Im Anschluss an das Feedback präsentiert Kotz die Leistungsbewertung für das Jahr 2008. [35]Diese fällt erwartungsgemäß unterirdisch aus. Ich hätte die Ziele nicht erreicht, die Qualität der Software sei ungenügend, ich sei ein Einzelkämpfer, sei passiv gewesen und hätte mich gegen organisatorische Änderungen gesträubt. Ich bin erwartungsgemäß mit der Einschätzung nicht einverstanden, akzeptiere diese aber in der Hoffnung, den Konflikt zu beenden und den Weg für die zukünftige Zusammenarbeit zu ebnen. Der neue Teamkollege freut sich auf die Zusammenarbeit und heißt mich herzlich willkommen.
Was habe ich erreicht mit meinem Vorgehen?
Einige Dinge konnte ich mit meiner Gegenwehr erreichen. Natürlich habe ich – zumindest vorläufig – das Mobbing gegen mich beendet und ich konnte die Stelle behalten. Auch erreichte ich die Einleitung einer dringend erforderlichen organisatorischen Änderung. Die Projektleiter, die uns zur Seite gestellt wurden, waren ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Fehleinschätzungen der Aufwände, falsche Risikobeurteilungen und ein katastrophales Finanzmanagement machten ein produktives Arbeiten unmöglich. Bei der anfangs erwähnten Aussage Powischers, er habe noch mehr als genug Geld, fehlten in Wirklichkeit bereits 200.000 Franken. Das Projektmanagementteam wurde schließlich in ein Projektmanagementoffice umfunktioniert und einige Leute wurden versetzt. Dabei sind Freundschaftsnetzwerke zerschnitten und Karrieren beendet worden. Das hat mir auf der einen Seite große Sympathien eingebracht, auf der anderen aber auch neue Feinde. Ich kann damit leben.
Castem lebt – G-SOA wurde beerdigt
Anfang 2009 erhalte ich die Nachricht, dass das Projekt G-SOA beerdigt wurde. Es sei zu komplex und habe die Erwartungen bei Weitem nicht erfüllt. Castem hingegen hat den produktiven Betrieb aufgenommen, nachdem die Performance- und Qualitätsprobleme behoben werden konnten. Der Grund für die schlechte Performance war die Tatsache, dass das Tool mit der zur Verfügung stehenden Hardware nicht die erwartete Leistung zu erbringen vermochte. Der Consultant hat daher einen großen Teil der Logik rückgebaut und mit alten Technologien realisiert. Er brauchte jedoch alleine dafür vier bis fünf Monate, die Zeit, die ursprünglich für das ganze Vorhaben geschätzt wurde. Im November 2008 wird bereits die erste Stichprobe gezogen, mit der Haushaltsbefragungen für das Kulturverhalten der Schweizer Bevölkerung durchgeführt werden. [36]
Ich stelle fest, dass Castem genauso gescheitert wäre wie G-SOA , wenn ich nicht die Notbremse gezogen und eine Trennung beider Projekte vorgenommen hätte. Ich erinnere mich noch gut, wie unser Projekt vom Projektleiter von G-SOA belächelt wurde: » Castem macht ja fast dasselbe wie G-SOA «, erwähnte er mal beiläufig. Mit dieser Aussage hat er angesichts der Resultate ein Eigentor geschossen. Sein Projekt hat Millionen gekostet und ist beerdigt worden, Castem ist produktiv und kostete nicht einmal eine halbe Million. Es sei noch erwähnt, dass Kotz, der mich wegen der nicht von mir zu verantwortenden Verzögerungen und Qualitätsmängel schikanierte, ebenfalls in leitender Stellung am Projekt G-SOA werkelte. Der Flop hatte für ihn jedoch keine nachteiligen Auswirkungen. Die Verantwortlichen haben sich selbst großzügig verziehen.
Nachdem ich monatelang nicht mehr produktiv arbeiten konnte, starte ich Anfang 2009 mit einem neuen Projekt. Konkret geht es diesmal um die Migration von Datenbeständen von einem alten, proprietären (= herstellerspezifischen) System auf eine auf MS-Dynamics basierenden Standardsoftware für den Regressdienst der Ausgleichskasse Bern . Da ich nun die Fallstricke in der Organisation dieses Amtes kenne, gehe ich entsprechend anders vor. Ich weiß, was ich von den Projektleitern erwarten kann und was nicht. Ich nehme also die Planung von Anfang an selber in die Hand. Die Kontrolle der Finanzen und das Kundenmanagement bleiben beim Projektleiter.
In einem Kick-off-Meeting mit den Verantwortlichen auf Kundenseite stelle ich eine frustrierte und desillusionierte Haltung fest. Auf mein Nachfragen gibt man mir zu verstehen, dass das Projekt im vergangenen Jahr abgebrochen werden musste. Die Probleme scheinen also auch hier gravierend zu sein. Ich sehe das aber als besondere Herausforderung, diesmal alles richtig zu machen.
Auf der Basis der Spezifikation erarbeite ich verschiedene Lösungsvarianten. Für die ausgewählte Variante erstelle ich ein technisches Konzept, welches ich mit gezielten Fragen an die Verantwortlichen verfeinere. Das kommt bei diesen sehr gut an: »Wir sind sehr froh, dass wir Herrn Dubach haben. Es kommen genau die richtigen Fragen«, stellt der verantwortliche Projektleiter auf Kundenseite fest. Die Herren seien wirklich glücklich mit der aktuellen Besetzung im Projekt, gibt der Projektleiter das Feedback an mich weiter. »So macht das Arbeiten Spaß.« Die Zufriedenheit ist von Dauer und wird im Juli kurz vor Abschluss der Entwicklungsarbeit noch einmal bestätigt.
Im Verlauf des Jahres finden zwei Meilensteingespräche mit dem Vorgesetzten statt. In keinem der beiden Gespräche äußert er Kritik und es werden auch keine Beanstandungen an ihn herangetragen. »Ich sehe keinen Interventionsbedarf«, stellt Adolf Kotz fest. Der Coach, welchen ich einmal zufällig in der Kantine antreffe, fragt mich, wie die Zusammenarbeit sei. »Ich gehe von einer guten Bewertung aus. Ich habe bisher nur positives Feedback erhalten.« Selbst Kotz scheint zufrieden zu sein. Als ich ihn einmal im Korridor vor dem Lift antreffe und er sich nach dem Projektstand erkundigt, erwähnt er, dass fachlich alles in Ordnung sei. Ich darf also davon ausgehen, dass der Konflikt überwunden ist, und sehe mit Zuversicht dem Mitarbeitergespräch entgegen.
Wir arbeiten zügig am Projekt weiter. Nach Abschluss der Entwicklungsarbeiten erfolgt die Integration in die ebenfalls migrierte Standardapplikation. Wie im letzten Projekt, gibt es auch in diesem Performanceprobleme, die gelöst werden müssen. Außerdem sind vor der definitiven Datenmigration mehrere Probeläufe mit nachfolgenden Stichprobenkontrollen der Datenqualität nötig. Wir betrachten die Probleme aber als beherrschbar, auch wegen der guten Planung und Vorbereitung. Eine Eskalation ist nicht angezeigt. Jeder erfahrene IT-Spezialist weiß, dass die Belastung der Mitarbeiter gegen Projektende zunimmt. Das war bisher immer so, warum sollte es jetzt anders sein? Wir intensivieren die Führung, indem sich das Team nun täglich für eine Lagebeurteilung und Planung der nächsten Schritte trifft. Die Stimmung ist zuversichtlich und gelöst, obwohl der Arbeitsdruck hoch ist. »Wir schaffen das!«, meldet der Projektleiter.
1.3.5. Neuer Angriff vom Vorgesetzten – zweite Angriffswelle
Kotz bekommt Wind von den Problemen, mit denen wir uns herumschlagen, und zitiert uns in sein Büro. Er greift mich sofort an und macht mich vor den anwesenden Mitarbeitern zur Schnecke. Seine Attacken richten sich dabei nur gegen mich, während er die anderen Projektmitarbeiter schont. Die Äußerungen sind demütigend, verletzend und ungerecht. Vor Kurzem dachte ich noch, der Konflikt vom vergangenen Jahr sei überwunden, aber ich stelle fest, dass Kotz nur auf eine Gelegenheit gewartet hat, es mir heimzuzahlen. Jetzt sieht er seine Chance gekommen. Statt seine Führungsverantwortung wahrzunehmen und uns zu unterstützen, beginnt er eine erneute Mobbingschlacht gegen mich vom Zaun zu brechen. Das fällt selbst unbeteiligten Mitarbeitern auf.
Die Hoffnung, dass ich eine gute Mitarbeiterbeurteilung erhalte, schwindet zunehmend. Ich gehe mit einem mulmigen Gefühl zum Mitarbeitergespräch, welches am 4. November 2009 stattfindet. Schließlich tritt ein, was ich befürchtet habe: Außer dem 360-Grad-Feedback, das von den Leuten aus dem Projekt stammt, ist die Beurteilung durchweg schlecht. Kotz bewertet die Erreichung der Leistungs- und Verhaltensziele als lediglich genügend (2), nur für das 360-Grad-Feedback erhalte ich eine gute Bewertung (3). Auf den ersten Blick mag das nicht schlimm sein, in Anbetracht der Vorgeschichte und der Notenverteilung innerhalb der Bundesverwaltung ist die Bewertung allerdings eine Katastrophe. Auf Basis der Personalbeurteilung des Jahres 2012, [37]die als Referenz dienen kann, haben lediglich 94 von 31.110 Bundesangestellten die schlechteste Bewertungsstufe 1 erhalten. Das entspricht nur 0,2 % der Mitarbeitenden. Die euphemistisch als weitgehend erreicht umschriebene Bewertungsstufe 2 erhielten immerhin 1‘785 Mitarbeitende, was 5,7 % der Belegschaft entspricht. Das Gros der Bewertungen fiel in die Stufe 3 ( Ziele voll erreicht ). Hier sind sage und schreibe 25‘312 (!) Bundesangestellte (81,5 %) eingereiht und selbst in der besten Stufe 4 ( Ziele deutlich übertroffen ) sind mehr als doppelt so viele Mitarbeiter zu finden, wie in der Stufe 2, nämlich 3‘912 (12,6 %).
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