Mühlenbrock guckt verdutzt. „Verstärker?“
Karl dreht die Augen zur imaginären Decke und macht eine eindeutige Bewegung mit dem Becken.
Der Kommissar wird noch roter, guckt verschämt zur Seite und brummt: „Sachen gibt’s.“
Er gibt seinem Team ein Handzeichen, alles zusammen zu räumen. Er will nur noch raus aus der Hitze. Ein Beamter der Spurensicherung macht noch ein paar Fotos, dann sammeln sie die gelben Schilder ein und flüchten in ihre klimatisierten Kleinbusse.
Sie steht hinter den fast geschlossenen Rollläden und schaut sich das Schauspiel an. Ihre rechte Hand ist tief im Fell ihres Schäferhundes vergraben. Sie empfindet keine Trauer. Sie ist froh, dass er endlich weg ist, der Gurkenmörder. Sie hockt sich auf den Boden und lässt zu, dass der Welpe auf ihren Schoß krabbelt. Gedankenverloren zündet sie sich eine Zigarette an und schließt ihre Augen.
Im Revier stellt Mühlenbrock sich vor die Klimaanlage. Er schließt die Tür hinter sich und zieht alles aus, was noch einigermaßen moralisch vertretbar ist. Die Akte Depenbrock liegt hinter seinem Rücken auf dem Schreibtisch. Er positioniert den Ventilator, den er selbst gekauft hat, strategisch günstig auf seinem Schreibtisch und setzt sich an seinen vorläufigen Bericht. Sein Hirn arbeitet in der Hitze langsamer als sonst. Er liest die Aufstellung der Spurensicherung, betrachtet gelangweilt die Fotografien und tippt die ersten Zeilen in das Formular ein.
Sein Telefon klingelt.
„Mühlenbrock? Ach du bist es, Karl. Und? Was gefunden? Ach? Soso. Den Verstärker also? Haha. Ein Unfall? Sicher? Okay, dann wäre das erledigt.“
Er schiebt die Fotos zusammen, irgendein Bild irritiert ihn, aber er verdrängt die Gedanken. Es ist viel zu heiß zum Denken.
„Fall abgeschlossen“, denkt er und freut sich auf den Freibadbesuch mit seinen Enkeln.
Der Pathologe näht Depenbrock nachlässig zu. „So ein Chauvi“, denkt er, „das hat er jetzt davon. Zwei Freundinnen in seinem Alter. Das konnte nicht gut gehen.“ Fast tut ihm der schlaffe Körper auf seinem Tisch leid, aber es ist viel zu heiß für Gefühle. Er wird gleich nach Hause in sein ruhiges Appartement gehen.
Sie öffnet Gerd die Tür. „Alles gut?“, fragt sie nach einem aufmerksamen Blick in sein Gesicht.
Gerd grinst. „Erwartest du jetzt Mitgefühl? Erst meine Katze, dann deine Gurken. Der Unkrautvernichter war noch fast zu gut für ihn.“
LIEBER TEE…
„Hast du noch Tee?“ Gabi hält ihr den leeren Teepott unter die Nase. Seit einer halben Stunde muss sie aufs Klo – dringend. Ihre Blase fühlt sich an, als würden mindestens zehn Liter Pfefferminztee auf das stille Örtchen warten. Aber sie kommt nicht weg.
„Hab ich dir schon erzählt, wo wir im Urlaub waren?“, setzt der Besuch zu einer neuen Attacke an. Sie gießt den Rest Tee in die Tasse und setzt neues Wasser auf.
„Nein, du, warte…“
Weiter kommt sie nicht. Gabi überschüttet sie schwallartig mit den Details ihrer Schwedenrundreise. Gottergeben kramt sie ein paar frische Teebeutel aus dem Schrank und beobachtet das Wasser beim Erwärmen. Ihr Welpe kommt ins Zimmer gewackelt und springt den Besuch an. Rasch greift sie sich das Häufchen Hund und will es gerade nach draußen bringen, da setzt Gabi zur nächsten Attacke an.
„Lass ihn. Ich bekomme das schon hin. Er muss kapieren, dass ich der Boss bin. Sieh mal, einfach ignorieren…“
Sie wünscht sich, sie könnte Gabi so einfach ignorieren. Seit zwei Stunden belagert sie ihre Küche und trinkt einen Tee nach dem anderen. Sie hält tapfer mit und versucht zwischenzeitlich immer mal wieder auf Durchzug zu schalten. Und sich aufs Klo zu verziehen. Wo steckte Gabi das hin? Verdunstet es bei ihr einfach?
„Ich geh rasch aufs Klo“, wirft sie ein und macht sich aus dem Staub. Gabi zieht einen Flunsch „Ich wollte dich nicht langweilen. Aber du musst den Kleinen einfach konsequenter erziehen. Ich habe…“
Den Rest hört sie nicht mehr. Die Klotür schließt sich hinter ihr. Ausnahmsweise schließt sie ab. Man weiß ja nie. Das Händewaschen zieht sich.
Tief durchatmend öffnet sie die Küchentür und setzt sich zu Gabi.
„Letztens habe ich ein gutes Buch gelesen, das musst du dir mit deinen Problemen unbedingt kaufen. Es handelt von…“
Dass sie ihr das Buch vor drei Wochen empfohlen hatte und sie es als Schwachsinn abgetan hatte, war offensichtlich ihrem Gedächtnis entfallen. Wie so manches, was sie versucht hatte ihr zu erzählen. Gabi kommt nicht, um sich zu unterhalten. Gabi will erzählen. Und sie weiß alles. Mindestens. In den letzten drei Wochen hat sie sie fünf Mal überfallen. Jedes Mal war danach ihre Blase übervoll und ihr Kopf leer. So viel Schwachsinn ist schwer zu verarbeiten.
„Können wir uns nächste Woche treffen? Ich bin dann alleine. Olav ist mit den Jungs unterwegs und mir fällt sonst die Decke auf den Kopf.“
Der Tee ist mittlerweile durchgezogen.
„Komm Gabi, gib mir deine Tasse. Ich hole dir noch einen Schluck Tee.“
„Todesursache?“ Kommissar Mühlenbrock kratzt sich den Nacken.
Karl schaut ihn irritiert an: „Verkehrsunfall? Schädel-Hirn-Trauma, diverse gebrochene Rippen und Prellungen, eventuell ein Milzriss. Der Bulli hat sie gut erwischt.“
„Nunja, am helllichten Tag einfach auf die Weseler Straße zu rennen ohne zu gucken, das ist schon ziemlich doof.“
Karl schaut ihn grinsend an. „Was erwartest du? Sie ist blond.“ Dann bricht er in sein albernes, wieherndes Gelächter aus.
Mühlenbrock schüttelt den Kopf und denkt zum wiederholten Mal darüber nach, wer denn wohl die Leiche eines Pathologen obduzieren würde. „Sag mir Bescheid, falls noch was bei der Untersuchung rauskommt.“
Wieder kratzt er seinen Nacken. Er spürt Quaddeln unter seinen Fingern aufplatzen. Das ist nicht gut. Das letzte Mal, dass er sowas erlebt hatte, war seine Enkelin Reiten gewesen. Der Hautarzt hatte was von Pferdehaaren gemurmelt.
Er setzt sich in seinen Wagen und fährt zum Witwer. Der nimmt es überraschend gefasst auf. Fast beschleicht Mühlenbrock ein Verdacht. Aber Olav hat ein Alibi.
Auf dem Revier zieht er als Erstes seine Uniformjacke aus. Der Spiegel enthüllt das gesamte Desaster. Sein Gesicht, sein Hals und auch seine Arme sind von Quaddeln übersäht. Er muss zum Arzt.
Das Telefon klingelt.
“Mühlenbrock? Ach, ja Karl. Was gibt’s? Soso, toxikologisch nix nachweisbar? Mmmmh … ein Unfall also? Okay.“
Er legt auf und kratzt sich sein Kinn. Mein Gott, juckt das. Er muss sofort zu einem Hautarzt. Der niedergelassene Allergologe ist im Sommerurlaub. Die Urlaubsvertretung übernimmt die Praxis in…. Der Kommissar flucht. Ausgerechnet jetzt ist mal wieder keiner da, ihm zu helfen. Dann muss er halt gleich zur Apotheke. Aber erst der Bericht.
Er setzt sich an den Schreibtisch und öffnet das Formular. Mühsam tippt er die Daten im Zweifingersuchsystem ein. Zwischen den einzelnen Eingaben wandern die Finger immer wieder in seinen Nacken, der mittlerweile blutig gekratzt ist.
Die Apotheke macht in einer halben Stunde zu. Irgendwas in seinem Hinterkopf verbindet Pferde und ein Medikament, das die Unfallgefahr heraufsetzt. Aber er will nur noch raus hier. Er beendet den Bericht, speichert ab und macht Feierabend.
Es klingelt. Sie öffnet die Tür und lässt Olav hinein.
„Sei ganz unbesorgt. Wenn sie nicht danach suchen, werden sie das Ketamin niemals finden.“
Sie lächelt und setzt Teewasser auf.
SONNTAGSKRIMI
Sie deckt liebevoll den Tisch. Heute soll es mal ruhig zugehen, Gerd und Olav kommen zum Sonntagskaffee vorbei. Der Applecrumble duftet verführerisch im Ofen, Schlagsahne und frischer Kaffee stehen bereit. Sie tritt einen Schritt zurück und betrachtet ihr Werk; perfekt. Vielleicht wäre eine Karriere in der Gastronomie doch eine Alternative gewesen.
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