Ein kleines, böses Schmunzeln stahl sich in ihr Gesicht, kannte sie doch einige der kleinen Geheimnisse, mit denen diese vorgegebene Natur unterlaufen werden konnte. Die Verwendung von Schweine- oder Schafsblasen beispielsweise, die eine Schwangerschaft verhüten sollten, meist aber nur verzögerten, weil sie irgendwann platzten. Von Methoden, die hinterher anzuwenden waren, hatte sie munkeln hören, aber es widerstrebte ihr, dem ihre Ohren weiter zu öffnen.
Eigentlich konnte sie zufrieden sein, ihr Mann war fleißig und verlässlich und ihm rutschte nur selten die Hand aus. Auch jetzt hatte er die Wiege gerichtet und so wie immer für ihren gemeinsamen Hausstand gesorgt. Es gab keinen Grund, den Lauf der Dinge aufhalten zu wollen.
Emma beobachtete ihre Mutter aufmerksam und sie spürte, dass sie sich sorgte.
"Mama, keine Angst, wenn das neue Baby da ist, helfe ich dir. Ich kann doch wieder ganz gut laufen. Und Tante Thea kommt sicher auch mal vorbei."
Die Mutter starrte sie an, als wäre sie die Pest. Dass dieses Kind sie auch ausgerechnet jetzt daran erinnern musste, dass es da diese höchst ansteckende, unheimliche Krankheit gab.
Ja, natürlich, das war es. Die Sorge, dass sie wiederkommen könnte. Und Emma? Emma war diese Krankheit, eine Personifikation dieser Seuche, gegen die sie machtlos waren.
Die Mutter erschrak über sich selbst. Genauso waren ganze Dorfgemeinschaften im Mittelalter den Pestkranken und den Trägern anderer unheimlicher, weil unheilbarer Krankheiten gegenübergetreten. Im besten Fall hatten sie sie vertrieben.
Sie wusste, dass Emma nichts für ihre Krankheit konnte. Und trotzdem regte sich in ihr diese instinktive Abwehr. So leicht also konnte jemand zum Außenseiter werden, angefangen in der eigenen Familie. Und trotzdem ließ sie die Angst nicht los.
"Mama? Sag doch was!"
Langsam erwachte die Mutter aus ihrer Starre und strich mechanisch ihre Schürze glatt.
"Du kannst die Saaten nochmal angießen, aber vorsichtig, damit sie nicht ausgeschwemmt werden. Wie es aussieht, kriegen wir heute keinen Regen mehr. Ich muss mal einen Moment die Beine hochlegen."
Mit zögernden, breiten Schritten ging die Mutter zum Haus und Emma machte sich an die Arbeit. Zum Glück war die Regentonne unter dem Fallrohr, in der sie das Wasser vom Dach des Hauses auffingen, noch gut gefüllt und sie musste nicht danach pumpen. Sie versenkte die große, schwere Gießkanne aus Zink in dem leicht brackigen Wasser, um sie zu füllen. Gut halb voll, mehr nicht. Sonst würde sie die Kanne nicht mehr heben können. Der Garten war nicht sehr groß, aber doch groß genug, dass Emma fast zwei Stunden beschäftigt war, bis alle Saaten getränkt waren. Als Emma in die Küche kam, suchte ihre Mutter gerade alle Zutaten für das Essen zusammen, das sie heute kochen wollte. Emma verzog das Gesicht. Weiße Bohnen Eintopf. Sie hatte die Schüssel gesehen, in der die Bohnen seit gestern Abend zum Einweichen standen.
Traditionell wurde er bei ihnen mit geräuchertem Schweinespeck angesetzt. Dazu kamen Möhren, Sellerie und Kartoffeln, die den Winter in der Miete im Garten einigermaßen überstanden hatten. Entscheidend war der Speck. War er gut durchwachsen, wurde der Eintopf kräftig und aromatisch. Hatte er jedoch mehr Fett als Fleisch, schwammen alle anderen Zutaten am Ende in einer ekligen Fettbrühe und von Raucharoma keine Spur.
Die Mutter blickte kurz auf.
"Du kannst mir mit dem Gemüse helfen. Fang mal mit den Wurzeln an. Thea ist bei den Nachbarn und kommt erst zum Abendbrot wieder."
Und sie schob ihr einen großen Teller und ein Messer zu. Emma schrapelte also die Wurzeln, wie die Mohrrüben bei ihnen hießen, und schnitt sie in feine Scheibchen, während ihre Mutter die Sellerieknollen zerkleinerte. Ein großer Topf mit Wasser stand bereits auf dem Herd. Die Mutter tat nun das Fleisch und den Sellerie hinein, fügte Salz, Pfeffer und weitere Gewürze hinzu und legte den Deckel auf. Als das Ganze zu kochen begann, kamen noch die abgegossenen weißen Bohnen und die Möhren hinzu. Die Kartoffeln würden nur die letzten zwanzig Minuten mit kochen, damit sie nicht zerfielen.
Als der Eintopf deutlich vernehmbar erneut zu brodeln begann, schob die Mutter den Topf kurz beiseite, um das Feuerloch darunter mit einigen zusätzlichen Eisenringen mit Hilfe des Schürhakens fast zu schließen. Der Eintopf sollte sachte vor sich hin garen und nicht überkochen und sich schwungvoll über ihren Herd ergießen.
"So, dann kannst du mit den Resten die Kaninchen füttern."
Emma erledigte auch das. Als sie in die Küche zurückkam, hatte ihre Mutter den Wäschekorb mit der sauberen Wäsche auf einen Stuhl gestellt und sortierte die Teile auf den Tisch, wobei sie die, die sie nicht bügeln wollte, sofort zusammenfaltete. Viele waren das leider nicht. Tatsächlich fühlten sich Handtücher und vor allem die Unterwäsche aus grober Baumwolle sowie alle Teile aus Leinen nach dem Bügeln viel weicher an, so dass fast jeder sie so behandelte.
"Du kannst die fertigen Sachen gleich...."
Die Mutter sprach ihren Satz nicht zu Ende. Die Socken, die sie gerade zurecht zog, fielen ihr aus der Hand und sie griff nach ihrem Bauch, um ihn unten herum zu umfassen und zu halten. Sie stand ganz still, schaute nur entgeistert auf ihre Füße, um die sich eine Lache hellen Wassers sammelte, das warm an ihren Beinen entlang zu Boden floss.
"Mama, was ist mit dir?"
Fassungslos und voller Angst blickte Emma auf die Bescherung.
Die Mutter fing sich wieder.
"Ist nicht so schlimm. Die Fruchtblase ist geplatzt, deshalb das Wasser. Das Baby kommt. Hilf mir mal ins Schlafzimmer."
Emma stützte ihre Mutter, so gut sie konnte, während diese breitbeinig, Schritt für Schritt, bis zu ihrem Bett mehr wankte als ging. Sie lehnte sich auf dessen Fußteil und holte tief Luft. Sie spürte ein Ziehen im Bauch, Anzeichen von Senkwehen. Das wäre gut.
"Schieb mir mal den Stuhl neben das Bett."
Emma schob den Stuhl, der sonst der Ablage ihrer Kleidung diente, in Reichweite der Mutter. Diese setzte sich langsam und vorsichtig darauf.
"Und jetzt schlag das Bett auf. Hol einen Stapel Handtücher aus der Truhe. Und dann brauche ich noch frisches Wasser im Krug."
Emma erledigte das alles und füllte auch den Krug zur Porzellanwaschschüssel wie geheißen.
"In der Teekanne auf dem Küchenbord ist noch etwas Kamillentee. Den bring man auch noch her."
Emma stellte die Teetasse auf das Nachtschränkchen ihrer Mutter.
"Und jetzt das wichtigste. Lauf zu Tante Thea und sag ihr, es ist soweit. Sie weiß dann schon Bescheid. Und beeil dich!"
"Aber...", hob Emma mit Blick auf die nassen Sachen ihrer Mutter an.
"Damit komme ich allein zurecht. Aber nachher, da brauch ich Tante Thea."
Emma stürzte los, während die Mutter ihre Abwesenheit nutzte, sich zu entkleiden, sich notdürftig zu waschen und ein großes Nachthemd überzustreifen. Dieses kleine bisschen Intimität in einer stattlichen Familie, in der man sonst aber auch alles teilte, war ihr wichtig. Dieser kleine, kostbare Moment des Alleinseins und der Ruhe.
Der Ruhe vor der großen Anstrengung.
Das hoffte sie jedenfalls, denn war die Fruchtblase einmal geplatzt, bestand die Gefahr einer aufsteigenden Infektion, gegen die sie nichts ausrichten konnten, und die Mutter und Kind gefährdete. Die Wehen sollten also besser bald einsetzen. Vorsichtig setzte sie sich auf das Bett, schob sich ein zusätzliches Kissen in den Rücken, so dass sie halb sitzend die Beine ausstrecken konnte, und zog die Bettdecke zu sich heran. Sie durfte jetzt nicht kalt werden. Immerhin war der Tee noch handwarm und belebte sie ein wenig.
Sie hörte Emmas schnelle Schritte, die ein wenig aus der Puste in der Schlafzimmertür auftauchte.
"Tante Thea muss noch kurz zur Nachbarin, das Kind wegbringen, dann kommt sie her."
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