Wann immer er eins im Internet fand, und dort verbachte er sehr viel Zeit, schickte er mir sie sofort weiter. Hunderte kleiner Liebesbeweise von Menschen aus aller Welt, die ihren Liebsten ihre Zuneigung zeigten .... so niedlich .... Moment mal.
Dämmerte es mir?
Das musste wohl eine Morgendämmerung sein.
Nichts davon war von ihm. Alles nur gefunden, gelesen, kopiert und geschickt. Hatte der Kerl je was von sich geschickt? Einen einzigen eigenen Gedanken?
Wunderte es mich, das im Anhang ein Comic von Shoopy war, der mit seinem Hundenapf im Maul traurig davon trottete?
Was heulte ich eigentlich um diesen Mistkerl?
Wenn er nur nicht so gut gerochen hätte und seine Haut sich so fest und weich angefüllt .... das waren die Hormone, nur die verdammten Hormone. Deshalb musste ich auch heulen.
Wenn es nur nicht so weh getan hätte. So furchtbar weh.
Da half nur noch wütend werden.
Deshalb öffnete ich Melanies letzte Mail.
„Du warst heute nicht in der Schule und deine Mutter sagt, sie wüsste nicht, wo du bist. Ich mache mir jetzt Sorgen. Bitte melde dich, ich will dir das alles erklären. Ich weiß ja auch nicht, was in mich gefahren ist, ich hasse mich für jeden einzeln Kuss. Und an Montag wollte ich mich nur mit Daniel treffen, um klarzumachen, das es wirklich nicht geht. Keine Ahnung, warum es so anders kam. Es .... „
Ich wollte kein einziges Wort weiterlesen und löschte die Mail sofort.
Hallo? Was war denn das? Diese blöde Kuh beschrieb mir im einzeln jedes Gefühl, das ging noch eine ganze Seite so weiter. Musste das sein? Das wollte ich nicht lesen!!!!!!!!!!!
Verdammt, sie war meine Freundin gewesen.
Meine einzige Freundin.
Die Freundin, mit der ich mein wichtigstes Geheimnis teilte. Die mich vor dem alltäglichen Wahnsinn rettete und die Überfürsorglichkeit meiner Mama nicht zu einem Problem werden ließ.
Bei Melanie konnte ich mich ausheulen. Wir probierten zusammen die ersten Tampons.
Sie war die einzige, bei der mich meine Gluckenmama übernachten ließ. Mit der ich all diese verbotenen Filme gucken durfte, die es bei uns zuhause nicht gab.
Nein, keine Pornos. ( Die gab es bei ihnen übrigens auch nicht )
Phantasie- Filme. Das große, rote Tuch vor Martinas strengen Augen.
Angefangen von: Die Unendliche Geschichte bis zu The sixth sence.
Mama hasste alle Phantasie- Filme. Kein Twilight, kein Underworld.
Und ….. oh Gott, keine ZOMBIE- Filme !!!!!!
Gab es bei uns nicht.
Guckte ich alles bei den gemütlichen Mädelsabenden bei Melanie. Quatschen, schminken, Jungs vergleichen. Ja, schon mal einen Sekt probiert und ein Kondom über ne Gurke gezogen. ( Ja, schon klar, besser keine Gurke nehmen, ne kleine Möhre tat es auch.)
Meine Freundin.
Die Freundin, die ich knutschend mit meinem Freund erwischt hatte.
Die Freundin, die ich jetzt so nötig, so nötig wie noch nie in meinem Leben brauchte.
Die Freundin, die ich nicht mehr hatte.
Ich bekam das unter dem Verbrauch meiner ganzen Taschentücher auf die Reihe.
Mams Mail:
„Leonie, bitte melde dich. Ich verstehe, das du wütend bist, aber du bist nicht in der Schule, dein Pass fehlt, ich mache mir Sorgen, ich würde gerne wissen, wo du bist. Ich möchte dir das alles erklären, in Ruhe. Du musst verstehen, das ich nur dein Bestes wollte und nie war der richtige Zeitpunkt, dir alles zu erklären.
Es tut mir so leid, bitte melde dich. Komm nach Hause.“
Na, da kannst du lange warten.
Als hätte sie gerade mal vergessen, mir zu sagen, das es heute Abend nicht mein Lieblingsessen geben würde, weil .... war kein frisches Hackfleisch da, oder so.
Sie hatte mir verschwiegen, das Paul gar nicht mein Papa war!!!!!!!!
Papa ...äh ... Paul. Nee, regeln wir das. Papa Paul, und gut ist.
„Liebes Lämmchen, warum zum Teufel hast du dir nicht das Geld aus der Notfallschublade geholt? Heute morgen bringe ich dir noch Kohle auf dein Sparkonto, das kannst du überall abheben. Mir ist klar, du bist echt sauer, aber ich weiß auch, wie stark du bist.
Nimm dir ruhig eine Auszeit, die Abiturprüfungen sind erst in drei Wochen.
Aber schicke mir bitte jeden Tag nur ein kurzes Hallo. Wenn du Tina absolut leiden lassen willst, sag ich es ihr auch nicht. Versprochen. Das mit den Briefen war mies. Alles andere ..... du warst so ein süßes Baby.
Lämmchen, ich habe vergessen, das ich nicht dein leiblicher Vater bin. Klingt blöd. Ja. Ist scheiße. Aber echt wahr. Ich wollte nicht, das du mich irgendwann anschreist, ich wäre nicht dein echter Dad. Darum habe ich nie was gesagt. Feige Sau halt.- Lief alles so toll.
Egal, du wirst das auf die Reihe kriegen. Sag mir nur, wo du bist und ob alles O.K. ist.
Mehr will ich nicht. Und wenn du heimkommst, kannst du mein Kinn zertrümmern, bitte schön.
Den Schlag hast du bestimmt drauf, weil wir im Sommer das Baumhaus hingekriegt haben. Ein Nagel, ein Schlag. So nem Mädchen passiert so schnell nix.
Mach trotzdem ne kleine Mail.
Danke. Dein Papa.“
Bitte schicke eine Mail. Papa.
Da musste ich wieder heulen.
Hatte ich schon erwähnt, das ich immer zu Papa Paul lief, wenn ich was angestellt hatte?
Und ich hatte eine Menge angestellt in den letzten siebzehn Jahren.
Angefangen von vollen Windeln, die ich in seine Stiefel steckte, bis zu ramponierten Kotflügeln. Nicht zu vergessen, das ich seinen Schlagbohrer ( ja, den heiligen ) benutzt hatte, um ein Guckloch in die Umkleidekabine des Fußballvereins zu bohren ( war Melanies Idee gewesen, beweis mal was anderes) und fallen ließ, als jemand kam.
Tauchte nie wieder auf.
Der Schlagbohrer.
Meli und ich schon, schließlich hatte ich das Loch ja fertig gekriegt.
Deswegen wusste ich ja auch, das eine Möhre völlig ausreichend …. ähm ..... nicht das Thema verlieren.
Gab ja auch große Möhren, nicht?
Tja, also, Papa- Paul verdiente wohl eine kleine Antwort, oder?
-
„Lieber Papa Paul,
bin in Paris, habe eine Oma. Sag Tina mal nix, die puscht mir nicht noch mal rein. Hast recht. Ein Nagel, ein Schlag, so geht das.
Kuss, Leonie .... und nenn mich bloß nicht mehr Lämmchen.“
Kathy simste:
"Was los? M. dreht durch! P. geht nix schaffen, raucht. Du kriegst Ärger, Alte!"
Von Simon kam nichts, trotzdem schickte ich beiden einen Stinkefinger.
Kathy, weil sie dumm quatschte, Simon, weil er nix quatschte.
Super Geschwister!
Danach ging es mir besser.
War ja auch zu peinlich, in der Öffentlichkeit rumzuflennen.
Ich dachte kurz darüber nach, ob ich meine neue Oma anrufen sollte.
Nummer und Adresse hatte ich vom Notar. Dr. Wiener.
Neue Bekanntschaft.-
Ein eingeschriebener Brief, ein Telefonat, ein Gespräch. Schon hatte er mein Leben verändert.
Ich rief nicht an. Ich war ja bereits in Paris. Besser, ich stand einfach vor der Tür. Nachdem ich mein Gesicht wieder in Ordnung gebracht hatte.
Dann sicherte ich mir einen Platz bei Mac Do. Die Welt sah nach einem Big Mac gleich wieder viel cooler aus. Besonders, wenn man sich ein fettes Smoothie danach leistete.
Gesicht waschen, bisschen Schminke drauf.
Das war Paris !!!!! Schon geguckt, wie die Tussi hier herumliefen?
Klar, da kam ich in meinen Jeans und T- Shirt und Chucks gar nicht mit.
Die Girls hier trugen RÖCKE. Total kurz und irre viel Bräune von der häuslichen Grillbank.
Gott, ich verlor einen unbekannten Papa, bekam eine fremde Oma und ich war völlig underdressed!!!!!!!
Aber ich hatte fantastische Haare. Echtes Goldblond und ziemlich lang. Große Locken, füllig und glänzend. Wenn ich mich ein wenig schminkte, sah ich doch recht gut aus!
Den knallroten Lippenstift trug ich auf, um nicht wie ein verirrter Golden Retriever auf einem Botticelli- Gemälde auszusehen.
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