamen wir diese Abneigung überaus deutlich zu spüren. Manchmal hatten wir ganze Spielplätze für uns alleine, weil die Franzosen ihren Nachwuchs sofort in Sicherheit brachten, wenn sich die deutsche Windelfraktion ganz unverfroren näherte. Auch auf den Campingplätzen wurden die Schotten meist umgehend und rigoros abgedichtet, um jeglichen Kontakt zu vermeiden. Ich für meinen Teil wäre sowieso viel lieber nach Spanien oder Griechenland gefahren. Doch der Rest der Familie stand nun mal auf diese verträumten, weichgezeichneten Landschaften, den herrlich duftenden Lavendel, diese nervige nasale Artikulation und das furchtbar geschmacklose Essen. Außerdem hatte meine Meinung keinerlei Relevanz, denn ich war bloß ein zufälliges Nebenprodukt, das bei der Zeugung der gewünschten Tochter dummerweise mit entstanden ist. Im gewissen Sinne war ich aber auch ganz praktisch. Schließlich brauchte man einen Sündenbock, wenn das unschuldige Julchen mal wieder etwas ausgefressen hatte. Sie nutzte meine Existenz schamlos aus, um ihre eigenen Schandtaten, mit einer regelmäßigen Selbstverständlichkeit, auf mich abzuwälzen. Da wurde dann auch nicht lange gefackelt oder hinterfragt, die Strafe für ihr Handeln war mir grundsätzlich gewiss. Ob ich eine glückliche Kindheit hatte, … hm, … ich glaube schon. Es gab und gibt bestimmt viel schlimmere Kinderstuben, als die Meinige. Außerdem liebte ich meine Familie trotz aller Widrigkeiten wirklich sehr. Meine Mutter war eine sehr sanfte, zerbrechliche, aber relativ gerechte Frau. Wohingegen mich mein heroischer Vater ständig um seine Anerkennung buhlen ließ, … natürlich ohne jegliche Chance, sie irgendwann einmal zu bekommen. Möglicherweise lag es an seinem Beruf. Inzwischen weiß ich ja selber, dass einen die ständige Konfrontation mit dem Tod irgendwann erstarren lässt. Dennoch hätte er mir eine Chance geben müssen, wenigstens eine klitzekleine. Für mich war er wie der Mount Everest, ein mächtiger Berg, den ich unmöglich erklimmen konnte. Trotzdem liebte, verehrte und bewunderte ich ihn über alle Maßen. Wie ein hungriger Kater vorm Mauseloch lag ich ununterbrochen auf der Lauer. Geduldig wartete ich auf eine Gelegenheit, um mich endlich einmal beweisen zu können. Ich sollte meine Gelegenheit tatsächlich bekommen. Allerdings entpuppte sich das Mäuschen schon bald als ausgewachsene Bisamratte.
Читать дальше