extra vergine
Anmerkungen:
Alle Protagonisten, Institutionen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und unbeabsichtigt.
Impressum:
ISBN: 978-3-7529-2360-5
Copyright Text: © Luca DiPorreta
Cover: bürosüd, München / © Luca DiPorreta
1. Lektorat: Regine Weisbrod
2. Lektorat / Korrektorat: Hannes Moonstein
Verlag neobooks, ein Unternehmen der Holtzbrink Publishing Group
1. Auflage 2021
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Erstellt mit Vellum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Sie hatte nicht den Hauch einer Chance. Als sie auf der Plattform des Edelstahltanks stand und den Deckel öffnete, legte sich ihr eine Hand um den Hals und drückte ihren Kehlkopf zusammen. Ihr Schmerzensschrei glich einem leisen Krächzen, das sogleich in ein noch leiseres Röcheln überging.
Sie spürte einen großen Körper hinter sich. Aus dem Winkel ihrer in Panik aufgerissenen Augen sah sie, wie eine andere Hand den geöffneten Deckel des Tanks zur Seite schwenkte. Ohne den Druck auf ihren Hals zu lockern, griff die zweite Hand ihr rüde zwischen die Beine und hob sie in die Luft, als sei sie eine Strohpuppe. Ihr Kopf wurde nach unten in die Öffnung des Tanks gedrückt. Eine widerliche Duftwolke von ranzigem Olivenöl schlug ihr entgegen, und sie fiel kopfüber in den Tank.
Das Ganze hatte nur wenige Sekunden gedauert, die ihr jedoch wie eine Ewigkeit vorkamen. Der Tank war gut zur Hälfte gefüllt, und das Öl schwächte den Aufprall ihres Körpers am Tankboden ein wenig ab. Instinktiv versuchte sie sich aufzurichten, was in der stockfinsteren Enge nicht einfach war. Kopf und Schultern schmerzten höllisch. Doch ein gewaltiger Adrenalinschub verdrängte die Schmerzen. Es gelang ihr, sich so weit zu drehen, dass die Füße den Boden berührten und sie sich abstoßen konnte. Ihr Körper schoss nach oben, bis ihr Kopf wieder aus der stinkenden Brühe herausragte und sie ein wenig der Restluft im Tank in die schmerzenden Lungen pumpen konnte.
Eine Erinnerung an einen lange zurückliegende Schulung für die Mitarbeiter des Landguts schoss ihr durch den Kopf. Man hatte ihnen dort die Funktionen der riesigen, mehrere zehntausend Liter fassenden Edelstahltanks erklärt. Damals hatte ein neugieriger Teilnehmer gefragt, was zu tun sei, wenn eine Ratte oder ein anderes Tier in einen Tank fallen würde. Der Kursleiter hatte dem Fragenden über den Rand seiner Brille einen ironischen Blick zugeworfen.
„Wenn man im Olivenkeller die notwendige Sorgfalt walten lässt, fällt nichts und niemand irgendwo hinein“, meinte er nur. „Und falls doch“, fügte er hinzu, „ist das kein Problem.“ Da Olivenöl eine leicht geringere Dichte aufweise als Wasser, könne ein hineingefallenes Tier nicht schwimmen und würde sogleich zum Boden des Tanks absinken. Das gelte im Übrigen auch für Menschen.
„In Olivenöl zu schwimmen mag vielleicht der Haut gut tun“, war sein Schlusssatz, „aber man wird den Effekt nicht mehr genießen können.“
Ihr fiel ein, dass in den großen Tanks meist kleine Stahlleitern angebracht waren, damit man für die Reinigung und Wartung in den Tank hinuntersteigen konnte. Mit angehaltenem Atem tastete sie die Wände ab und fand die schmalen, an die Innenwand geschweißten Leiterstufen. Sie schaffte es, den Handlauf zu fassen und sich ein paar Stufen hinauf zu ziehen.
Obwohl ihre Ohren und Augen vom Öl verklebt waren, hörte sie, wie sich über ihr jemand am Tankdeckel zu schaffen machte. Der im Deckel eingelassene Einfüllstutzen öffnete sich, und für einen kurzen Moment konnte sie durch den öligen Film auf ihren Augen ein helles Licht sehen. Der Lichtfleck verschwand sogleich wieder, und sie hörte ein feines Klicken. Es kam vom Einfüllstutzen, über den das frisch gepresste oder angelieferte Olivenöl in die Tanks gepumpt wurde. Sekunden später verspürte sie den weichen Strahl des einströmenden Öls auf dem Kopf.
Viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Die Luft im Tank wurde knapp. Vorsichtig tastete sie nach der kleinen Stablampe in ihrer Jeans. Zu ihrer Erleichterung war sie ihr beim Sturz nicht herausgefallen und funktionierte sogar noch. Rasch steckte sie die Lampe in den Mund, um die Hände frei zu haben. Ein paar Minuten noch konnte sie sich unter Todesangst von Stufe zu Stufe nach oben zum Tankdeckel ziehen, während das stetig einströmende Öl den Tank weiter auffüllte. Die faulig stinkende Olivenbrühe bedeckte bereits ihren Oberkörper und stieg Millimeter um Millimeter zu ihrem Kopf empor.
In Panik drückte sie den Kopf schräg gegen den Tankdeckel und begann mit den Fäusten gegen die Wand des Tanks zu hämmern, obschon sie wusste, dass niemand sie hören konnte. Und selbst wenn, würde das nichts ändern. Ihr Peiniger würde in Ruhe ihren Tod abwarten und den Deckel erst wieder öffnen, um ihre Leiche herauszuziehen.
Ein Gedanke blitzte in ihr auf. Etwa zehn Zentimeter unter dem Deckelverschluss sah sie im Licht ihrer Lampe das Sieb, das Verunreinigungen im einströmenden Öl auffangen sollte. Es war mit einem Spanner in der Zuflussöffnung fixiert, aber nicht verschraubt, wohl weil man es so einfacher herausziehen und reinigen konnte. Noch hatte sie genügend Kraft, um das Sieb aus seiner Halterung zu ziehen und auf den Boden des Tanks fallen zu lassen. Sie zog ihr mit Öl getränktes T-Shirt aus und stopfte es hastig in die nun frei liegende Zuflussöffnung, um den einströmenden Ölstrahl zu stoppen. Dann zog sie den Gürtel aus ihrer Hose. Sie tastete nach einem der als Ausstiegshilfe innen an der Tankwand angeschweißten Halterungen und band sich mit dem Gürtel daran fest.
Ihr Atem ging jetzt immer schneller. Schwindel erfasste sie. Die immer kleiner werdende Luftblase über ihr enthielt kaum noch Sauerstoff. Mit aller Kraft wehrte sie sich gegen die auf-kommende Ohnmacht. Wenn sie erst einmal das Bewusstsein verloren hatte, gab es kein Erwachen mehr. Ein unsinniger Gedanke schoss ihr durch den Kopf: „Hätten sie doch wenigstens gutes, nach frischem Gras oder Brombeeren riechendes Öl genommen, um mich umzubringen, anstatt mich in dieser stinkende Brühe zu ertränken.“
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