Sie bekam kein Wort über die Lippen und nickte schnell.
„Sehr gut. Können wir uns unterhalten?“ Er verengte die Augen, wodurch seine langen Wimpern hübsch zur Geltung kamen. Sie stieß den Atem aus. Unterhalten wir uns! Sie nickte erneut. Er sah sich um.
„Tja.“ Er sah die Stufen hoch. „Ist nicht der beste Ort, aber wir sollten die Spurensicherung nicht stören, damit sie so schnell wie möglich …“ Er unterbrach sich, als sich Getrappel näherte. Amy schoss um die Ecke, ihren Prinzessinnenschlafsack hinter sich herziehend, und warf sich Kathrin in die Arme. An ihre Brust gekuschelt, sah die Achtjährige nicht einmal halb so beeindruckt wie Kathrin selbst zu dem Mann auf.
„Oh. Ihre Tochter?“
Kathrin nickte, auch wenn es ihr langsam peinlich wurde.
„Kann Ihr Mann sich kurz um sie kümmern?“
Sie schüttelte den Kopf. Amy krabbelte auf ihren Schoß und umarmte sie fest. Kathrin befeuchtete sich die Lippen. „Tot.“
„Oh.“ Er räusperte sich. „Mein Beileid.“
„Danke“, krächzte sie. Amy verstellte ihr den Blick.
„Wir bräuchten einen Moment allein. Meinen Sie …“ Er sah zur Tür hinaus. Es war Januar und trotz des frühen Abends bereits stockduster. „Tja.“
„Wer ist das?“, fragte Franzi aggressiv und drängte sich an ihm vorbei, um sich wieder neben sie zu setzen.
„Oh.“ Er musterte Franziska. „Hallo. Ich bin Kommissar Geiger. Ich wollte mit deiner Mama und euch beiden über den Überfall sprechen.“ Er runzelte die Stirn. „Aber ich bekomme den Eindruck, dass es hier nicht der passende Ort dafür ist.“
„Wie lange werden wir noch hier sitzen müssen?“ Die Worte bereiteten ihr einige Mühe, obwohl es leichter war, etwas zu äußern, wenn sie ihn nicht direkt ansah. Sie hob den Blick.
Seine Aufmerksamkeit driftete zur Wohnung. Da er stand, hatte er einen guten Überblick über drei der Räume: das große Kinderzimmer, das Wohnzimmer und die Küche, obwohl er natürlich nicht den jeweils ganzen Raum übersehen konnte.
„Tja. Daraus wird wohl erst einmal nichts.“ Er sah von Franziska zu Amy und dann Kathrin in die Augen. „Wie sieht es aus? Sind die Damen hungrig?“
Amy drehte sich auf ihrem Schoß. Für Essen war sie immer zu haben. „Ja!“
Franziska verengte ihre rehbraunen Augen, sie war deutlich skeptischer und presste die Lippen aufeinander. Ihre rechte Schulter hob sich, was so viel wie eine Zustimmung bedeutete, wenn sie in schlechter Stimmung badete. Kathrin stöhnte unterdrückt. Jetzt musste sie auch noch einen ganzen Satz mit Sinn und Verstand über die Lippen bringen!
„Äh.“ So wurde das nichts. „Ich … Äh.“ Und sie hatte gedacht, der peinlichste Teil des Tages wäre der gewesen, an dem sich Franzi beinahe einnässte! „Meine Tasche …“ Einatmen, ausatmen, Satz beenden. „Ist gestohlen worden.“
Seine Lippen bogen sich zu einem warmen Lächeln, das sogleich die Kälte aus ihrem Inneren vertrieb. „Natürlich. Ich lade Sie ein.“
Kathrin starrte ihn an, blinzelte und starrte weiter. Kommissar Geiger streckte die Hand nach Franziska aus. „Darf ich beim Aufstehen behilflich sein?“
Franziska erhob sich demonstrativ ohne Hilfe. Amy drehte sich auf Kathrins Schoß und ergriff die Hand des Polizisten. Sie rutschte von ihrem Schoß, und Kathrin sprang schnell selbst auf. „Das ist freundlich von Ihnen“, haspelte sie schnell. „Aber das kann ich unmöglich …“
„Die Spurensicherung ist sicherlich noch ein oder zwei Stunden beschäftigt. Sie wollen die Kinder doch nicht so lange im Flur bespaßen. Hungrig.“
Kathrin klappte den Mund zu. Das hörte sich tatsächlich ziemlich daneben an. „Danke“, murmelte sie und schob Franzi vor sich aus dem Haus.
„Also gut, ich weiß auch schon, wo wir hinfahren werden.“
„Hinfahren?“, griff Kathrin erschrocken auf und stoppte. Geiger sah an Franzi herab.
„Du bist sicherlich ein großes Mädchen, dreizehn? Vierzehn?“
Franziska hob stolz das Kinn. Ein Grinsen bezeugte, dass sich ihre Laune schlagartig gebessert hatte.
„Auf jedem Fall bist du größer als 1,40 Meter und brauchst keinen Kindersitz mehr.“ Geiger wechselte das Kind, und ein Runzeln flog über seine Stirn. „Tja, die junge Dame jedoch … braucht noch ihren Thron.“
„Ich habe einen Sitz im Keller.“ Kathrin deutete zurück zur offenen Haustür. „Ich hole ihn schnell.“ Sie stolperte in ihrer Hast fast die Treppe hinunter.
6. Januar 2017, Dortmund-Barop, Memorize , 19:45 Uhr
Kathrin sah den Mädchen nach. Es gab ein Spielzimmer in dem Restaurant, das Kommissar Geiger ausgewählt hatte, und dorthin verschwanden die beiden nur zu bereitwillig. Sie selbst blieb nervös in seiner Gesellschaft zurück. Er schob seinen Teller zur Seite und fischte in seiner Jacke nach einem Block.
„Wir sollten die Zeit nutzen“, schlug er vor. „Wenn es Ihnen recht ist.“ Seine Augen hielten ihre gefangen, und so ließ die Zustimmung auf sich warten. „Natürlich können Sie morgen auch auf die Wache kommen, wenn es Ihnen lieber ist, allerdings …“ Er zuckte die Achseln. „Jetzt ist alles noch frisch in Ihrer Erinnerung.“
Kathrin nickte. „Gern.“ Eine Braue hob sich, konnte ihre Zustimmung doch alles bedeuten. Sie räusperte sich. „Fangen wir an. Amy und Franzi werden nicht lange beschäftigt sein.“
Er klickte mit dem Kugelschreiber. „Dann sollten wir uns auf das Wichtige konzentrieren.“ Er machte einen Strich über die aufgeschlagene Seite. „Sie haben den Einbrecher gestellt, nicht wahr?“
Sie nickte zögernd, weil sie es so nicht formuliert hätte. Sie war ihm wohl eher in die Arme gelaufen.
„Können Sie ihn beschreiben?“
Sie senkte den Blick auf die Plastikpflanze zwischen ihnen und konzentrierte sich auf die Erinnerung. „Ja. Er hatte schwarze Augen.“
„Schwarz?“
„So dunkel, dass sie schwarz erschienen. Schwarze Haare. Länger, aber nicht frisiert. Schwarze Brauen. Er war dunkel. Ganz dunkel.“
„Wie groß?“
Sie runzelte angestrengt die Stirn. Amy vor ihrem inneren Auge, wie der Einbrecher sie vom Boden gehoben hatte. Amy war 1,31 Meter groß, der Einbrecher war einen Kopf größer gewesen und hatte sie vielleicht zehn Zentimeter vom Boden hochgenommen. Außerdem hatte sie ihm direkt in die Augen sehen können. „So groß wie ich? So 1,70 oder vielleicht auch 1,80 Meter.“
Geiger notierte es sich. „Alter?“
Katrin pfiff.
„Ungefähr? Eher jung oder eher alt?“
„Jung. Wohl jünger als ich. Vielleicht in den Zwanzigern?“ Sie hob die Achseln. „Tut mir leid, ich bin ziemlich schlecht im Einschätzen des Alters.“ Sie verzog zerknirscht das Gesicht. „Entschuldigung.“
„Was trug er?“
Sie schnaubte, sich wieder auf die Erinnerung besinnend. Der Moment, als sie sich umdrehte … „Bluejeans. Schwarze Jacke und feste Schuhe. So Arbeitsschuhe, auch dunkel.“
„Gab es irgendetwas Auffälliges? Tattoos, Schmuck, so etwas?“
Langsam schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ich habe nichts gesehen. Es tut mir leid.“
Er lächelte warm. „Schon gut, machen Sie sich darüber keinen Kopf. Es sind Standardfragen. Sie kannten ihn nicht? Noch nie gesehen?“
Kathrin riss die Augen auf. „Nein.“
Er nickte, notierte es sich und legte den Stift zur Seite. „Eine Pause? Wie wäre es mit Nachtisch?“
Kathrin wurde ganz warm im Bauch. Ihre Fantasie jagte los. Sie wusste genau, was sie gerne vernascht hätte …
09. Januar 2017, Polizeipräsidium am Wall, Dortmund-City
Kathrin klickte sich durch das Verbrecheralbum. Sie hatte am Morgen bereits ein Phantombild erstellen sollen, aber es passte irgendwie nicht. Der Beamte hatte die Geduld verloren und sie vor dem Computer abgesetzt. Nun betrachtete sie bereits seit gefühlten Stunden gleichaussehende Männer. Sie ließ die Hand vom Tisch rutschen, frustriert durch die Eintönigkeit der Aufgabe und den ausbleibenden Erfolg derselben. Sie hatte das Gefühl, dass das Programm in Schleife lief und sie tatsächlich immer dieselben Bilder vorgesetzt bekam. Sie sah auf und schreckte sogleich in aufrechte Haltung. Geiger lehnte am Türrahmen.
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