Und so kommt, was kommen musste: Die Vorgesetzte lädt mich zu einer Besprechung ein. Nachdem wir im Sitzungszimmer Platz genommen haben, fängt sie an, um den heißen Brei herumzureden. Ihr sei dies und das aufgefallen und ich hätte Konzentrationsprobleme, die angeblich auf zu vielen Aktivitäten in der Freizeit zurückzuführen seien. »Du machst zuviel Sport, so viel Bewegung ist schlecht für die Konzentration. Du solltest dich weniger bewegen!« Was soll man dazu sagen? Ich bin sprachlos. »Du solltest auch weniger lesen, deine Weiterbildung ist nachteilig für die Arbeit.« Ich kriege den Mund nicht mehr zu. Außerdem passe ihr nicht, dass ich kreativ sei. »Wir wollen keine kreativen Mitarbeiter.« Ich schüttle den Kopf. Es folgen noch ein paar merkwürdige Vorwürfe. Das Gespräch endet, weil der Besprechungsraum anderweitig benötigt wird.
Ich packe meine Sachen zusammen, schalte den PC aus und gehe heim. Zu Hause kündige ich mein Arbeitsverhältnis per Mail unter Berücksichtigung der für die Probezeit geltenden Frist von sieben Tagen. Kurz danach erhalte ich einen Anruf vom HR mit einer Einladung zu einer Besprechung. Der Personalvermittler ruft auch noch an. »Hätten Sie mich vor der Kündigung nicht anrufen können?« Ich erkläre ihm, dass ich in einem bizarr anmutenden Gespräch mit der Vorgesetzten niedergemacht worden sei, wie ich das noch nie erlebt habe. Das Gleiche sage ich auch dem HR in der Besprechung, die ein paar Tage danach stattfindet. Seitens des HR bietet man mir als Schadensbegrenzung an, trotz der kurzen Anstellungsdauer ein Arbeitszeugnis auszustellen.
Suizidgedanken schleichen sich ein
Nach diesem nun dritten Mobbing binnen zweier Jahre beginnen sich Suizidgedanken einzuschleichen. Der Masseur, zu dem ich regelmäßig nach dem Training gehe, fragt mich, ob mir die neue Stelle gefalle. »Nein, ich habe gekündigt!« Ich beklage mich, dass ich gemobbt worden sei. »Ich habe von alldem die Schnauze voll. Ehrlich gesagt, ich bin froh, wenn ich tot bin«, bringe ich meine seelische Not zum Ausdruck. Bis jetzt konnte ich mich jeweils wieder aufraffen und zur Wehr setzten. Mit dem abermaligen Mobbing hat sich jedoch ein Überdruss eingestellt. Ich beginne, mich selbst zu hinterfragen, und das ist das Heimtückische und Lähmende am Mobbing: Was habe ich falsch gemacht? Bin ich wirklich so schlecht? Habe ich wirklich so einen schwierigen Charakter, der diese Ablehnung provoziert hat? Es ist völlig normal, dass solche Fragen aufkommen, aber man sollte sie gleich wieder wegschieben. Natürlich hat man immer einen Anteil am Mobbing, auch dann, wenn man sich vorbildlich verhält, denn der Mobber findet immer einen Grund zuzuschlagen. Und gerade weil man immer einen Anteil hat, darf und kann man diesen nicht ins Feld führen als Rechtfertigung für Mobbinghandlungen. Verantwortlich und schuldig ist immer der Mobbende, derjenige, der zuschlägt. Das muss einmal klar gesagt werden. Aber was nützt mir das im Moment? Ich ertrage das nicht mehr. Ich verliere mehr und mehr das Selbstvertrauen und damit die Zuversicht. Die optimistische Lebenshaltung schwindet und macht einer depressiven Grundhaltung Platz. Ich erinnere mich an eine Aussage einer Bekannten, die einmal gesagt hat, dass man sich für jeden freuen soll, der gestorben ist, und weinen müsse für jeden, der geboren wurde. Früher fand ich diese Aussage entsetzlich, heute kann ich sie gut verstehen, denn sie bringt mein aktuelles Lebensgefühl auf den Punkt.
1.3.8. Arbeitslosigkeit und Versuch eines Neustarts
Da ich überstürzt gekündigt habe und die Kündigungsfrist nur sieben Tage beträgt, muss ich mich beim RAV anmelden. Allerdings ist es nicht schwierig, wieder Arbeit zu finden. Noch im Januar erhalte ich ein konkretes Angebot über einen Vermittler. Kurz nach Einreichen meiner Bewerbungsunterlagen kann ich mich vorstellen gehen. Der Projektleiter ist hocherfreut über mein Dossier: »Als ich Ihre Spezialkenntnisse sah, musste ich sofort zurückrufen.« Es habe kaum ETL-Spezialisten in Bern mit Fokus auf Microsoft-Technologien. Er freue sich auf die Zusammenarbeit. Auch sein Vorgesetzter ist von meinen Qualitäten überzeugt. Die latent im Hinterkopf schlummernden dunklen Gedanken über ein freiwilliges Ausscheiden aus dem Leben sind vertrieben.
Doch noch bevor ich die Arbeit wie vereinbart am 31. Januar 2011 aufnehmen kann, kommt bereits der nächste Tiefschlag: Kurz bevor ich den unterschriebenen Einsatzvertrag [73]in den Briefkasten werfe, erhalte ich einen Anruf vom Vermittler, er habe soeben von der Firma eine Absage erhalten. Es sei sehr schlecht über mich geredet worden von Leuten, die mich von früher her kennen. Sie hätten davon abgeraten, mich mit dem Mandat zu beauftragen. Dem Internet sei Dank, finde ich rasch heraus, dass es sich um eine Firma handeln muss, bei der ich in den Jahren 2001 bis 2002 angestellt war. Ich stoße bei Recherchen auf den Namen eines früheren Geschäftsführers dieser Firma, der nun eine Kaderstelle bei meinem potenziellen neuen Arbeitgeber innehat. Ich musste den Mann 2002 vors Arbeitsgericht zitieren, weil er mir nach einem lang anhaltenden Streit, welcher zu einer Kündigung seitens des Arbeitgebers führte, ein sehr schlechtes Zeugnis ausstellte. Er unterlag damals in allen Punkten und musste das Arbeitszeugnis so umformulieren, wie ich es verlangte. Jetzt sah er die Chance für eine Revanche gekommen und intervenierte beim Vorgesetzten gegen meine Beschäftigung.
Diese Absage ist wie ein riesiger Klumpen, der mich zu Boden drückt, nachdem ich mich nach dem letzten Tiefschlag wieder aufgerafft hatte. Es ist die vierte Intrige in nicht einmal drei Jahren, die mir schwer geschadet hat.
Trotzdem mache ich mich erneut auf die Suche nach einer geeigneten Arbeit und werde auch dieses Mal rasch fündig. Über einen anderen Vermittler kann ich mich bei einer deutsch-österreichischen Consultingfirma in Zürich vorstellen. Die Firma ist auf Beratung und Dienstleistungen im Bereich Business Intelligence und Data Warehousing für mittelgroße bis sehr große Unternehmen spezialisiert und setzt dazu hauptsächlich Technologien aus dem Hause Microsoft ein. Auch hier scheint alles zu passen. Das Vorstellungsgespräch verläuft so gut, dass mir bereits in dessen Verlauf signalisiert wird, dass man mich anstellen möchte. »Das ist ungewöhnlich, normalerweise dauert das länger«, meint der Vermittler erstaunt. Nachdem ich verschiedene Tests absolviert habe und wir uns beim Lohn handelseinig geworden sind, flattert auch schon der Arbeitsvertrag ins Haus. Am 28. März kann ich die Arbeit aufnehmen und freue mich darauf. Ich hoffe, diesmal Erfolg zu haben, und sehe mit Zuversicht der neuen Arbeit entgegen.
1.3.9. Neubeginn bei der deutsch-österreichischen Consultingfirma
Wie vereinbart trete ich am 28. März 2011 meine neue Stelle als BI-Consultant an. Freundlicherweise wurde aufgrund des langen Arbeitsweges der Beginn für den ersten Arbeitstag auf zehn Uhr festgelegt. Ich treffe etwas früher ein und werde vom Vorgesetzten erwartet. Außer ihm und mir befindet sich niemand in den Büroräumlichkeiten. Die meisten Mitarbeiter arbeiten entweder von zu Hause aus oder direkt beim Kunden vor Ort. Entsprechend wenig wird in die Einrichtung der Büros investiert. Sie sind spartanisch eingerichtet und wirken unordentlich. Wohl fühle ich mich hier nicht.
Nach einem Kaffee geht es gleich mit der Einführung los. Neben der Erklärung administrativer Angelegenheiten erhalte ich meine Werkzeuge, die hauptsächlich aus einem Notebook und einem Smartphone bestehen. Danach installiere und konfiguriere ich die Software, mit der ich arbeiten werde.
Am Nachmittag erklärt mir mein Vorgesetzter die Arbeitsumgebung und gibt mir einen Überblick über die Individualsoftware, die die Firma für Nestlé entwickelt hat. Es ist geplant, mich ab morgen direkt bei Nestlé in Vevey mit deren Weiterentwicklung zu beschäftigen.
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