Dann sind der Tag und die Einführung schon vorbei. Bereits am nächsten Tag bin ich im produktiven Einsatz.
Ab 29. März: Arbeiten vor Ort
Um 7:30 Uhr fahre ich heute mit dem Zug nach Vevey. Der Vorgesetzte erwartet mich im Zug, da er von Zürich kommend ebenfalls beim Kunden vor Ort sein wird. Auf der Reise unterhalten wir uns über das Projekt, in dem ich eingesetzt werden soll.
In Vevey angekommen, starte ich nach einer kurzen Begrüßungsrunde und einigen Erläuterungen zur Arbeitsumgebung mit meinen Aufgaben. Es müssen diverse Prozesse angepasst werden. Da ich das letzte Mal vor drei Jahren mit diesem Tool gearbeitet habe, benötige ich etwas mehr Zeit als üblich. Später erfahre ich, dass der hauptverantwortliche Entwickler krankheitsbedingt ausfällt und deshalb nicht erscheinen wird. Das macht die Sache für mich schwieriger, aber ich bringe das Ganze zum Laufen.
Da ich zur Zeit noch keine Kreditkarte habe, pendle ich vorerst täglich zwischen Bern und Vevey. Ich möchte deshalb um 18 Uhr die Arbeit beenden und nach Hause gehen. Das wird vom Vorgesetzten nicht gerne gesehen und er fordert mich auf, das Notebook mitzunehmen, um im Zug weiterarbeiten zu können. Etwas ironisch gebe ich zur Antwort, dass sich das Notebook im Büro wohlfühle und über Nacht lieber dort bleiben wolle.
Ich verlasse das Büro und mache mich auf die Heimreise. Um ca. 20 Uhr komme ich zu Hause an.
Die nächsten zwei Tage dasselbe: 6:30 Uhr aufstehen, 7:30 Uhr Abreise nach Vevey, Ankunft im Büro um ca. 9:15 Uhr und dann durcharbeiten, am dritten Tag sogar ohne Mittagspause. Ehrlich gesagt, macht mir das Arbeiten so keine Freude. Ich habe überhaupt keine Zeit mehr, um meinen lieb gewonnenen Freizeitaktivitäten nachzugehen. Für mich war der Sport immer etwas sehr Wichtiges und ich will darauf nicht verzichten. Aber unter diesen Umständen ist nicht mehr daran zu denken.
Wenigstens am Freitag kann ich von zu Hause aus arbeiten, was mir etwas Luft verschafft. Ich benötige diesen Freiraum auch. Am Freitag erfahre ich, dass ich am kommenden Montag gleich nach Vevey zum Kunden und nicht nach Zürich ins Büro gehen soll.
4. April 2011: Unangenehmer Kollege
Ich treffe wie gewöhnlich um 9:15 Uhr im Büro ein. Ich bin der einzige Anwesende. Ein Manager der Nestlé schaut herein und nimmt wohlwollend zur Kenntnis, dass wenigstens ein Mitarbeiter anwesend ist. Arbeiten kann ich allerdings nicht, weil ich gar nicht weiß, was zu tun ist und niemand da ist, der mir Aufträge erteilen könnte. Also beschäftige ich mich etwas intensiver mit der Software, die ich warten muss.
Als um elf Uhr immer noch niemand da ist, rufe ich den Chef an und frage, ob heute noch jemand kommen wird und was ich tun soll. Er meint, ich solle warten, ein Kollege aus Wien sei unterwegs und treffe gegen zwölf Uhr ein.
Dieser kommt mir am Mittag auf dem Weg in die Kantine entgegen. Anstatt gleich mit mir in die Kantine zu gehen, muss ich ihn zurückbegleiten, damit er einstempeln und die Mittagszeit dem Kunden verrechnen kann. Ich nehme das mit Staunen zur Kenntnis.
Am Nachmittag erklärt er mir die anstehenden Aufgaben, die von mir zu erledigen sind. Er selber macht allerdings nicht viel. Er erfreut sich an verschiedenen Spielen, die er auf seinem Notebook installiert hat. Später will er wissen, was ich am Vormittag und letzten Freitag zu Hause gemacht habe. Er fragt mit vorwurfsvollem Unterton: »Was hast du eigentlich heute Vormittag gemacht? Und letzten Freitag, was hast du zu Hause gemacht?« Er ist nicht mein Vorgesetzter und so gesehen geht ihn das nichts an. Aber der Umgangston, der in dieser Firma herrscht, fällt mir schon hier unangenehm auf. Ich frage mich, was das eigentlich für eine Firma ist. Außen- und Innenbild passen überhaupt nicht zusammen. Die Firma präsentiert sich gegen außen als eine internationale Top-Consultingfirma, die angeblich die besten Köpfe unter ihrem Dach vereint. Nach innen sieht das Bild allerdings ziemlich armselig aus. Nicht dass die Leute schlecht ausgebildet wären, aber menschlich und führungsmäßig sieht es erbärmlich aus. Ich spüre schon jetzt, dass wir wohl nicht zusammenbleiben werden.
5. April 2011: Die Situation eskaliert
Heute ist auch der Vorgesetzte anwesend. Und der Kollege, der gestern unangenehm aufgefallen ist, versucht, gegenüber diesem ein gutes Bild abzugeben. Er setzt sich im Gegensatz zu gestern voll und ganz für die Lösung anstehender Probleme ein.
Mit einem dieser Probleme habe ich zu kämpfen. Weil der zuständige Entwickler krankheitsbedingt ausgefallen ist, komme ich nicht weiter. Ich finde keine brauchbare Dokumentation und habe keinen kompetenten Ansprechpartner. Daher unterlaufen mir Fehler. Das bleibt dem Kollegen natürlich nicht verborgen. Er nutzt die Gelegenheit, sich gegenüber dem Chef zu profilieren, indem er meine unvermeidlichen Wissenslücken ausnutzt, um seine Überlegenheit zu demonstrieren. Allerdings kommt er alleine auch nicht weiter und so entschließt er sich, den kranken Kollegen in Wien anzurufen. Erst nach Stunden und mit intensiver telefonischer Unterstützung gelingt es, das Problem zu lösen. Trotzdem tut er so, als hätte er das Problem alleine gelöst, und fragt den Chef: »Bist du zufrieden mit mir?« – »Ja, sehr«, antwortet dieser.
Ich arbeite mittlerweile an anderen Aufgaben weiter. Um 19 Uhr möchte ich schließlich nach Hause gehen, obwohl noch nicht alle Tasks erledigt sind. »Du willst schon nach Hause?«, fragt der Kollege und kommt zu meinem Arbeitsplatz. »Du bist ja noch gar nicht fertig«, zischt er mich an. »Nein, du kannst noch nicht nach Hause gehen, erst müssen die Tasks für heute erledigt werden … Warum hast du so lange für die paar Aufgaben gebraucht? Du arbeitest viel zu kompliziert!« Und dann schreiend: »Ich gehe jetzt aufs Klo und wenn ich zurückkomme, ist die Aufgabe erledigt!«
So geht das noch zwei Stunden weiter. Um 21 Uhr packe ich meine Sachen zusammen und verlasse das Büro, ohne mich zu verabschieden. Für mich ist bereits jetzt klar, dass ich nicht hierbleiben werde. Ich muss mir so etwas nicht gefallen lassen.
6. April 2011: Der Damm ist gebrochen
Nachdem ich gestern übel beschimpft worden bin, entscheide ich mich, heute zu Hause zu bleiben. Noch am Vormittag entschließe ich mich, meine neue Stelle nach nicht einmal zwei Wochen zu kündigen, und informiere den Vorgesetzten. Er nimmt das relativ gelassen zur Kenntnis und meint, unsere gegenseitigen Erwartungen hätten sich wohl nicht erfüllt. Wie wahr. Ich habe einen Arbeitsweg von insgesamt viereinhalb Stunden, muss bis 21 Uhr arbeiten und das Arbeitsklima ist gelinde gesagt eisig. Alles in allem kein Ort, an dem man es lange aushält. Das Fachgebiet ist zwar interessant, was auch der Grund für mein Interesse an der Stelle war, aber die Arbeitsbedingungen sind unzumutbar.
Das ist für mich nun die fünfte Enttäuschung innerhalb weniger Jahre. Wenn ich zurückblicke, waren es jedes Mal menschliche Gründe, warum es zur Trennung kam. Mobbing scheint sich wie eine Seuche in der Arbeitswelt auszubreiten. Sicher hat es das schon immer gegeben, aber nie in diesem Ausmaß. Ich sehe verschiedene Gründe für diese Entwicklung. Auf der einen Seite sind die Kommunikationsmöglichkeiten heute fast unbegrenzt, auf der anderen Seite ist die Kommunikation aber auch sehr oberflächlich und unverbindlich geworden. Psychologisch sind wir gar nicht mehr in der Lage, die Menge der Kontakte zu verarbeiten. Wir sind schon alleine deshalb gezwungen, keine emotionalen Bindungen entstehen zu lassen. Oberflächlichkeit wird dadurch zur Überlebensstrategie. Dies hat zur Folge, dass man seine Mitarbeiter und Arbeitskollegen nicht mehr richtig kennt, was zu vielen Missverständnissen und Konflikten führt. Aus Konflikten wird irgendwann Mobbing; der Übergang ist fließend.
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