Den ersten Kontakt hatte er mit einem Vertreter der arabischen Botschaft gehabt, er hatte ihm Grüße seiner Landsleute überbracht und ihm im Auftrag des Emirs mit einer Waffe versorgt, einer handlichen Caracal C aus Armeebeständen.
Zur Besuchszeit am Nachmittag war er dann am Haupteingang des Gefängnisses erschienen, man hatte ihn allerdings mit dem freundlichen aber bestimmten Hinweis wieder weg geschickt, dass aufgrund aktueller Sicherheitsmaßnahmen ein Besuch an diesem Tag nicht möglich sei. Man war aber bereit einen Besuchstermin für neun Uhr am Montag zu reservieren.
Den Nachmittag hatte Raschid größtenteils in seiner Hotelsuite mit Gedanken zu seinem Auftrag verbracht. Mit dem goldenen Amulett in der Hand hatte er lange schweigend im Sessel gesessen und nachgedacht. Dabei war sein Blick stets auf das Schmuckstück gerichtet gewesen, und er hatte immer wieder versucht, den Wahrheitsgehalt dieser unglaublich klingenden Geschichte abzuwägen. Noch immer war er nicht wirklich überzeugt, dass er der Richtige für diese Aufgabe war. Aber seine Familie, allen voran der Emir selbst, setzte großes Vertrauen in ihn. Also musste er diese seltsamen Kristalle finden und zurückbringen. Aber wie in Allahs Namen sollte er das anstellen?
Sein Plan konzentrierte sich zunächst auf das Gefängnis und seine Insassen. Als erstes wollte er den arabischen Informanten besuchen und mit einem Blick in seine Augen hören, ob er noch mehr in Erfahrung gebracht hatte. Vielleicht wusste er ja inzwischen, wo genau die Steine zu finden waren. Allerdings eine unwahrscheinliche Annahme, seinen letzten Informationen zufolge.
Der nächste Schritt würde dem ehemaligen Geheimdienstchef Frankreichs gelten. Auf jeden Fall wollte Raschid ihm einmal begegnen. In seinem Psychologiestudium hatte er einiges über die Psyche und das Verhalten von Fanatikern gelernt. Und nach seiner Einschätzung handelte es sich bei Renard um einen solchen. Vielleicht könnte er ihn zum Reden bringen, so wie es offenbar auch der Russe geschafft hatte. Notfalls verfügte er über Geld und Einfluss, was den Geheimdienstler eventuell auch überzeugen konnte, etwas auszuplaudern. Zugegebenermaßen ebenfalls eine vage Hoffnung, der sich Raschid hingab.
Über den Russen hatte er noch weniger Informationen erhalten als über den Franzosen. Sicher war jedoch, dass er ein führendes Mitglied eines einflussreichen russischen Verbrechersyndikats in Westeuropa war. Keine Straftat war dieser Organisation fremd, ihr Hauptgeschäft war aber neben dem Drogenhandel der Handel mit Menschen, insbesondere junge Osteuropäerinnen wurden verschleppt und zur Prostitution gezwungen. Ein widerliches, aber einträgliches Geschäft.
Raschid stoppte neben dem großen blauen Gefängnistor mit der Überschrift „Liberté, Égalité, Fraternité“ und meldete sich beim Wachpersonal an. Man ließ in ein, scannte ihn mit einem Metalldetektor und durchleuchtete seine Tasche. Danach wurde er zu einer Türe innerhalb der Mauern geschickt, wo er von einem weiteren Beamten in Empfang genommen wurde. Dieser nahm die Personalien auf und verwies Raschid an einen dritten Wachhabenden, der ihn dann zum Besuchsraum geleitete. Dort standen neun einzelne Tische, an denen sich die Gefangenen mit ihren Besuchern zusammensetzen konnten. An den Wänden und Türen stand bewaffnetes Wachpersonal, das jeden der Anwesenden genau im Auge behielt. Raschid wurde ein Tisch in der Mitte zugewiesen, was ihm gelegen kam, konnte er so vielleicht etwas ungestörter mit dem Häftling sprechen.
Nach wenigen Minuten Wartezeit wurde ein hagerer Araber mit wettergegerbter Haut und großer Nase an den Tisch geführt. Er trug Handschellen und auch die Füße waren zusammengekettet, so dass ihm nur kleine Trippelschritte möglich waren. Jetzt erst bemerkte Raschid, dass auch die anderen Gefangenen in dem Besuchsraum diesen Sicherheitsvorkehrungen unterlagen.
Als der Häftling den Emirati erblickte, entblößte er seine Zähne, die zur Hälfte durch Gold ersetzt waren, zu einem breiten Lächeln. Der Mann taxierte seinen Besucher mehrfach von oben bis unten, offenbar wusste er bereits, wer er war.
„As-salaam alaykum, ehrenwerter Herr!“, begrüßte der Gefangene Raschid mit einem vor Gold blitzenden Strahlen und setzte sich.
„Wa-alaykum as-salaam!“ antwortete Raschid höflich und nickte dem Mann zu.
Der Wachmann entfernte sich und der arabische Häftling wandte sich in einem saudi-arabischen Dialekt an seinen Besucher: „Ich weiß, wer sie sind, woher sie kommen und warum sie hier sind. Mein Kontaktmann in ihrem Ministerium hat mich bereits informiert. Können sie mich denn hier rausholen?“
Raschid sah ihm tief in die Augen und nickte unmerklich mit dem Kopf. „Das werden wir sehen. Sagen sie mir zunächst, was sie wissen. Haben sie weitere Informationen zum Aufenthaltsort dieser Steine für mich? Nur das interessiert mich.“
Das anfänglich freudige Strahlen des Mannes verflog augenblicklich. Er senkte den Blick und flüsterte kopfschüttelnd: „Nein, mein Herr. Darüber konnte ich nichts erfahren. Und das wird auch so bleiben.“
Raschid legte seine Stirn in Falten. „Was soll das heißen? Sind sie entlarvt worden?“
„Nein, der Franzose ist tot!“
„Was?“, schrie der Emirati und erntete dafür die Aufmerksamkeit der Wachmänner. Er musste an sich halten, um den Flüsterton beizubehalten. „Seit wann? Und wie? Ist das sicher?“
„Ja“, bestätigte der Inhaftierte und blickte sich unsicher um. „Gestern war hier die Hölle los. Es hat eine Auseinandersetzung auf dem Gefängnishof gegeben. Zwischen den Russen und den Afros. Und der Franzose war mittendrin. Weiß Allah, was er da gemacht hat. Auf jeden Fall gab’s eine Menge Verletzte, auch den russischen Mafiaboss hat’s erwischt. Die Wachen haben geschossen, überall war Blut und die Verwundeten wurden weggeschafft. Es war ein heilloses Durcheinander und es hat Stunden gedauert, bis sie alles wieder unter Kontrolle hatten.“
„Jetzt mal langsam“, unterbrach ihn Raschid. „Sind sie sicher, dass der Franzose tot ist, oder vielleicht doch nur verletzt? Und was ist mit dem Russen?“
„Bei Allah, ich bin sicher. Ich hab’s genau gesehen. Der Franzose lag mit aufgeschlitzter Kehle da und rührte sich nicht mehr. Ich weiß, wie ein Toter aussieht, hab schon einige gesehen. Genauso wie der Anführer der Schwarzen, dem haben sie einen Schraubenzieher ins Hirn gerammt. Aber der Russe hat nur eine Verletzung an der Stirn gehabt. Das war nichts Schlimmes. Seine Schläger haben die Anderen von ihm ferngehalten.“
„Das heißt, er ist wieder unter den anderen Gefangenen?“
„Nein! Das ist ja das Seltsame. Er ist trotz der kleinen Verletzung nicht zum Frühstück gekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der heute freiwillig in der Zelle geblieben ist. Wo er hier doch das große Sagen hat. Es gehen hier aber Gerüchte um, er sei getürmt. Kann mir aber nicht vorstellen, wie er das angestellt haben will.“ Der Araber grinste. „Sonst wär ich auch schon weg!“
„Vertrockneter Kamelmist“, fluchte Raschid. Sein Plan hatte sich gerade in Luft aufgelöst. „Das heißt, sie wissen nicht mehr als das, was sie schon berichtet haben und der Franzose kann nichts mehr erzählen. Der Russe ist mit seinem Wissen über alle Berge und ich sitze hier und gucke in die Röhre.“
„Vielleicht habe ich doch noch eine wertvolle Information für sie, ehrenwerter Herr“, flüsterte der Informant nach kurzem Schweigen mit verschlagenem Blick und lehnte sich noch weiter nach vorne. „Ich hätte aber gerne eine Zusage von ihnen, dass ich auch hier rauskomme. So war die Abmachung. Und ich halte sie für so ehrenhaft, diese auch einzuhalten.“
„Ich persönlich kann ihnen nichts versprechen, werde aber mein Möglichstes tun. Nutzen sie dafür ihren Kontaktmann, mit dem sie auch bisher verhandelt haben. Ich versichere ihnen aber, mich für sie einzusetzen und ihre Kooperation zu bestätigen.“ Raschid sah den Gefangenen eindringlich an. „Sagen sie mir, was sie wissen!“
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