Alexandros’ Herz schlug wieder in einem schnellen, unregelmäßigen Takt, dieses Mal aber vor lauter Wut und Ärger über das unmögliche Verhalten, das dieser Typ gegenüber der Liebe seines Lebens an den Tag legte. Als er aber gleichzeitig Afroditi anschaute, erkannte er ein kaum merkliches zufriedenes Lächeln, das ihn im letzten Moment davon abhielt, sich in ein Wortgefecht zu verwickeln. Für die Dauer eines Herzschlags, nur für einen unendlich winzigen Moment, trafen sich ihre Blicke. An ihren ausdrucksvollen Augen konnte er ablesen, dass auch sie versuchte, ein Wiedersehen mit ihm einzufädeln.
Er erinnerte sich an die einmalige Art ihres Blickkontakts, als sie noch ein Paar waren. Es steckt dem Menschen im Blut, schon fast sofort vom Beginn seines Lebens an mit den Augen zu kommunizieren. So ist es kein Zufall, dass das Erste, worauf ein Säugling bei allen Reizen aus seiner Umgebung reagiert, die Augen sind. In den ersten sechs Monaten rufen bei einem Baby vor allem die optischen Kontakte Reaktionen hervor und normalerweise auch das erste Lächeln. Beinahe von dem Moment an, als er Afroditi kennenlernte, bildeten die bedeutungsvollen Blicke zwischen ihnen die Grundlage ihrer Beziehung.
Der Professor verabschiedete sich rasch von der Runde, sobald er bemerkt hatte, dass das Ziel erreicht war, und schob als kleine Entschuldigung seine Arbeit vor. Alexandros vereinbarte – so formell und professionell er nur konnte – mit der jungen Geologin, sich mit ihr in zwei Stunden am Eingang zur archäologischen Stätte von Akrotiri zu treffen.
Nikodimos konnte es sich auf keinen Fall verkneifen, eine Bemerkung zu dieser Begegnung zu machen, sobald sie sich dem Ausgang des Lokals näherten. Er wusste genau, wie er mit kleinen Sticheleien Antworten hervorlocken konnte.
„Eine nette junge Frau, diese Afroditi, schade, dass sie mit so einem Typen zusammen ist.“
Alexandros war noch ganz durcheinander und lief wie ein Schlafwandler neben ihm her; er hatte sich von der Intensität der Augenblicke, die er gerade erlebt hatte, noch nicht erholt.
„Ja ... ja, sehr schade ...“
Mit der leicht abgewandelten mäeutischen Methode, der sogenannten Hebammenkunst des Sokrates auf dem Weg zur Erkenntnis, setzte der Professor seine Befragung fort, um zur erwünschten, aber auch erwarteten Schlussfolgerung zu gelangen.
„Ihr beiden wart bestimmt einmal sehr gute Freunde. Sie scheint eine besonders interessante Persönlichkeit zu sein, auch wenn es ihr dieser Neandertaler an ihrer Seite nicht erlaubt hat, bei unserem Gespräch heute auch nur einen Satz zu Ende zu führen.“
„Sie ist wirklich eine sehr begabte junge Wissenschaftlerin, mit einem bemerkenswerten Engagement für ihr Fachgebiet.“
„Und sehr hübsch ...“
Es würde nichts bringen, sich weiter zu verstecken. Die frivole und gleichzeitig freundliche Miene seines Mentors zeigte ihm, dass er die Art seiner Beziehung zu Afroditi bereits durchschaut hatte. Es war eine Gelegenheit, sich von der Bürde zu befreien und mit einem vertrauten Freund zu sprechen.
„Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, als ich dieses Treffen so unbefangen ausgemacht habe. Es ist doch verrückt, die Frau ist schließlich verlobt. Ich habe von dieser Verabredung nichts zu erwarten außer sehnsüchtigen Erinnerungen und Enttäuschungen. Außerdem wird sie die Lüge, die ich ihr als Vorwand aufgetischt habe, um sie ein wenig allein zu sehen, sofort durchschauen. Ich mache mich noch mehr zum Affen als ihr Verlobter. Keine Ahnung, wie ich unser Treffen begründen soll. So einen Schwachsinn habe ich schon immer gemacht ... Was für ein unreifes Verhalten. Wenn ich mit dieser Frau zusammen bin, weiß ich nicht mehr, wo es lang geht!“
Es brach wie ein Sturzbach aus ihm hervor, kritisch und streng gegen sich selbst. Der Professor machte diesem Wortschwall rasch ein Ende.
„Was meinst du denn für eine Lüge? Aber selbstverständlich brauchen wir die Kenntnisse deiner jungen Freundin.“
Alexandros blieb wie versteinert stehen, starrte ihn mit offenem Mund an und wartete auf seine nächsten Worte wie auf das Manna in der Wüste. Der Professor fuhr ungerührt fort:
„Um meine Theorie zu stützen, brauchen wir einen Geologen, der sich mit Platons Landschaftsbeschreibungen beschäftigt und sie mit dem möglichen morphologischen und geologischen Bild sowohl des heutigen Thira als auch mit der Insel in der minoischen Zeit vergleicht.“
„Stimmt auch wieder! Aber wie soll ich denn jetzt diese Verabredung in Akrotiri begründen?“
„Ich hatte sowieso vor, dich zu den Ausgrabungen zu schicken, damit du dort ein paar Messungen durchführst. Die beste Art und Weise, unsere Forschung zu begreifen, bevor deine Freundin mit uns zusammenarbeitet, ist ein gemeinsamer Besuch an dieser bedeutsamen archäologischen Stätte.“
Erleichtert verabschiedete sich Alexandros von seinem Retter auf dem Hauptparkplatz von Ia am Ausgang des Dorfes. Für heute würde der Professor bei seiner Grabung im Keller allein weitermachen, in der Hoffnung, noch eine neue Tafel freizulegen. Er selbst wollte zurück nach Hause gehen, um sich dort in der Bibliothek umzusehen. Nikodimos versicherte ihm, dass er dort unter anderem die Übersetzungen der Platonischen Dialoge Kritias und Timaios finden würde. Er musste alle geografischen Angaben und Beschreibungen zusammentragen, die Atlantis betrafen, um sie mit dem neuen Mitglied ihrer Forschungsgruppe zu teilen.
Wenn Afroditi einverstanden wäre, aktiv an der Forschung teilzunehmen, dann würden sie täglich viele Stunden gemeinsam verbringen. Auf der ganzen Strecke bis nach Hause musste er sich immer wieder in den Arm kneifen, um zu sehen, ob er träumte. Er schwebte auf einer Woge des Glücks. Denn er träumte nicht, er würde wirklich mit Afroditi zusammenarbeiten, und das bei einer der vielleicht größten Entdeckungen der Geschichte!
„Alle Wegkreuzungen rings um den Dreiecksplatz werden von Wachen mit jeweils vier Soldaten abgeriegelt. Sie haben den Befehl, niemandem Zugang zu gewähren, der keine Sondergenehmigung mit dem Siegel des Minos von Strongyle vorweisen kann.“
Theomenes, Andrions Jugendfreund und einer seiner besten Offiziere, erstattete seinem Obersten kurz Bericht. Andrion nickte befriedigt und gab einige letzte Anweisungen.
„Sorge dafür, dass die Wachen alle sechs Stunden abgelöst werden, und setze unsere fähigsten Leute dafür ein. Ich muss mich in der nächsten Zeit um die Einschiffung der Bevölkerung kümmern.“ Er richtete sich zu voller Größe auf und sah seinem Offizier ernst in die Augen, bevor er ihn noch einmal mit Nachdruck warnte und dabei jedes Wort einzeln betonte: „Theomenes, gib acht, dass sich niemand dem Platz nähert. Es geht um Leben und Tod!“
Verstört zögerte Theomenes einen Augenblick, bevor er antwortete. Selbst in den schwersten Kämpfen, als sie gemeinsam Feind und Tod ins Auge blicken mussten, hatte er seinen General nie so aufgewühlt erlebt.
„Sorgt Euch nicht, mein General, ich werde mit meinem Leben dafür einstehen, dass Euer Befehl befolgt wird.“
Der Offizier salutierte und machte sich auf den Weg zum bewachten Hauptplatz von Akrotiri. Andrion wandte sich an Sonchis.
„Und nun, Ägypter, müssen wir uns um deine Abreise kümmern. Deine sichere Rückkehr in die Heimat ist nicht nur für mich, sondern auch für Strongyle von größter Bedeutung.“
Sonchis wollte offenbar nur ungern an seine Abreise erinnert werden und wechselte das Thema.
„Weißt du eigentlich, dass Prinzessin Astarte mit ihrem Gefolge heute Morgen in Akrotiri eingetroffen ist?“
„Ja, das wurde mir berichtet.“
„Hast du sie schon gesehen?”
„Nein, ich habe weitaus dringendere Angelegenheiten zu regeln als unsinnige Höflichkeitsbesuche bei Prinzessinnen.“ Andrions Antwort war kühl, doch sein Freund ließ sich nicht täuschen.
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