Eine direkte Konfrontation mit Kowalski wollte Waldschütz um alles in der Welt vermeiden. Für den Knacki war der Bulle das knallrote Tuch eines Toreros, der den Stier bis aufs Blut reizte und diesen unweigerlich nach einer langen Qual in den Tod beförderte. Waldschütz hatte das Gefühl, er hätte Kowalski in den seelischen oder sozialen Tod geritten. Dieser würde mit den letzten Zuckungen und Regungen, die der Leib erlaubte, dem Bullen den Garaus machen wollen.
Waldschütz hatte das Frankfurter Kreuz passiert, er befuhr die A5 bis Kassel, wo er dann nach Dortmund und weiter in Richtung Bielefeld fahren wollte. Die zitternden und schwitzenden Hände verrieten ihm den emotionalen Pegel. Er spielte einen gefährlichen Gedanken aus, der im möglicherweise am Ende des Weges in größte Schwierigkeiten führte.
„Das ist es mir wert“, machte er sich Mut und wusste, dass er damit sein schlechtes Gewissen ruhig stellte. Jenes Teil, das er jahrelang benebelte, das sich trotzdem nicht totkriegen ließ. Nun war die Zeit gekommen, wo sich das Gewissen nicht mehr beruhigte, sondern vielmehr seinen Tribut einforderte, dem Waldschütz nicht auswich.
„Aufrichtigkeit gehört zwar nicht zwingend zum Beruf des Polizisten“, dachte er, „ für mich ist es lebensprägend. Wie verkommen muss eine Menschheit sein, die nur in diversen Täuschungen überlebt?“
Er würde lieber den Heldentod sterben, als mit dem Gefühl herumzulaufen, einem Menschen das Leben zerstört zu haben. Waldschütz ertappte sich, wie er exakt so fühlte und dachte wie Kowalski. Das vergleichbare Gerechtigkeitsverständnis, das nicht den geringsten Fehler tolerierte, sondern darauf aus war, diesen gnadenlos zu sanktionieren. Vergebung existierte nur in einem schmucken Buch, das für die Menschheit jegliche wertbildende Bedeutung eingebüßt hatte.
„Heutzutage gestalten die Menschen ihre Gesetze selbst“, sagte sich Waldschütz, „da überleben keine Weicheier, nur Menschen, die sich dem Gericht der Mitmenschen stellen, werden überleben.“
Er sprach der Selbstjustiz das Wort und schämte sich nicht, dass ihm als Beamten das passierte.
„Würden wir alle statt den Scheißkram wie Ethik lernen, wie wir miteinander klarkommen und eigenständig die Regeln aushandeln, wäre die Welt wahrscheinlich besser, zumindest ehrlicher.“
Ein hehrer Gedanke, den er noch nicht zu Ende gedacht hatte, als er Bielefeld erreicht hatte. Jetzt waren es nur noch wenige Augenblicke, bis er das Epizentrum des schlechten Gewissens, den Knast Bielefeld, sehen würde.
„Bin gespannt, ob Kowalski dort noch einsitzt?“,sagte er und klingelte an der Eingangstüre. Ein Justizvollzugsbeamter empfing und führte ihn in die heiligen Halle der deutschen Sühne, wo vom richtigen Weg abgekommene Menschen wieder im Training die Kurve kriegen sollten. Waldschütz war in dem Moment froh, dass er das Smartphone im Auto abgelegt hatte. Er wollte als Zivilist seiner Vergangenheit Auge in Auge gegenübertreten. Sofern das möglich war.
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