Ein wenig macht es ihr Sorge, was sie da sieht. Gegenüber ist der Kindergarten, um die Ecke die Grundschule. Um die Mittagszeit werden hier viele Kinder unterwegs sein und die Verkehrslage ist momentan auf dieser ruhigen Wohnstraße so unübersichtlich wie der Sommerferienanfang am Kamener Kreuz.
Gegen Mittag kocht sie sich einen Kaffee. Sie schreckt auf, als sie von draußen Schreie hört. Ein enormer Streit scheint zugange zu sein. Sie nimmt den Welpen auf den Arm und geht nach draußen. Auf der Straße liegt ein aufgeplatzter Ranzen. Daneben steht eine Mutter mit einem Schulkind und einem Kinderwagen. Die Frau schreit auf den Fahrer eines Radladers ein. Offensichtlich ist das passiert, was sie befürchtet hat. Sie stellt sich dazu und fragt, ob sie helfen kann.
„Halt dich da raus, Schlampe“ tönt es vom Fahrersitz. „Die Alte hat ihr Blag nicht im Griff. Ist auf die Straße gerannt. Kann froh sein, dass ich gebremst habe.“
Mehrere Nachbarn kommen aus ihren Häusern und gesellen sich zu ihnen uns. Andere Bauarbeiter lassen ihr Werkzeug liegen und nehmen neben dem Radlader Stellung. Sie drückt dem weinenden Kind den Welpen in den Arm, das wirkt immer. Dann wendet sie sich dem zu, der zumindest so aussieht, als wüsste er, was er tut. Mit zusammengebissenen Zähnen versucht sie zu vermitteln: „Hier muss wirklich vorsichtig gefahren werden. Die Bagger sind viel zu schnell und die Straße ist durch die Baustelle unübersichtlich. Das Kind hätte...“
Er lässt sie gar nicht ausreden und drückt ihr eine Karte in die Hand. „Beschwer dich bei meinem Chef, Schlampe. Wir machen hier unseren Job.“
Sprachlos bleibt sie zurück. Sie blickt in die Augen der Nachbarn, die offenkundig erstaunt sind über die Geschäftspraktiken ihres neuen Internetanbieters.
„Endlich mal kein Toter.“ Mühlenbrock steht an einem verwaisten Baustellenschild neben einem alleinstehenden Bagger und schaut sich um.
Karl hält ein Stück Kabel in der Hand und grinst. „Ein Tatort ist das ja nicht. Alles schön zugeschüttet, verdichtet und gepflastert. Saubere Arbeit. Warum allerdings das ganze Equipment hier noch steht, weiß ich auch nicht. Und keine Spur von den Arbeitern.“
„Ich rufe in der Firma an, die Karte lag auf dem Baggersitz. Sollen die es doch abholen. Ich mach das vom Revier aus.“
Sie steigen ins Dienstfahrzeug, froh, dass wenigstens eine Baustelle in der Stadt so zügig erledigt war.
Es klingelt. Der Strom der eintretenden Nachbarn nimmt kein Ende. Sicherheitshalber hat sie genug Wein gekauft.
„Schön, dass wir noch aus dem Vertrag rausgekommen sind“, beginnt Gerd.
„Schön, dass sie schon alles perfekt für ihre Entsorgung vorbereitet haben“, grinst sie und macht die erste Flasche auf.
HUNDSTAGE
Die Frau schreit schon wieder. Schreit ihren kleinen Hund an, dass er irgendetwas falsch gemacht hätte. Sie kann keine Einzelheiten verstehen, aber es klingt nicht gut. So geht das seit Tagen. Die neue Nachbarin, im Mehrfamilienhaus nebenan, hat kein Gefühl für Hunde oder Lautstärke. Leider.
Sie schon. Sie ist selbst laut. Ist auch kaum zu vermeiden mit zwei Hunden und einer Vorliebe für Metal. Aber das Gekreische, das sich so wundervoll über die Gärten ausbreitet, von der einen oder anderen Hütte reflektiert wird, ist kaum zu ertragen.
Sie sucht sich eine bequemere Position auf dem Liegestuhl, streichelt einmal nach rechts zu der Großen, knuddelt den Welpen links und versucht mit ihrem Krimi weiter zu kommen. Keine Chance. Es kreischt schon wieder.
Sie schnappt sich genervt Buch, Handy, Wasserflasche und Kissen und geht nach innen. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht, sie muss schließlich noch einkaufen. Und der Krimi ist auch abends noch spannend. Abgesehen davon ist es viel zu heiß in der Sonne.
Eine halbe Stunde später verlässt sie das Haus. Vor ihrem Gartentor trifft sie die Nachbarin von links, die den Gehweg harkt. Einen kurzen Moment beschleicht sie das schlechte Gewissen. Ihr Gehweg sieht aus, wie eine Wiese. Der Storchschnabel hat diesen Sommer endgültig den Sprung in die Freiheit geschafft und wuchert erstaunlich gesund auf der roten Asche.
Wie immer geht sie hinüber, um ein wenig Smalltalk zu machen und die Stimmung wegen ihrer lauten Hunde abzuchecken. Sie grüßt, es geht ein wenig übers Wetter, sie übersieht geflissentlich den strafenden Blick auf ihren freiheitsliebenden Vorgarten, da kommt etwas Interessantes zur Sprache.
„Also Liebes“, beginnt von links und harkt eifrig bereits perfekte Stellen, „bei Euch ist es ja auch nie wirklich ruhig. So ist Leben eben. Und auch wenn deine Hunde mal etwas lauter sind. Die haben es gut bei dir. Aber die Neue, ich kann von meinem Schlafzimmer genau auf ihren Balkon schauen, die schlägt ihren kleinen Hund windelweich. So etwas habe ich noch nie gesehen. Da muss man doch was machen.“
„Todesursache?“ Mühlenbrock wischt sich den Schweiß von der Stirn und versucht gleichzeitig, den wibbeligen Junghund undefinierbarer Rasse von seinem Bein zu schütteln.
„Der mag sie!“ Karl erhebt sich und zieht die Gummihandschuhe aus. „Nun ja, was so bei einem Sturz vom Balkon passiert. Hals-, diverse Arm- und Beinbrüche, es reichte auf jeden Fall. Es scheint, sie ist über den kleinen Wibbel hier gestolpert. Mehr, wenn…“
„…Du sie auf dem Tisch hattest.“ Mühlenbrock seufzt und schiebt erneut das kleine Fellbüschel von seinem Fuß. „Eintüten und ab in die Pathologie. Ich denke, wir sind hier fertig.“
In seinem Büro schaltet er zuerst den Ventilator an. Der Computer kommt nur schwer in die Gänge, auch ihm ist zu heiß. Er öffnet das Formular, da klingelt das Telefon.
„Mühlenbrock? Ja? Ach du Karl. Mmh. Unfall. Eindeutig. Okay. Danke!“ Er legt auf und atmet erleichtert durch. Der Welpe liegt unter seinem Stuhl und zernagt seine Dienstmütze. „Und was wird jetzt mit dir?“, fragt er und streckt seine Hand zu dem wuseligen Junghund aus.
Es klingelt. Sie öffnet und nimmt den Welpen aus Gerds Arm. „Na du kleine Töle“, säuselt sie und vergräbt ihre Nase in dem flauschigen Fell, „dann seid ihr jetzt wohl zu dritt.“ Sie setzt den Kleinen an den Fressnapf und fragt: „Wein?“
Er nickt und lächelt. „Dann wird hier wohl endlich wieder Ruhe einkehren.“
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