1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Henrik war nämlich der Überzeugung gewesen, dass so ein kleines knallrotes Spielmobil den Heilungsprozess erheblich beschleunigen könnte. Somit verdiente nicht nur der Apotheker, sondern auch unser lokaler Spielzeughändler ordentlich an Johnnys vermaledeiten Ohrenschmerzen.
Ich bin noch heute überzeugt davon, dass nicht die horrend teuren pharmazeutischen Mittelchen, auch nicht Henriks roter Roller, sondern Omas Hausmittelchen der bösen Mittelohrentzündung den Garaus gemacht haben. Denn Oma Mechthild kam am Samstagvormittag kurzentschlossen bei uns vorbei und führte umgehend das Regiment an: „Papperlapapp“, winkte sie vehement ab, als sie die Alditüte mit teuren Arzneipackungen betrachtete. „Was habt ihr denn da eurem armen Bub bloß angetan.
Jedes Kind hat irgendwann mal ein wehes Ohr. Na und, da nimmt man Zwiebelsäckchen und Kamillenbeutel und kuschelt drei Tage lang im warmen Federbett. Dann ist auch das schnell wieder überstanden!“
Prompt flogen all jene teuer erstandenen Präparate des nächtlichen Apothekenbesuchs in die Ecke und Oma Mechthild jonglierte in der Küche. Zwiebeln wurden gehackt und aufgebrüht. Sie wurden in ein kleines Säckchen aus Papiertaschentüchern gepackt.
Minuten später ruhte das nicht mehr ganz so heiße Zwiebelsäckchen unter Johnnys Lieblingsmütze auf dem wehen Ohr unseres Schatzes und er schien es sogar zu genießen. Auch wenn Mütze und Kind kurz darauf penetrant nach Zwiebel dufteten.
Kein Zappeln, kein Aufbegehren, keine kindliche Rebellion. Abends wurde ein Kamillenbeutel aufgegossen. Der kühlte ab und lag dann ebenfalls gut befestigt unter der blauweißen Kindermütze. Jetzt roch das Kind nach Zwiebeln und Kamille.
Heute weiß ich, dass Mechthild keine Kräuterhexe ist und ihre Hausmittelchen auch keine Zauberei sind.
Ich habe gelernt, dass Zwiebeln und Kamille eine gleichzeitig entzündungshemmende, wie auch abschwellende Wirkung haben, und zudem die Schmerzen lindern. Besser und gesünder, als es jeder Laborwirkstoff hinkriegen könnte.
Seither habe ich immer Zwiebeln und Kamille im Haus. Und sie finden noch heute nicht nur im Gulasch oder Erkältungstee ihre Verwendung.
Schnulli
Der Schnuller war Johnnys liebster Freund.
Viel wichtiger als seine Handpuppen „Witz“ und „Kuschel“. Viel wichtiger als Mama und Papa. Denn wenn die kleine Kinderseele wieder einmal mit sich und dem Rest der Welt komplett unzufrieden war, nichts nach seiner Nase ging und Johnny seinen Unmut lauthals der gesamten Dorfgemeinde mitteilte, dann gab es eigentlich immer nur ein wirkungsvolles Hilfsmittel: „Schnulli“.
„Schnulli“ war immer dabei.
Im Urlaub, bei Besuchen, beim Essen, beim Spielen, beim Schlafen, in der Badewanne und eigentlich auch beim Zähneputzen, als dann die ersten Beißerchen endlich mal vorwitzig durch das zarte rosa Zahnfleisch drängten und somit einen Anspruch auf regelmäßige Pflege einforderten.
„Schnulli“ hatte natürlich Freunde.
In rot und blau, mit Bärchen, Autos und Comicfiguren. Mit und ohne Klimperbändchen, mit und ohne Schnuffeltuch.
Familien haben doch immer irgendwelche magischen Zahlen, die in ihrer kleinen Welt eine ganz besondere Rolle spielen.
Das gilt seit jeher auch für die Entwicklungsstufen des eigenen Nachwuchses.
Bei Oma Mechthild hieß es immer „mit einem Jahr sollte das Kind laufen, mit zwei sollte es trocken sein, mit drei das Sprechen gelernt haben.“ Klar wissen wir aufgeklärten Mütter des 21. Jahrhunderts, dass Kindererziehung und - vor allem persönliche Kinderentwicklung - nicht mit der Stoppuhr in der Hand erzwungen werden können und sollen.
Schließlich unterrichten moderne Lehrer heutzutage auch nicht mehr mit dem Rohrstock in der Hand und Schreiben lernen wir auch nicht mehr dadurch, seitenweise Bibeltexte abzuschreiben.
Also ermahnte ich mich, Johnnys Wachstum nicht ungeduldig auf dem Kalender zu verfolgen.
Geduldiges Beobachten, feste Regeln im Familienalltag, Konsequenz im eigenen Handeln und Spielen, Spielen, Spielen. Damit sollte ich doch eigentlich ein paar der wichtigsten pädagogischen Erziehungsgrundsätze aus den zahlreichen klugen Elternratgebern umgesetzt bekommen.
Was das mit dem „Schnulli“ zu tun hat?
„Schnulli“ brachte unsere mühselig verfolgten Erziehungsgrundsätze und –erfolge gehörig ins Wanken. Denn „Schnulli“ überdauerte seine pädagogisch angesetzte Lebensdauer gehörig. So gehörig, dass wir uns in Johnnys drittem Lebensjahr irgendwann eine Strategie überlegen wollten, wie wir die viel zu enge Bindung meiner kleinen Milchnase zu seinem Kautschukfreund möglichst schmerzfrei und ohne seelische Grausamkeiten dauerhaft beenden könnten. Selbst der Zahnarzt schaute bei den Kontrollterminen inzwischen skeptisch auf die intensiv vor sich hin nuckelnde Schnullerbacke und gab uns zu bedenken, dass die Nuckelei zu Fehlstellungen im Kindergebiss führen könne.
Johnny war also jetzt drei Jahre alt.
Genau diese Zahl Drei hatte in unserer kleinen Hesselbachfamilie schon immer eine meist glückliche Bedeutung gehabt. Mit unserer Glückszahl im Nacken, konnte unsere kleine Strategie doch wohl kaum schiefgehen?
Alle unsere gemeinsamen Familienereignisse lassen sich mit drei multiplizieren. Drei Jahre nach unserem ersten Date haben Henrik und ich geheiratet. Damals war ich im dritten Monat mit Johnny schwanger.
Schwanger wurde ich genau drei Monate nach dem Absetzen der Pille, als wir verliebtes Paar beschlossen haben, dass es im Leben noch andere Herausforderungen als Job, Party und Reisen geben müsse. Neun Monate und neun Tage später kam Johnny dann zur Welt.
Drei Monate lang rebellierte es in den kleinen Därmen mit bösen Koliken, bis wir endlich die erste Nacht ohne Blähungen, Herumtragen, Massieren und nächtlichem Unterhaltungsprogramm friedlich durchschlafen durften.
Nach genau 18 Monaten erkundete Johnny seine kleine Hesselbach-Welt auf eigenen Füßen.
Johnny war fast drei Jahre alt, als er gelernt hatte, dass ein Töpfchen kein Swimmingpool für Plastikenten ist und er die Windeln beim ungebremsten Spieldrang als so lästig empfand, dass er lieber von sich aus darauf verzichten wollte – und auch konnte.
Im Juli 1997 wurde Johnny drei Jahre alt und im August würde er zum ersten Mal den Kindergarten besuchen.
Zu diesem Zeitpunkt hingen Johnnys Zähnchen und Lippen aber noch immer voller Zärtlichkeit an seinem besten Freund „Schnulli“.
Vorzugsweise mit Schnuffeltuch.
Eigentlich konnte man hinter dieser Vermummung die hübschen Gesichtszüge des kleinen Kerlchens immer nur vage erahnen.
Kurz vor der neuen Kindheitsherausforderung „Kindergarten“ hatten wir einen herrlich sonnigen Hesselbach-Urlaub auf Rhodos gebucht. Und Henrik und ich hatten bei all dieser wonnigen Urlaubsabwechslung tatsächlich nur ein einziges – scheinbar herzloses und gemeines - Ziel vor Augen.
Abschied von „Schnulli“.
Johnny liebte Flugzeuge.
Und für unsere Milchnase ging ein Traum in Erfüllung, als er mit uns gemeinsam in den Urlaubsflieger steigen durfte, der uns Hesselbachs über den Wolken auf die sonnige Griechenlandinsel Rhodos bringen würde.
Der Flug in die Fremde weckte die Neugierde unseres aufgeweckten Kleinkindes.
Solange Mama und Papa rund um die Uhr für mannigfaltiges Entertainment sorgten, war die kleine Kinderseele mit sich und der mediterranen Umwelt voll im Einklang.
„Schnulli“ war selbstredend überall dabei. Johnny war es auch völlig egal, dass sein Kautschukgefährte beim Spielen am Strand manchmal mit Sand und Meerwasser paniert wurde.
Er teilte ihn auch gern mal mit neuen kleinen gleichaltrigen Urlaubsbekanntschaften.
Vorzugsweise mit Hannah aus Kiel, die ihm auf Schritt und Tritt folgte und sozusagen die erste Urlaubsliebschaft seiner frühen Jugend wurde.
Читать дальше