Er kam an einem Schaufenster mit Fernsehgeräten vorbei. Wie die Geräte heutzutage aussahen, überlegte er. Sie waren flach wie ein Zeichenbrett. Wenn er an seines zu Hause dachte, das war sperrig und klobig. Und er besaß es schon über zwölf Jahre!
Mit diesen Gedanken langte er am Bahnhof an. Er musste noch zehn Minuten warten bis sein Zug kam, denn der hatte Verspätung. So bat er einen anderen Reisenden, ihm einen Becher Kaffee aus dem Automaten herauszulassen. Er kam mit diesen Dingern nicht klar! Er gab dem anderen das passende Geld, der es einwarf und nach seinen Wünschen wählte. Dann hielt er einen Plastikbecher mit dem Getränk in der Hand, welches er schluckweise trank, denn es war sehr heiß. Aber es wärmte bei den kalten Außentemperaturen und tat gut!
Dann fuhr der Zug ein, und er stieg ein. Der Waggon war fast leer. Nur ein paar einzelne Reisende saßen da, und er setzte sich, da so viel Platz war, dazwischen.
Seine Heimreise verlief ohne besondere Vorkommnisse, denn die Leute schwiegen oder telefonierten mit ihren Handys. Er traute sich nicht, ein Gespräch mit ihnen anzufangen, denn sie saßen alle zu weit entfernt. Und sie machten auch nicht den Eindruck, dass sie sich unterhalten wollten.
Aber als er wieder zu Hause war, beschloss er, öfter einmal wegzufahren. Man versäumt so viel, dachte er, und das Leben ist doch so kurz!
Veilchen im Oktober 2007, Ausgabe 19
Karl Farr
Er war gegangen und gegangen, um aus diesem verfluchten Tal herauszukommen. Immer wieder war er querfeldein marschiert, in der Hoffnung, irgendwo auf eine größere Straße zu stoßen. Flugzeuge zogen Kondensstreifen am Himmel, und Fußgänger kamen ihm entgegen, zuletzt eine Frau in mittleren Jahren. Ein großer Bernhardiner, der frei ohne Leine lief, trottete in ihrer Nähe.
Der Mann hielt auf ein Kraftwerk zu, dessen Schornsteine und Kühltürme in weißen Wasserdampf getaucht waren. Noch war es hell, die Sonne beschien die Landschaft mit ihrem goldenen Licht. Er strebte auf das Kraftwerk zu, aber es wurde einfach nicht größer und kam nicht näher. Erst in der Dunkelheit sollte er es erreichen.
Der Mann durchquerte eine Ortschaft und kam an einem Gasthof vorbei. Er fühlte sich versucht, einfach einzukehren, aber er hatte nur noch wenig Geld in der Tasche, und so unterließ er es.
Jetzt am Samstagabend herrschte eine rege Betriebsamkeit im Ort. Autos fuhren und einige hielten. Leute stiegen aus, und die Autos setzten ihre Fahrt fort. An anderer Stelle starteten welche und fuhren davon. Sicher besuchten die Insassen Verwandte oder Freunde, dachte der Mann.
Er kam an einer Kirche vorbei, und die Glocken läuteten den Sonntag ein. Aber er wollte weiter, weiter in die große Stadt.
Nach Stunden kam er noch einmal in das Dorf, das nun ruhiger war, und ihm wurde bewusst, dass er im Kreis gegangen war. Noch einmal hielt er auf das Kraftwerk zu, welches inzwischen von tausend Lichtern beleuchtet wurde. Irgendwo startete ein Auto.
Endlich erreichte er die Anlage und staunte über deren Ausmaße. Überall leuchteten Lampen und Neonröhren. – Es waren hunderte, tausend. Er bemerkte den Waldweg, der am Werk vorbeiführte. Den beschloss er zu nehmen. Auf halbem Weg machte er in einer Hütte Rast und kam aus dem Wald heraus, als er weiterging.
Er war stundenlang marschiert, die Beine liefen wie von allein. Langsam wurde er müde. Er ging auf einem Fußgängerweg neben einer Straße. Inzwischen hatte er das Werk weit hinter sich gelassen. Da der Autoverkehr ihn nervte, beschloss er, die Straße zu verlassen und sich in die Büsche zu schlagen.
Aber auch hier blieb er nicht lange, da eine Bahnlinie hier entlangführte. Es war sicher gefährlich und auch verboten, hier zu gehen. Das zeigte sich schon allein durch die Güterzüge, die vorbeifuhren.
Bei der nächsten Gelegenheit kletterte er den Hang deshalb wieder hinauf und befand sich auf dem Gehweg einer Straße. Er war in einem Industrieviertel, wie die Werke, die sich um ihn herum befanden, verrieten.
Er war schon wieder eine Weile unterwegs, als ein Jeep neben ihm hielt. Der Fahrer in Zivil machte ihn darauf aufmerksam, dass er sich auf einer nicht öffentlichen Straße befand. Der Mann ließ sich den Weg erklären, verließ die verbotene Straße und wandte sich nun endgültig heimwärts zum nächsten Bahnhof.
Veilchen im April 2008, Ausgabe 21
Karl Farr
Sonntagnachmittag vor dem Café
Es war ein sonniger Märztag in Essen. Im Innenhof des Einkaufszentrums am Porscheplatz fuhren Rolltreppen meistens ohne Passanten zur U-Bahn hinunter oder hinauf. Am Fenster eines Einkaufscenters klebte ein Plakat, das für ein Theaterstück warb. Auf dem Plakat war der Kopf von Karl-Heinz von Hassel zu sehen.
Die Sonne fiel schräg in den Innenhof, und Leute flanierten in alle Richtungen. Eine Telefonzelle, in der die Seitenscheibe fehlte, stand verwaist da. Blumenkübel mit Buchsbäumen standen in unregelmäßigen Abständen am Geländer zu den Rolltreppen auf den Steinfliesen.
Nun begannen die Angestellten des italienischen Eiscafés, Stahlrohrtische und -stühle hinaus zu stellen. Die Tische waren schon mit Plastikdecken gedeckt, so dass dem Personal nur übrigblieb, die Stühle, die alle zu viert übereinandergestapelt waren, einzeln hinzustellen. Dann wurden noch die Eis- und Getränkekarten auf den Tischen ausgelegt und die Aschenbecher hingestellt. Nach und nach setzten sich Passanten an die Tische. Der Ober kam und die Gäste bestellten. Nach einer Weile erhielten sie das gewünschte Eis, Kaffee oder Cappuccino.
Ein Paar mit einem Kinderwagen setzte sich an einen freien Tisch. Sie nahmen das Baby heraus, und die junge Mutter gab dem Kleinen aus einer Flasche mit Schnuller zu trinken. Dann kam die Bedienung und sie bestellten. Die Mutter hielt das Kind vor sich. Es war gut in Winterkleidung eingepackt.
Manch ein Gast schaute zu dem Elternpaar, andere unterhielten sich und wieder andere saßen nur einfach da. Die Kellner kamen und gingen.
Jetzt war auch das Elternpaar dran. Dem Vater wurde ein Kaffee gebracht, der Mutter ein kleines Eis ohne Sahne. Am Nachbartisch zündete sich ein älterer Mann eine Zigarette an, und Rauchschwaden stiegen auf.
Ein Mann mit einem motorisierten Rollstuhl kam nun heran. Er fuhr an einen der Stühle und wuchtete sich ohne fremde Hilfe auf ihn. Er war klein, trug eine Brille, sein Rücken war gekrümmt, und sein Alter war schwer zu schätzen. Beim Kellner bestellte er einen Kaffee.
Bald darauf gesellte sich eine Frau, ebenfalls in einem Rollstuhl, zu ihm, und sie unterhielten sich. Die Frau blieb im Rollstuhl sitzen, vermutlich war sie nicht in der Lage, ihn allein zu verlassen. Ihre Hände waren ein wenig gekrümmt, und sie war sehr klein. Sie wünschte einen Kakao.
Kurz darauf brachte der Ober den beiden ihre Getränke. Der Mann bat den Kellner, ihm die Milch in den Kaffee zu schütten, was der tat. Die beiden Rollstuhlfahrer unterhielten sich so vertraut, dass sie niemand belauschen konnte.
Ab und an nahm der Mann einen Schluck Kaffee, nachdem er Zucker hineingetan hatte. Die Frau trank den Kakao mit einem großen Strohhalm aus ihrer Tasse. So saßen sie lange dort, unterhielten sich, und irgendwann fuhren sie zusammen weg. Wie selbständig die beiden trotz ihrer Behinderung waren!
Veilchen im Januar 2009, Ausgabe 24
Karl Farr
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