Giorgos Koukoulas
Atlantis wird nie untergehen
Die Geschichte von Santorin
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Inhaltsverzeichnis
Titel Giorgos Koukoulas Atlantis wird nie untergehen Die Geschichte von Santorin Dieses ebook wurde erstellt bei
Für dich Für dich
1. Die Vulkaninsel
2. DREI STUNDEN ZUVOR …
3. Die Entdeckung
4. SECHS STUNDEN ZUVOR …
5. Die Theorie
6. EINE SONNE ZUVOR …
7. Die Begegnung
8. ZWEI SONNEN ZUVOR …
9. Akrotiri
10. DREI SONNEN ZUVOR …
11. Visionen
12. VIER SONNEN ZUVOR …
13. Die Prophezeiung
14. FÜNF SONNEN ZUVOR …
15. Ein bleibender Wert
16. SECHS SONNEN ZUVOR …
17. Talos
18. SIEBEN SONNEN ZUVOR …
19. Der Strand
20. ACHT SONNEN ZUVOR …
21. Die Party
22. MITTAGS, ZEHN SONNEN ZUVOR …
23. Der erste Flug
24. MORGENS, ZEHN SONNEN ZUVOR …
25. Der Vulkanausbruch
26. ELF SONNEN ZUVOR …
27. Offenbarungen
28. JETZT …
29. Verabredung am Abend
30. FÜNF STUNDEN DANACH …
31. Zufälle!
Anmerkungen des Autors
ANHANG
Impressum neobooks
Für dich
Das Linienschiff folgte einem schnurgeraden Kurs und schnitt die Meeresbucht zwischen den hoch aufragenden schwarz-roten Felsen in zwei Teile. Die Steilwände bildeten eine gewaltige Krateröffnung, die zu einem der größten Vulkane der Erde gehörte. Ganz benommen wachte er aus einem kurzen, aber erholsamen Schlaf auf. In seinem Dämmerzustand nahm er die unwirkliche, wilde Schönheit der Landschaft noch stärker wahr. Mit jeder Sekunde, die verging, erschienen ihm die imposanten Felsklippen des Vulkans, die auf ihn zukamen, immer bedrohlicher und zogen ihn vollkommen in ihren Bann.
Ergänzt wurde das Bild durch blütenweiße Häuser, die, der Schwerkraft und der Höhe zum Trotz, am Rand des Abgrunds zwischen Meer und Himmel hingen. Wie die letzten Schneereste auf Berggipfeln, kurz bevor sie durch die warme Berührung der Frühlingssonne wegschmelzen. Als sich das Schiff dem Hafen näherte, konnte er auf der linken Seite deutlich die ersten Ortschaften der Insel erkennen. Zunächst den Ort Ia mit seinem berühmten Sonnenuntergang. Dann entlang der Steilhänge verstreute Häuser wie kleine weiße Flocken bis hin nach Imerovigli, dem nächsten Dorf. Durch den ungezügelten Bauboom auf Santorin geht Ia beinahe in die Inselhauptstadt Fira über. Nur ein geübtes Auge kann noch zwei getrennte Orte ausmachen. Weiter nach rechts, am Rand der kreisförmigen Caldera, eine ebenso zauberhafte Landschaft. Vereinzelte Gruppierungen weißer Häuser auf dem Gipfel des Vulkans. Auf der gegenüberliegenden Seite der Insel steht der letzte erkennbare weiße Fleck für das Dorf Akrotiri. Minuten vergingen, bis er sich von den eindrucksvollen Bildern lösen konnte, die sich beim langsamen Dahingleiten des Schiffes vor ihm auftaten.
Alexandros kam nicht umhin, sich die Ereignisse noch einmal vor Augen zu führen, die ihm dieses erstaunliche Schauspiel beschert hatten. Alles begann vor zwei Tagen mit dem Anruf seines verehrten, doch – wie es bei allen Beziehungen ist, bei denen es keine gemeinsamen Berührungspunkte mehr gibt – vergessenen Archäologieprofessors Nikodimos. Die Dinge entwickelten sich unerwartet schnell im Vergleich zum gleichförmigen Rhythmus der alltäglichen Routine, dem er sich seit Langem ergeben hatte.
Er hatte den Professor in seinen letzten beiden Jahren an der Hochschule kennengelernt und war sofort zu dessen Lieblingsstudenten geworden. Alexandros war sich noch immer nicht darüber im Klaren, warum er sich für Archäologie als zweiten Studiengang entschied, nachdem er seinen Abschluss an der Fakultät für Physik der Universität Athen gemacht hatte. Drängte es ihn damals wirklich, Kenntnisse auf diesem Gebiet zu erwerben, oder wollte er einer beruflichen Sackgasse entkommen? Von klein auf hatte er den Wunsch gehabt, sich mit den Sternen zu befassen; alles, was den Weltraum betraf, faszinierte ihn über alle Maßen. Als er älter wurde, entschied er sich für das Physikstudium, um eine Laufbahn im Bereich der Astronomie einzuschlagen. Doch der Griff nach den Sternen wollte nicht gelingen, und eine harte, prosaische Wirklichkeit holte ihn auf den Boden der Tatsachen. Die ständigen Ermahnungen und Hinweise von Familie und Freunden, die ihm zu einer fundierten und gesicherten beruflichen Karriere rieten, warfen Alexandros aus der Bahn seiner ursprünglichen Pläne. Am Ende landete er an Nachhilfeschulen in seinem Viertel und gab Unterricht zur Prüfungsvorbereitung auf das Physikexamen. Seine einst wohlhabende Familie hatte in den letzten Jahren mit starken wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Das kleine Familienunternehmen seines Vaters konnte mit den modernen Erfordernissen des Marktes und den rasanten technologischen Entwicklungen im Computerbereich nicht mithalten. Der einträgliche Elektronikladen mit angeschlossener Reparaturwerkstatt aus den Achtzigerjahren gehörte inzwischen der Vergangenheit an. Die Firma kämpfte nunmehr täglich darum, ihre Kosten zu decken, und hatte längst den ungleichen Wettbewerb gegen die modernen multinationalen Unternehmen verloren.
Es war sieben Uhr morgens, als sein Handy klingelte. Derartig frühe Anrufe war er nicht gewohnt. Er wunderte sich noch mehr, als er sah, dass auf dem Display kein eingespeicherter Name erschien, sondern zehn nichtssagende Zahlen blinkten. Neugierig fragte er sich, wer ihn so früh am Morgen störte und was man wohl von ihm wollte. Doch dann fiel es ihm nicht schwer, die stets enthusiastische, lebhafte Stimme seines verehrten Professors wiederzuerkennen. Nachdem Nikodimos in Windeseile die förmlichen Fragen und Antworten hinter sich gebracht hatte, die sich gehören, wenn man über ein Jahr nicht mehr miteinander telefoniert hat, kam er direkt zur Sache.
„Alexandros, ich brauche deine Hilfe.“
Die Lebhaftigkeit seines Tonfalls hatte sich verloren und war in den Ernst übergegangen, der den Professor auszeichnete, wenn er sich während seiner Vorlesungen mit kritischen Fragen befasste. Vorlesungen, die stets in einem voll besetzten Hörsaal stattfanden, selbst wenn die restliche Fakultät leer war - wegen Streiks, Wahlen, Feiertagen und einem Dutzend anderer Gründe, die die Universitäten häufig in ausgestorbene Gebäude verwandeln. Der Professor fuhr fort.
„Ich kann es dir nicht am Telefon erklären, aber du bist der Einzige, dem ich vertraue. Du musst unbedingt sofort nach Santorin kommen. Sofort, hörst du?“ Seine Worte klangen nun stockend und zeugten von seiner inneren Erregung. „Ich bin einer sehr großen Entdeckung auf der Spur … einer außerordentlich großen Entdeckung.“ Nach seinen letzten Worten entstand eine kleine Pause - der Professor versuchte, sich zu sammeln. „Ich erwarte dich morgen, spätestens übermorgen. Die Angelegenheit erlaubt keinen Aufschub, ruf mich an, sobald du weißt, wann du genau ankommst.“
Der anhaltende Signalton an seinem Ohr zeigte an, dass das Gespräch abrupt beendet worden war. Ein Monolog, bei dem Alexandros keinen Augenblick die Möglichkeit hatte, ‚nein‘ zu sagen.
Das Schiff war endgültig in die Caldera von Santorin eingelaufen. Die Häuser auf den Anhöhen waren jetzt deutlich sichtbar. Rechts fuhren sie an zwei kleinen schwarzen Inseln in der Mitte des Kraterbeckens vorbei. Junge Inseln, die ausschließlich aus Lava bestehen, die erstmals vor zweitausend Jahren ausgeströmt war. Seitdem haben sich ihre Größe und ihre Formen häufig gewandelt, ganz nach den Launen des Vulkans. Das letzte Mal hatte er vor dreihundert Jahren beschlossen, seine Morphologie zu verändern, und damals tauchten inmitten von Erdbeben und Eruptionen aus dem Meeresgrund nach und nach neue Stücke Land auf. Diese verbanden sich allmählich miteinander und bilden heute die zweite der beiden Inseln mit dem sprechenden Namen Nea Kameni – die Neue Verbrannte .
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