Keuchend blieb er davor stehen. Dann drückte er zögernd die Tür auf und sah sich aufmerksam um.
Seltsamerweise sah er sich immer genau um, bevor er das Wohnhaus verließ. Er kam sich albern dabei vor, aber trotzdem tat er es. Schämte er sich dafür, was er hier trieb? Er ersparte sich selbst die Antwort auf seine Frage und eilte stattdessen in die nächste Seitengasse zu seinem blitzblauen ‚Beetle‘, der eine bleibende Erinnerung an seine letzte fixe Beziehung war.
Christina, genaugenommen Christina Perner, hatte sie geheißen. Sie war seine Traumfrau gewesen und der ‚Beetle‘ ihr Traumauto. Bis zu dem Tag an dem Alex sie mit einem Anderen im Gebüsch angetroffen hatte und sein Traum von einer traumhaften Beziehung, wie eine Seifenblase in der Sonne zerplatzte und zu einem Alptraum wurde.
Während er den Schlüssel ins Schloss steckte, um den Wagen aufzusperren, erinnerte er sich an die bizarre Situation. Er sah sich selbst, wie er da stand – gedemütigt und unendlich verletzt – und sie dumm anglotzte. Sie saß rittlings auf seinem Kollegen, den Rock hochgeschoben, mit geöffneter Bluse, die Hand des Anderen an ihrer entblößten Brust. Der Träger ihres BH’s hing seitlich hinunter. Die feine weiße Spitze des Körbchens gab die Brustwarzen frei. Frech standen sie hervor. Ihre Frisur, perfekt gestylt. Der Lippenstift um ihren vollen weichen leichtgeöffneten sinnlichen Mund etwas verwischt. Aber vor allem sah er ihre Augen, die ihn halb unter ihren langen dunklen Wimpern verborgen, gelangweilt-nein - verächtlich ansahen. Dieser Blick hatte sich in seiner Erinnerung eingebrannt.
Noch im Gedanken an diese Szene gefangen, sprang Alex ins Auto und startete wütend den Motor. Zu fest trat er aufs Gaspedal, so dass er mit einem Rums gegen, das hinter ihm parkende Auto auffuhr. „Verdammt!“, entfuhr es ihm abermals. Das konnte er jetzt gar nicht gebrauchen. Nicht hier - nicht jetzt. Er stöhnte auf und schlug aufgewühlt mehrmals auf sein Lenkrad. Dann sprang er aus dem Auto, um den Schaden zu begutachten.
Im gleichen Moment öffnete sich auch die Autotür, des hinter ihm parkenden kleinen elegant-schwarzen Sportflitzer, und eine zierliche Brünette schwang ihre Beine heraus und stelzte auf hohen Absätzen auf ihn zu. Ein enges Business-Kostüm umhüllte einen perfekten schlanken Körper. Das maskenhaft geschminkte Gesicht war nicht einzuschätzen. Weder das Alter, noch die Stimmung.
„Aufgespritz!“, zuckte für einen Moment ein Gedanke durch Alex Hirn, während er ihr entgegenblickte.
Ihre Bewegungen drückten dafür deutlicher aus, was sie empfand. Sichtlich wütend rauschte sie auf ihn zu und fauchte ihn an, wobei sich die intensiv Rot nachgezogenen Lippen nur wenig öffneten: „Ihren Führerschein haben Sie wohl auch in der Lotterie gewonnen! Sie Id….“ Den Rest verschluckte sie. Stattdessen fing sie an mit ihren langen lackierten Fingernägeln in ihrer Handtasche - eine echte Dior - zu kramen. „Oder sind Sie betrunken? Es ist wahrscheinlich besser, wenn ich die Polizei rufe.“ Damit zog sie ihr Handy heraus und fing an die Rufnummer einzutippen.
Alex hatte sich währenddessen über die Stoßstange gebeugt. Erleichtert stellte er fest, dass bis auf ein paar Kratzern und einer kleinen Delle keine Schäden sichtbar waren. Er wollte hier keine Aufmerksamkeit erregen. Daher ergriff er sofort die Gelegenheit, als er merkte, dass die Frau für einen Moment zögerte und dabei ihren Blick abschätzend über ihn gleiten ließ, ehe ihr Finger sich auf die Wahltaste zubewegte.
Alex zauberte ein charmantes Lächeln auf die Lippen und sah sie eindringlich an. „Ich glaube nicht, dass es nötig ist die Polizei zu rufen.“, fing er an, „Wir müssten nur ewig warten, bis sie endlich kämen. Sie wissen ja sicher, wie so etwas abläuft.“ Dabei versuchte er ihren Blick einzufangen. „Ich denke, wir können das auch so unter uns klären. Es ist natürlich meine Schuld.“, betonte er mit voller Überzeugung. „Ohne jeden Zweifel. Es tut mir sehr, sehr leid. Ich war im Gedanken gerade wo anders. Ich gebe Ihnen meine Telefonnummer und meine Adresse. Und ….wenn ihre Werkstatt den Schaden repariert hat, rufen Sie mich an und ich bezahle die Rechnung.“
Er zog seine Visitenkarte heraus und schrieb seine private Telefonnummer auf die Rückseite. „Hier. Meine Karte. Auf der Rückseite steht meine Privatnummer. Darf ich ihren Namen erfahren?“
Die Brünette knabberte noch zögerlich an ihrer Unterlippe. Immer noch schwebte ihr Finger gefährlich über der Tastatur. Dann warf sie einen kurzen Blick auf das Haus, dann auf Alex, der ihr die Karte mit einen auffordernden Lächeln hinhielt und zuckte schließlich die Schultern. Danach griff sie nach der Karte und steckte sie ein, nachdem sie einen kurzen Blick darauf geworfen hatte. „Sie haben Glück, dass ich gerade keine Zeit habe, auf die Polizei zu warten. Sie hören von mir“, sagte sie schließlich knapp und stöckelte zurück zu ihrem Auto. Alex starrte ihr, erleichtert und auch ein wenig überrascht, weil sich die Frau so widerspruchslos gefügt hatte, hinterher. Er hatte mehr Widerstand erwartet.
Während er ihr nachsah, ertappte er sich, dass er auf den, in einen knallengen Rock gezwängten, Hintern starrte, der sich leicht wiegend hin und her bewegte. Geschmeidig, wie eine Katze, glitt sie in ihren Sportflitzer, und ließ den Motor aufheulen. Als er nicht sofort zur Seite trat, hupte sie ihn ungeduldig an, wobei sie die Augenbrauen hochzog und ihn mit ihren stahlgrauen Augen ärgerlich-fragend ansah.
Kaum war Alex einen Schritt zur Seite getreten, gab sie Gas und brauste an ihm vorbei. Sie bog in die nächste Seitenstraße ein und verschwand aus Alex‘ Blickfeld. Erleichtert aufatmend blickte Alex ihr hinterher.
Das hätte ihm noch gefehlt, wenn hier ein großes Polizeiaufgebot aufgetaucht wäre. Dann dachte er wieder ans Meeting und sah auf seine Armbanduhr… und stellte zu seinem Entsetzen fest, dass er sie vergessen hatte. Sie lag noch in der Wohnung, wahrscheinlich neben dem Bett und … .
In diesem Moment schlug die Turmuhr drei Mal. Dreiviertel. „Wieder zu spät.“, stöhnte Alex auf. Das dritte Mal in zwei Wochen. Das würde mächtigen Ärger geben. Die Uhr konnte er auch ein anderes Mal holen.
Die Kollegen redeten ohnedies schon mehr oder weniger hinter vorgehaltener Hand über seine verlängerten Mittagspausen. Einige konnten sich aber auch nicht mit anzüglichen Gesten und Bemerkungen zurückhalten. Erst gestern forderte Matt Seitz, einer der Kreativ-Mitarbeiter, ihn auf ihnen endlich seine ‚Neue‘ vorzustellen. Dabei grinste er süffisant und tauschte einen Blick mit Olsen Kahlbach , der neben ihm saß und gerade seinen Joghurtlöffel anzüglich abschleckte. Nur mit Mühe konnte sich Alex zurück halten, ihm nicht eine seiner Fäuste ins Gesicht zu schleudern. Matt hatte, genauso wie Olsen, auch seine Finger nicht von Christina lassen können.
In Erinnerung daran presste Alex seine Lippen fest zusammen und ballte wütend die Fäuste, so dass sich die Knöchel weiß unter der Haut abhoben.
Einige Minuten nach Drei erreichte er endlich die Büros der Marketing-Art-Design Firma Wilkers, zurzeit die bedeutendste Werbeagentur der Stadt, für welche Alex seit fast fünf Jahren arbeitete. In den vergangenen Jahren hatte er einige großartige Werbeideen umgesetzt und war maßgeblich am stetigen Aufstieg der Firma beteiligt gewesen.
Der Konferenzraum fürs Meeting lag im fünften Stock des Bürogebäudekomplexes.
Alex hetzte durch die leeren Gänge und ließ sich schließlich, eine Entschuldigung murmelnd, keuchend auf einen der wenigen freien Stühle fallen, die sich um den langen Tisch im Konferenzraum drängten.
Die Besprechung war schon im vollen Gange. Der Abteilungsleiter, der gerade über einen wichtigen Kunden lamentierte, warf ihm einen verärgerten Blick zu. Alex wagte ebenfalls einen flüchtigen Blick in die Runde, der ihm mehrere spöttisch oder fragende – manchmal genüsslich-anzügliche – Blicke bescherte. Er senkte seine Augen auf die vor ihm liegenden Unterlagen und blätterte scheinbar interessiert darin herum, ohne jedoch auch nur das Geringste zu erfassen.
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