Noch 20 Minuten. Zeit genug, um kurz zu duschen. Sie lässt die Hunde in den Garten und sucht sich auf dem Weg nach oben frische Wäsche aus dem Korb neben der Kellertür.
Was ist das für ein Geruch? Sie schnuppert und öffnet die Kellertür einen Spalt.
Gas! Alarmiert reißt sie Haustür und alle Fenster in der Nähe auf. Dann schnappt sie sich eine Taschenlampe, drückt sich ein Handtuch vors Gesicht und rennt in den Keller. In Gedanken dankt sie Gott dafür, dass sie die Kerzen im Esszimmer noch nicht entzündet hat. Bei dem ganzen Apfelkuchenduft hätte sie das erst gemerkt als es zu spät wäre.
Der Angstschweiß steht ihr auf der Stirn, als sie den Heizungsraum öffnet. Tatsächlich, sie kann den beißenden Gasgeruch durch das dicke Handtuch riechen. Da sieht sie es. Aus einem winzig kleinen Loch oberhalb des Absperrhahns strömt Gas. Sie schließt den Hahn und öffnet alle Kellerfenster. Dann geht sie nach oben und lüftet gründlich.
Sie lässt sich auf einen Esszimmerstuhl fallen. Wie konnte das passieren? So eine Leitung wird doch nicht von jetzt auf gleich undicht? Und das Loch war wunderschön kreisrund, fast wie eine Bohrung. So klein wie die Öffnung war, könnte es schon länger da sein, ohne, dass sie es direkt bemerkte.
Sie erinnert sich. Gestern Morgen war ein Mitarbeiter einer Wohnungsbaugenossenschaft da. Sie wollen die alten Häuser aufkaufen und abreißen. Auf die Grundstücke sollen große Mehrfamilienhäuser gebaut werden. Sie hatte kategorisch abgelehnt, ihm aber kurz gestattet das Bad zu benutzen. Dann hatte ihr Handy geklingelt. Als sie zurückkam, war er weg gewesen. Sie hatte noch irgendwo die Tageszeitung, in der ein Artikel über das Projekt stand. Während sie sie raussuchte, standen Gerd und Olav in der Tür. „Ich brauche Eure Hilfe“, rief sie ihnen aus der Küche zu, „dringend!“
„Todesursache?“ Mühlenbrock hält sich die Stirn. Er hat wahnsinnige Kopfschmerzen.
„Tja, ich würde sagen, er hat gleichzeig an- und abgegrillt.“ Karl schließt seinen Koffer und tätschelt der rosaroten Leiche noch kurz die Wangen. „Gasgrills sollte man nicht im Keller benutzen, auch wenn es dort viel kuscheliger ist. Mehr…“
„…Wenn du ihn auf dem Tisch hattest“, ergänzt der Kommissar. Er reibt sich die Schläfen und geht zu seinem Wagen.
Im Revier fährt er den Computer hoch und beginnt den Bericht einzutippen. Die Buchstaben verschwimmen geradezu vor seinen Augen. Das Telefon klingelt. Rasch reißt er den Hörer von der Gabel, bevor der schrille Ton seinen Kopf explodieren lässt.
„Ja? Ach du bist es Gerd? ... Unfall? … eindeutig? Was hat die Spusi gesagt?“ Alarmiert setzt er sich aufrecht hin. „Beweise für Anschläge auf die Nachbarn? Geld? Wieviel? …Gib das weiter und lass den ganzen Laden hochgehen.“
Er legt auf und schaut gedankenverloren auf seinen Monitor. Gut, dass niemand zu Schaden gekommen ist bei den Geschäftspraktiken. Sein Kopf tut schon weniger weh…
Sie öffnet die Tür. Gerd und Olav stehen mit einer Magnumflasche vor ihr.
„Ich glaube, du feierst heute noch mal Geburtstag“, sagt Gerd und gibt ihr einen Schmatz auf die Wange. Olav verteilt Applecrumble auf den Tellern und gießt den Sekt in die Kaffeetassen.
„Auf das Leben“, sagt sie und stößt mit den beiden an.
NIX LOS
Sie öffnet die Flasche Wein und füllt die Gläser von Olav und Gerd. Draußen ziehen dunkle Wolken auf. Es wird regnen, bald.
Gerd stellt das Glas ab und legt ein Holzscheit nach. Der Kamin prasselt. Es ist still im Zimmer.
Olav räuspert sich: „Es ist nix los“
„Mmmh“, antwortet Gerd und sie seufzt.
„Es ist zu kalt“, wirft sie ein und zieht die Wolldecke über ihren Füßen zurecht.
„Die Idioten interessiert das Wetter nicht“, wirft Olav ein, lässt sich aufs Sofa fallen und trinkt einen Schluck.
„Gestern hätte ich fast, aber dann war ich doch zu müde“, erwähnt Gerd und gähnt.
„Möchtet ihr Kekse?“ Sie steht auf, zieht die Strickjacke über den Schultern zusammen und geht in die Küche. Dort liegt ein Brief, den sie vor der Arbeit noch rasch aus dem Briefkasten genommen hatte. Sie holt ein Messer und öffnet ihn.
„Todesursache?“ Mühlenbrock räuspert sich heiser. Das ist nicht seine Jahreszeit. Die Kälte und die Feuchtigkeit sind nichts für seine Bronchien. Trotzdem zündet er sich eine Zigarette an und schaut Karl erwartungsvoll an.
„Pfff“, antwortet der Pathologe und rückt sein Halstuch zurecht. „Auf den ersten Blick finde ich nichts. Einfach tot. Keine Verletzungen, keine Verfärbungen, die auf Gift hindeuten, nix.“
„Er ist also nicht tot?“ Mühlenbrock seufzt. Er fühlt sich fiebrig.
Karl grinst. „Doch, da bin ich mir sicher. Vielleicht kann ich dir mehr sagen…“
„…Wenn du ihn auf dem Tisch hattest.“ Er gibt der Spusi das Zeichen, dass sie die Leiche mitnehmen können und geht kopfschüttelnd zum Wagen. Auf dem Revier wird er sich erstmal einen heißen Tee machen.
Er fährt den Rechner hoch und lädt das Formular für ungeklärte Todesfälle. Für einen Moment wundert er sich. Mittlerweile haben sie in dieser beschaulichen Stadt fast eine Quote wie in New York. Wenn er sich besser fühlt, wird er dem auf jeden Fall nachgehen.
Das Telefon klingelt. „Ja? Mühlenbrock? Ach du bist es. Was hat die Obduktion ergeben? Herzschlag? Einfach so? Armer Kerl. Ja, danke, ich geh gleich heim und dann direkt ins Bett. Morgen bin ich wieder fit. Dir auch.“
„Dafür schicken sie einem Post ins Haus. Werbung für Treppenlifte.“ Sie schmeißt sich aufs Sofa und schenkt sich noch einen Schluck Wein ein.
Gerd schnappt sich das Werbeprospekt und liest es durch.
Olav fragt: „Was kommt heute im Fernsehen?“
„Nix“
BAUSTELLE
Sie schaut genervt aus dem Fenster. Die Baustellenbaken stehen schon seit zwei Wochen vor ihrer Einfahrt. Ebenso ein herrenloser Bagger und diverse Kabeltrommeln. Seit sie den Zettel mit der Bitte, außerhalb ihrer Einfahrt zu parken, im Briefkasten hatte und der Gehweg genau vor ihrem Haus aufgerissen wurde, hat sich nichts mehr getan. Bei ihren Nachbarn ist nichts, und das, obwohl sie als Einzige in der Straße nicht von dieser Aktion profitieren wird. Sie hat längst schnelles Internet. Und die Nachbarn hätten es auch haben können – ohne dieses Mordstheater. Sie hätten sich nur informieren müssen. Aber es ist natürlich leichter, den Klinkenputzern zu glauben. Mittlerweile glaubt sie fast, dass die Baustelle bei ihr Schikane ist. Sowas wie Rache, weil sie als Einzige in der Straße den seltsamen Vertrag nicht unterschrieben hat.
Am nächsten Tag sieht alles anders aus. Auf einmal scheint der große gelbe Ameisenhaufen vor ihrem Gartentor hunderte, nein tausende kleiner, fleißiger Arbeitsameisen ausgespuckt zu haben. Mindestens fünf kleine Radlader fahren emsig die Straße rauf und runter. Die Luft ist erfüllt vom Dröhnen der Presslufthämmer. Das Werkzeuglager wächst direkt vor ihrer Haustür, auf ihrer Auffahrt steht der Kompressor – direkt neben dem Generator. In ihrer Küche vibriert alles und die Luft ist durchzogen von Staub und Abgasen.
Sie beobachtet das Spiel eine Weile, sieht aber kein System. Es scheint, als würden Gehwegteile aufgerissen und wieder zugeschüttet werden, ohne dass irgendetwas verlegt wurde. An anderen Stellen schlängeln sich lange rote Plastikleitungen aus Löchern im Boden und scheinen dort vergessen zu werden.
Am Unverständlichsten agieren die Fahrer auf ihren kleinen Miniradladern. Sie fahren viel zu schnell hin und her. Einige haben Erde auf ihren Schaufeln, die sie nirgendwo hin kippen, sondern nur straßauf-, straßab fahren. Andere bevorzugen die Leerfahrten. Sie scheinen verzweifelt eine Stelle zum Graben zu suchen, sie aber nicht zu finden. Würden die zwei Varianten zusammenkommen, könnte etwas Fruchtbares daraus entstehen. Doch sie fahren schnell aneinander vorbei, würdigen sich keines Blickes, so als würde der eine sich für etwas Besseres halten als der andere. Nur in einem sind sie sich einig, sie wollen Geschwindigkeitsrekorde brechen.
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