Sie zuckte mit den Schultern und strahlte ihn an.
„Nun ja, ich werde Sie bestimmt nicht bitten Kaffee zu holen oder mir eine Zeitung zu besorgen“, fuhr er fort. „Aber es kann natürlich vorkommen, dass ich in Gedanken …“
„Weshalb sollte ich denn nicht Kaffee für Sie holen, Herr Hauptkommissar?“, fragte sie erstaunt. „Ich unterstütze Sie in allen Belangen. Gerade wenn wir unterwegs sind, sorge ich für Hotel und Essen. Für ein Büro, für saubere Wäsche und Kosmetikartikel, falls notwendig. Und selbstverständlich fahre ich den Dienstwagen, wenn Sie es möchten.“
Krüger schien ratlos. „Ja dann. Ich denke, wir werden sehen. Einen Wunsch hätte ich dann doch?“
Sie richtete ihre rehbraunen Augen auf ihn wie eine doppelläufige Flinte. „Ja bitte, Herr Hauptkommissar?“
„Könnten Sie mich einfach nur Chef nennen?“
„Aber selbstverständlich, Herr, äh, Chef.“
„Wenn Sie etwas anderes bevorzugen, dann …“
Sie seufzte vernehmlich. „Ist schon okay, Chef.“
„Danke, Frau Smolenska!“
„Bitte! Möchten Sie gleich über den Fall sprechen oder soll ich erst nachsehen, ob Sie wirklich alle Unterlagen erhalten haben? Daran hapert es oft bei der Abteilung, habe ich gehört?“
„Viel ist es wirklich nicht“, bestätigte Krüger. „Mit Ausnahme der Luftbilder, die ich selbst bestellt habe, bleiben nur diese beiden Hefter.“ Er griff nach den dünnen Umschlägen und reichte sie ihr.
„Der Bericht der polnischen Kollegen fehlt“, stellte sie fest.
„Mit denen könnte ich wahrscheinlich ohnehin nicht viel anfangen“, vermutete Krüger.
„Doch“, wehrte sie ab. „Ich habe die ganze letzte Woche damit verbracht, die Texte ins Deutsche zu übersetzen. Ich kümmere mich darum, sobald ich kann!“
„Dann sind Sie schon länger an der Sache?“, stellte Krüger fest.
„Einen Monat etwa. Ich habe jedoch ausschließlich Fakten zusammengetragen und soweit notwendig übersetzt. Alle Informationen stammen aus einem Archiv oder aus öffentlichen Quellen. Ich habe weder irgendwelche Fundorte besucht noch Leute befragt. Alles ganz still und unauffällig, um nirgendwo Argwohn zu wecken.“
„Was stelle ich mir unter öffentlichen Quellen vor?“, hakte Krüger nach.
„In erster Linie Zeitungsarchive und Rundfunksendungen, die damals erschienen sind. Natürlich in Bild und Ton“, ergänzte sie.
„Damals? Dann betrifft dies den alten Fall in Schramberg. Heben Sie sich auch mit Konstanz beschäftigt?“
„Nur am Rande. Das ist schließlich aktuell. Da können wir auf die Berichte der Kollegen vor Ort zurückgreifen.“
***
Elisabeth erwartete Krüger tatsächlich in der Küche mit betörend duftendem Gebäck. Eine Art österreichische Maultaschen, die Krüger sehr gerne mochte. Auf dem Tisch stand ebenfalls eine Flasche Wein mit zwei Gläsern, die jedoch noch verschlossen war. „Wenn du magst, dann öffne sie bitte. Sonst mache ich Kaffee.“
Krüger wusste nie, ob sie solche Situationen mit Absicht plante, oder ob sie einfach Lust dazu hatte, nett zu sein. Auch das kam gelegentlich vor.
„Wein ist gerade richtig“, murmelte er. „Passt herrlich zu deinen wunderbaren Krapfen!“
Sie hantierte herum, bis er die Gläser gefüllt hatte und sie zum Anstoßen rief. Irgendwie schien sie doch ein wenig nervös. „Prost, mein Schatz. Und danke fürs Backen!“
„Ja, Prost“, gab sie zurück. „Und, wie lange willst du mich noch auf die Folter spannen? Oder ist sie gleich wieder gegangen?“
Sie ist nicht nur nervös, sondern auch kampflustig, dachte Krüger mit leisem Spott. Aber er hatte schmerzhaft gelernt, dies nicht zu unterschätzen. Zwar lag der letzte derbe Rippenstoß ziemlich lange zurück, aber eine unvorsichtige Bemerkung konnte genügen. „Nein, sie ist geblieben. Ist eigentlich ganz nett!“, erwähnte er so beiläufig wie möglich.
„Eigentlich ganz nett!“, wiederholte sie. „Du willst mich wohl ärgern. Oder haben sie dir tatsächlich so eine Pflaume geschickt, wie du befürchtet hast?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Wie, nein? Los komm schon! Wie sieht sie aus? Ist sie jung? Gefällt sie dir?“
Er nickte. „Ja.“
„Also bitte!“
Er grinste. „Ja, selbstverständlich erfährst du alles, was ich weiß. Aber zuerst musst du mir eine Frage beantworten?“
„Okay!“
„Bist du eifersüchtig?“
„Nein. Wirklich nicht. Aber ich bin jetzt über fünfzig. Ich merke selbst, dass ich nicht mehr so attraktiv bin wie früher. Also fürchte ich manchmal, dass du eventuell irgendwann einer Jüngeren den Vorzug geben könntest. Wir sind schließlich nicht mal verheiratet.“
„Aber nein, wo denkst du hin! Komm her!“
Sie kuschelte sich an ihn. „Du brauchst nichts zu versprechen. Ich würde es sogar verstehen.“
„Ich glaube nicht, dass ich einfach so loskommen würde. Selbst wenn ich es wollte. Außerdem ist sie wohl nur für diesen einen Fall meine persönliche Assistentin.“
Sie hob den Kopf. „Ach, wirklich?“
„Ich habe sogar heimlich ihren Ausweis kopiert, extra für dich!“
„Zeig schon her!“
„Die ist genau dein Typ“, stellte sie fest.
„Na ja, was soll ich sagen. Du bist mein Typ. Aber das spielt keine Rolle. Sie ist attraktiv. Sehr sogar. Das kann man nicht bestreiten. Wozu auch?“
„Und wie findest du sie sonst? Hältst du sie für intelligent? So super kann sie ja nicht sein, sonst hätte sie eine bessere Stellung inne. Oder hat sie vielleicht eine Macke?“ Elisabeths Gesicht hellte sich auf. „Natürlich stimmt etwas nicht mit der. Arbeitet als persönliche Assistentin. Wenn sie früher schon einmal Kommissarin war?“
Krüger zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es wirklich nicht, mein Schatz. Aber du hast wahrscheinlich recht. So wie meistens. Trotzdem, ich werde ihre Personalakte nicht lesen.“
„Deshalb mag ich dich.“
„Na ja, ich bin schließlich auch sonst ganz liebenswert.“
„Aber selbstverständlich! Trotzdem meine ich das ernst. Du würdest auch eine zugelaufene Katze liebevoll aufnehmen, das weiß ich. Du hättest nicht einmal das Bedürfnis, Fragen zu stellen. Bei dir kann jeder ganz neu anfangen. Dazu müsste ich mich zwingen.“
„Ein Kompliment von dir. Ich staune.“
„Heute hast du das verdient. Aber denk jetzt nicht, dass du damit für alle Zeit ausgesorgt hast.“
„Würde mir nicht einmal im Traum einfallen.“
Krüger hatte sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, die Besichtigung des Fundortes so diskret wie möglich anzugehen. Er und Nadja in Begleitung des einzigen Beamten, Oswald Pickel, der den Fall miterlebt hatte und heute noch im Dienst stand. Inzwischen jedoch bei der Stadt Schramberg. Sein damaliger Posten in Tennenbronn existierte nicht mehr. Während der Fahrt mit einem zivilen Geländewagen der Forstverwaltung durch schmale Waldwege achtete Krüger darauf, ob die Strecke auch mit einem normalen PKW zu schaffen wäre. Bei trockenem Wetter schien es möglich gewesen zu sein, obwohl der Weg nur gekiest war und meistens anstieg. Dass jemand eine Gefesselte oder sogar eine Tote ohne Fahrzeug an den Fundort verbracht hatte, erschien höchst unwahrscheinlich. Allerdings hatte Krüger auch schon einen solchen "Transport" mit einem verschließbaren Handwagen erlebt. Und nicht zuletzt anhand der Luftaufnahme schien die Zufahrt zum Fundort ebenfalls vom Berg ins Tal möglich. Auf den Berg gelangte man auf einer ganz normalen, asphaltierten Straße. Die richtige Abzweigung nicht zu verpassen, setzte jedoch genauste Ortskenntnisse voraus. „Würden Sie den Ort auch von oben nach unten fahrend finden, Herr Pickel?“, fragte Krüger deshalb.
Der schüttelte den Kopf. „Als der Fall ganz frisch war, sind wir einmal die verschiedenen Forstwege weg vom Fundort einzeln abgegangen und haben tatsächlich mehrere Möglichkeiten festgestellt. Jedoch, dass ich heute eine dieser anderen Strecken auf Anhieb finden könnte, das halte ich für praktisch ausgeschlossen!“
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