„Herr Hackmann gehörte einer, Gott vergelt's, in Bayern wesentlich unbedeutenden Partei an.“
„Was verstehen Sie unter einer unbedeutenden Partei, Herr Schwickersdorfer?“
„Die Linke.“ Frau Wolter prustete ins Mikrofon.
„Herr Schwickersdorfer,“ entgegnete sie leicht amüsiert, „die Linke sitzt heutzutage im Bundestag. Wir reden hier nicht über eine verbotene Organisation oder gibt es da noch mehr zum Totschweigen in der bayrischen Justiz?“
„Frau Wolter, verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Lorenz Hackmann war stadtbekannt. Auf Landesebene war er in Juristenkreisen berüchtigt für seine unerhörten Forderungen nach höheren Strafen, auch bei Kapitalverbrechen.“
„Was ist denn Ihrer Meinung nach, der genaue Grund für die strenge Geheimhaltung über die genaueren Hintergründe? Als Staatsanwalt ist er doch als Politiker nie wirklich in Erscheinung getreten.“
„Üblicherweise wird oft in so einem Fall zunächst eine Affäre vermutet, doch das Tatmotiv bleibt offenbar bislang noch ungeklärt.“
„Wie hat denn die Ehefrau des Opfers auf die Situation reagiert?“
„In den renommierten Kreisen der Schwabinger Künstlerszene soll es zu Eifersüchteleien zwischen einzelnen Künstlern gekommen sein. Herr Lorenz Hackmann soll ein sehr großzügiger Mäzen gewesen sein.“
„Warum werden uns denn die genaueren Umstände überhaupt geheim gehalten?“, dabei schaute Arabella Wolter, Moderatorin beim größten Fernsehsender Bayerns, direkt in die Kamera.
„Da, liebe Frau Wolter, können wir nur spekulieren. Es heißt sogar, dass selbst die Polizei keine Fragen stellen darf, nichts wissen darf und was das aller Schlimmste ist, sie sollen gar nicht ermitteln dürfen.“
„Wir schalten zurück...“
„Wussten Sie, dass Staatsanwalt Lorenz Hackmann ein Kunstliebhaber war?“, Bürgermeister Ross sah jetzt zu Schäfer hin, der sich gerade eine Dose Bier aus dem Kühlschrank geholt hatte. „Das wiederholen die jetzt fünfzig tausendmal, bis neue,“ er hob zwei Finger zu andeutenden Gänsefüßchen, „Ermittlungsergebnisse bekannt werden.“
„Ich bin heute Abend hierhergekommen, Schäfer, weil wir in der Vergangenheit immer...“ abwägend den Kopf zu Seite legend und ein Kussmund formend, machte Ross eine kurze Sprechpause.
Während er beide Hände, wie eine Waage gegeneinander abwog, fuhr er fort: „...in der Vergangenheit, wenn wir nicht weiterwussten, haben wir unseren Freund, Paul Huber, hinzugezogen.“ „Gehen wir doch kurz in mein Arbeitszimmer.“
N
achdem Oberbürgermeister Ross gegangen war, gesellte Schäfer sich wieder zu Johanna auf das Sofa.
Im Fernsehen gab es im Abendprogramm weitere Meldungen vom angeblich unerwarteten Tod von Staatsanwaltes Lorenz Hackmann.
Verzweifelt und mit forscher Neugierde drehten sich die Mutmaßungen über den ja schon vor fast, bereits drei Wochen aus dem Leben geschiedenen Staatsanwalt Lorenz Hackmann. Man wertete die mangelhafte Aufklärung als unverschämten Versuch, Tatsachen zu verschleiern und kehrte immer wieder zu der These zurück, wie unfähig doch im Allgemeinen die Polizei sei.
Im Fernsehen lief gerade eine Sendung über die Diskussion, ob in Bayern die Justiz noch härtere Strafen durchsetzen sollte oder, ob schon das Fass voll sei.
Allgemein nähmen die Forderungen nach härteren und strengeren Strafen zu. In der Öffentlichkeit würde aber auch breit von ungerechtfertigter Willkür gesprochen, dem Fass ohne Boden, als Johanna ihren Mann wiederholt vergebens dazu animierte die Nacht im gemeinsamen Schlafzimmer fortzusetzen.
Der nächste Morgen verlief still und ohne Vorkommnisse, so dass Schäfer fast stressfrei und pünktlich das Büro des Oberstaatsanwaltes, Manfred Zimmermann, erreichte. „Möchten Sie einen Kaffee, Herr Schäfer? Oberstaatsanwalt Zimmermann telefoniert noch.“
„Nein, danke. Den Kaffee habe ich heute schon auf.“
Aufrecht, als hätte sie ein Brett verschluckt, schaute Gisela, die Vorzimmerdame des Oberstaatsanwaltes, wie sie im Gebäude des Landgerichts München gerne hinter vorgehaltener Hand genannt wurde, mit gemischten Gefühlen über den Empfang hinweg ins Leere: „Dass Sie in dem Fall des Staatsanwaltes Lorenz Hackmann nicht weiter kommen, dafür kann ich nichts.“
Schäfer ignorierte Giselas Bemerkung und starrte ebenso, schweigend und gedankenverloren aus dem Bürofenster des Vorzimmers des Oberstaatsanwaltes im dritten Stock des Gerichtsgebäudes.
Er war gerade geistig wieder in dem Fall verwickelt und überlegte, welches Motiv wohl die Mörderin tatsächlich gehabt zu haben scheint, als ihn der Oberstaatsanwalt in sein Büro bat. Seiner Assistentin, Rechtspflegerin Gisela Menninger, rief er nur knapp zu, dass er vorerst nicht gestört werden wollte.
Während Schäfer und der Oberstaatsanwalt Manfred Zimmermann weitere Maßnahmen besprachen, konnte Gisela Menninger Gesprächsfetzen mithören.
Als sie mitbekam, dass der getötete Staatsanwalt in einer peinlichen Situation ermordet aufgefunden worden war, rief sie sofort ihre bislang einzige, ihr wohlgesonnene Kollegin, Zara Meier, von dem Dezernat – Sittlichkeitsverbrechen an.
„Lieber Schäfer, es steht außer Frage, dass unsere Polizei nicht befugt ist, hier zu ermitteln. Uns sind die Hände gebunden.“
Oberstaatsanwalt Manfred Zimmermann hielt inne. Schäfer, der die ganze Zeit seine Hände studiert hatte, sah prompt auf. „Sagen Sie doch bloß so etwas nicht, Herr Oberstaatsanwalt.“
„Wir können nur abwarten, ob sich Kommissar Zufall meldet und wir einen Hinweis bekommen.“
„Kommissar Zufall kenne ich nicht. Darauf zu warten, dass sich aus dem involvierten Personenkreis jemand freiwillig meldet, nein, das kann ich mir nicht vorstellen.
Solange unsere Beamten keinen direkten Gebrauch von ihren üblicherweise genutzten Ermittlungswegen machen dürfen, sehe ich da persönlich absolut keine Chance den Fall jemals aufklären zu können. Sorry, aber das ist wahnwitzig.“ Oberbürgermeister Zimmermann griff zum Telefonhörer seiner recht altmodisch aussehenden Telefonanlage und drückte den Knopf, der ihn direkt mit Gisela verband.
Schäfer sann darüber nach, dass die Anlage den augenscheinlichen Eindruck vermittelte, tatsächlich noch analog zu funktionieren.
Den unerwartet seltsam erschrockenen Gesichtsausdruck seines Gegenübers registrierte er mit Verwunderung. Der wiederum saß jetzt da, mit offenem Mund, aufgerissenen, starren Augen, den Kopf, fast wie in Zeitlupe langsam von links nach rechts bewegend.
L
eise und ebenso langsam startete er den scheinbaren Versuch, das auszudrücken, was er gerade empfand und hauchte fast stimmlos: „Das höre sich doch einer mal an.“
Schäfer verlagerte sein Gewicht auf dem Bürosessel, auf dem er Platz genommen hatte von rechts nach links und zuckte dann nur unverständlich mit den Schultern. „Was ist?“, forderte er den Oberstaatsanwalt ungeduldig auf, wie es seine Art war, ihm auch mal zu erläutern, um was es sich denn jetzt wieder handeln würde.
Der sagte nur: „Gisela.“ „Wie, Gisela?“, und Schäfer dachte dabei spontan an ein Verhältnis, das die beiden haben könnten oder dass Gisela gerade in dem Moment genauso mausetot sein könnte, wie Staatsanwalt Lorenz Hackmann.
Oberstaatsanwalt Zimmermann flüsterte fast: „Meine Assistentin, Gisela Menninger, führt gerade ein selbstbestimmtes Telefonat mit einer Kollegin von der Sitte.“, dabei winkte er Schäfer zu sich herüber und es schien, als wollte er ihn dazu einladen mitzuhören. „...das habe ich dir doch angedeutet, Gisela-Maus, hier stinkt etwas ganz gewaltig, nach Prominenten-Mist.“
„Ach du liebe Güte, du meinst an der Sache ist richtig was dran?“ „Ich habe die Akte kurz gesehen, es ist unter anderem die Rede von Jugendlichen, teils noch Minderjährigen.“ „Ach, der Manfred weiß davon noch gar nichts?“
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