Der Junge hielt die Luft an. Schweißtropfen kullerten über seine Stirn. Das Schloss schnappte zurück. Mark versetzte der Tür einen heftigen Fußtritt, dass diese krachend nach innen schwang.
Die rechte Hand mit der Taschenlampe stieß vor. Der Lichtkegel erfasste in Bruchteilen von Sekunden den bärtigen, finster aussehenden Mann, der erschrocken zusammengefahren war.
Mark stand wie gelähmt. Tante Margaret schrie auf.
Der Bärtige reagierte als Erster. Mit einem zornigen Knurren stürzte er sich auf den Jungen und schlug ihm die Taschenlampe aus der Hand. Der Schmerz zuckte Mark durch den ganzen Arm. Die Lampe polterte zu Boden, kreiselte auf der Stelle und fegte mit ihrem Lichtkegel durch die Dunkelheit.
Der Fremde setzte nach, schlug brutal zu.
Mark stolperte nach hinten, kam ins Straucheln und riss Tom mit sich zu Boden.
Tante Margaret reagierte nun blitzschnell. Die Hand mit dem Messer sauste herab. Der Eindringling schrie auf, presste seine rechte Hand auf die schmerzende Wunde am linken Oberarm, aus der das Blut herunter rann.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam der Mann wieder in die Höhe, wollte sich auf die alte Dame stürzen, doch da waren Mark und Tom schon zur Stelle.
Gemeinsam stürzten sie sich auf den Bärtigen und brachten ihn zu Fall. Schwer schlug sein Körper am Boden auf. Mark drehte ihm den Arm auf den Rücken, sodass der Mann vor Schmerzen aufheulte.
Tante Margaret stand wie ein Racheengel mit erhobener Hand über dem ungebetenen Besucher, und das Messer in ihrer Hand funkelte gefährlich ...
”Ich - ich gebe auf!”, quetschte der Eindringling mühsam hervor und wandte seinen Kopf ein Stück nach hinten. ”Lass meinen Arm los!”, bat er Mark, der das Handgelenk des Mannes fest umklammert hielt.
Zögernd lockerte der Jungen den harten Griff. Der Bärtige kam mit einigen unbeholfenen Bewegungen auf die Beine und blickte auf die heftig pulsierende Armwunde, aus der das Blut in regelmäßigen Abständen herausquoll.
”Was wollten Sie von uns?”, fragte Tante Margaret und richtete den Strahl ihrer Taschenlampe direkt ins verzerrte Gesicht des nächtlichen Besuchers. ”Los, heraus mit der Sprache!”
”Ich - ich sage kein einziges Wort!”, gab der Mann barsch zur Antwort und setzte sich taumelnd in Bewegung. ”Ich brauche einen Arzt, sonst verblute ich ...”
”Zuerst beantworten Sie meine Frage!“, beharrte die alte Dame auf ihrer Forderung und folgte jedem Schritt des Einbrechers. Mark und Tom gingen hinter ihm, bereit, jeden Augenblick zu reagieren, falls der Mann doch noch auf dumme Gedanken kommen sollte.
Doch der Bärtige sah nun nicht mehr so aus, als würde er es auf eine neuerliche Auseinandersetzung ankommen lassen wollen. Sein Arm schmerzte sicher höllisch, und der stete Blutverlust zehrte sicher an seinen Kräften.
”Ich will nur raus hier!”, zischte der Mann. ”Geh mir aus dem Weg!” Er stieß mit seiner gesunden rechten Hand Margaret Milford ein Stück zur Seite. Die alte Dame stolperte ein Stück nach hinten, und diesen Augenblick nützte der Bärtige, nahm all seine Kräfte zusammen und begann zu laufen, durchquerte das Wohnzimmer, stieß die Tür mit dem Insektengitter auf und stürzte ins Freie.
Mark und Tom folgten ihm. Sofort wurden sie von der Gewalt des Unwetters erfasst. Im Nu waren sie bis auf die Haut durchnässt. Aus zusammengekniffenen Augen starrten die Jungen dem Flüchtenden nach und rannten hinterher. Regen peitschte in ihr Gesicht Der Sturm fetzte ihnen beinahe die Kleidung vom Leib, Palmwedel klatschten ihnen ins Gesicht. Im aufgeweichten Boden kamen sie nur langsam voran.
Plötzlich war der Mann verschwunden - aufgesogen vom brüllenden, tobenden Unwetter, in dessen Regenschleiern sich jede Spur verlor ...
Enttäuscht brachen die beiden Freunde die Verfolgung ab und kehrten ins Haus zurück. Tante Margaret war gerade dabei, sich ein Glas Likör einzuschenken. ”Auf diesen Schrecken hinauf vertrag' ich einen ordentlichen Schluck ...”
Mark und Tom grinsten.
”Dem haben wir es aber gehörig gegeben!”, freute sich der Afroamerikaner und rieb die Hände gegeneinander. ”Der kommt so schnell nicht wieder.”
”Ganz bestimmt nicht!”, pflichtete Mark ihm bei, und Tante Margaret nickte auch bestätigend: ”Der Kerl braucht fürs Erste einen Arzt, der ihn ordentlich versorgt. Sonst kommt er noch in große Schwierigkeiten ...”
”Was ist denn das?”, fragte Tom plötzlich und deutete auf eine bestimmte Stelle am Boden. Etwas glitzerte und funkelte.
Mark kniete sich nieder und streckte die Hand aus.
”Das muss der Einbrecher verloren haben!”, sagte der Junge und präsentierte Tante Margaret und seinem Freund einen siebeneckigen Stern aus Silber, in dessen Mitte sich ein verziertes Doppelkreuz befand.
”Wahrscheinlich hing das Ding an einem Kettchen!”, vermutete Tom, ”und durch die Balgerei am Boden riss es ab.”
”Aber was soll das bedeuten?”
”Keine Ahnung!” Tante Margaret zuckte mit den Schultern. ”Ich habe dieses Zeichen noch nie gesehen.”
Und wiederum flammte ein Blitz auf und tauchte das Wohnzimmer sekundenlang in stechendes Licht. Dicht darauf folgte der krachende Donnerschlag.
”Die Sache ist mir unheimlich. Ich werde die ganz Nacht nicht schlafen können!”
”Keine Sorge, Tante Margaret!”, tröstete Mark die alte Dame. ”Schließlich sind wir beide ja bei dir und werden mächtig auf dich aufpassen!”
Am nächsten Morgen stand die Sonne wieder strahlend am azurblauen Himmel. Keine einzige Wolke war zu sehen. Das Meer war ruhig und friedlich. Eine leichte Brise wehte und brachte den Geruch von Salz und Tang auf die Insel.
Margaret Milford saß zusammen mit Mark und Tom im etwas schäbig wirkenden Büro des Dorfpolizisten. Der Verputz rieselte von den Wänden, die Fensterscheiben waren schon fast blind, und der altersschwache Ventilator drehte unter gleichmäßigem Kreischen seine Runden.
Ramiro thronte wie ein König hinter seinem wurmstichigen Schreibtisch und paffte an seiner unvermeidlichen Zigarre. Mit seinen buschigen Augenbrauen zwinkerte er nervös, als die alte Dame von den aufregenden Erlebnissen der letzten Nacht berichtete. Das braun gebrannte, faltige Gesicht des Polizisten blieb unbewegt, bis Margaret Milford zu Ende gesprochen hatte.
”Das ist ja allerhand!”, stieß der muskulöse Beamte dann schnaubend hervor und drückte die Zigarre im Aschenbecher aus, dass die Funken nur so flogen. ”Was zum Teufel ist denn plötzlich auf dieser Insel los? Jeden Tag passiert ein neues Verbrechen! Gestern war der Mord an diesem Privatdetektiv, in der Nacht dann der Einbruch bei Ihnen ...”
”Dabei hätten Sie gute Chancen, diesen Mann zu erwischen!”, meinte Margaret Milford, und Ramiro hob fragend seine buschigen Augenbrauen.
”Sie brauchen nur bei sämtlichen Ärzten nachzufragen, ob sie heute Nacht einen Verletzten zu versorgen hatten. Denn unser ungebetener Besucher hat ziemlich stark geblutet.”
”Ich werde der Sache natürlich nachgehen!”, brummte Ramiro und wischte sich den Schweiß aus der Stirn. ”Nur kann ich nicht alles gleichzeitig machen. Momentan weiß ich überhaupt nicht mehr, wo mir der Kopf steht.”
”Nun, so schlimm wird die Sache wohl nicht sein”, spottete Mark, „oder haben Sie schon irgendwelche konkrete Spuren?”
”Werd' nur nicht frech, mein Junge!”, polterte Ramiro, und seine Augen glitzerten zornig. ”Ich bestimme hier auf dieser Insel, was geschieht, und nicht du! Ist das klar? Die Schwierigkeiten haben durch euch ja erst angefangen. Bis ihr hier aufgetaucht seid, war diese Insel das reinste Paradies.”
”Dann sehen Sie zu, dass diese Insel möglichst schnell wieder ein Paradies wird!“, meinte die alte Dame mit leisem Lächeln. ”Doch dazu wird es notwendig sein, dass Sie möglichst rasch allen nur erkennbaren Spuren nachgehen. Und die Spur des Einbrechers ist noch heiß, sehr heiß sogar.”
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