„Was willst du?“ Die Stimme klang erzürnt, erfüllte seinen Kopf. Wieder die stechenden Schmerzen. Er kniff die Augen zusammen.
„Bitte, Meister. Ich habe dich gerufen, weil ich möchte, dass du meine Frau aus dem Totenreich zurückholst. Ich gebe dir alles, was du …“
Der Rauch umschlang ihn, wurde dichter, legte sich um seine Kehle, drückte zu. Rigo bekam kaum noch Luft.
„Du kannst mir nichts geben, außer deinem Körper.“ Körper? Was meinte es damit? Der Druck auf seinem Hals ließ plötzlich nach. Diese Pause nutzte er, um Atem zu holen, jedoch nicht um die Flucht zu ergreifen. Er trat einige Schritte aus dem Kreis hinaus, schüttelte dabei die schmerzenden Arme und hechtete zu dem Stein, auf dem er seine Feder und Papier liegen gelassen hatte. Seine Gedanken wirbelten in seinem Kopf. Es fühlte sich nicht richtig an. Irgendetwas war schiefgegangen und Rigo ahnte, dass er nicht viel Zeit hatte. Er musste aufschreiben, was passiert war. Als Warnung, falls man Samara finden würde. Ohne ihren Vater. Der Rauch folgte ihm, hüllte ihn ein, presste seinen Brustkorb zusammen, raubte ihm fast die Luft. Er kniete sich nieder und mit seinen letzten Reserven tunkte er die Feder in die Tinte, kritzelte etwas auf das Papier. Er kämpfte um jedes Wort. Schließlich gab er auf. Die imposante Kraft, die ihm nicht mehr die Luft abdrückte, aber in seinen Mund, Nase und Ohren eindrang, war zu stark. Zuerst konnte Rigo nicht schlucken. Der Reflex hatte einfach ausgesetzt. Panik überfiel ihn. Dann legte sich ein bohrender Druck auf seine Eingeweide. Die Beschwerden, die dabei entstanden, waren unbeschreiblich, so als würde in ihm etwas auseinandergerissen. Er hörte noch sein Herz klopfen, aber der Schlag wurde langsamer und seine Angst und der Wille zu überleben, stärker. Trotz lähmender Schmerzen, versuchte er, sich gegen den Eindringling zu wehren, der sich wie ein Wurm durch seinen Körper schlängelte und ihn zu verschlingen drohte. Doch es war zu spät. Sternchen explodierten vor seinen Augen, sein Kopf schien auseinanderzubrechen. Rigo litt Höllenqualen, wünschte sich das Ende. Plötzlich legte sich Schwärze über seine Pupille und es war, als würde er fallen, langsam mit einem undefinierbaren Ziel. Ganz abrupt plagten ihn keine Qualen mehr. Erst spürte er seine Finger nicht, dann folgte der restliche Körper, der wie in Watte getunkt von der Außenwelt abgeschnitten wurde. Es war, als wäre Rigo niemals da gewesen.
***
Er erhob sich wankend. So schwach war er noch nie gewesen. Die Knie zitterten. Als er den Mund öffnete, hob sich seine Brust und die Lungen füllten sich mit Luft. Alles an ihm fühlte sich sonderbar an. Von innen zu weich, von außen zu hart, fast wie eingesperrt in einem viel zu kleinen Raum. Von fern erreichten ihn Geräusche. Hoch und schrill. Unangenehm. Er sah sich um. Wo war er? Er zwang sich, die Hände zu heben, sie anzusehen und zu bewegen. Als er sich verwirrt umsah, entdeckte er einen Stein in einer dunklen Lache. Ungelenk beugte er die Knie und führte den Finger zu der Flüssigkeit. Kalt, zäh, seltsam. Ein Tropfen lief über die Fingerknöchel nach unten. Vorsichtig leckte er daran. Wie plump die Zunge war. Der bittere Geschmack ließ ihn zusammenzucken. Das hatte er nicht erwartet. Ratlos sah er sich um. Von Fern blendete ihn ein Licht, das auf einem Berg flackerte. Von dort kam das Geräusch.
Er stand auf und hastete los, strauchelte. Wohl der ungewohnten Bewegung wegen. Stürzte. Schmerz war eine neue Erfahrung. Je näher er dem Felsen kam, umso mehr konnte er nun erkennen, woher die Lichtquelle stammte. Sie kam nicht von einem Berg, sondern aus einer Höhle, die direkt in Felsgestein geschlagen worden war. Vermutlich eine Behausung, vermutete der Dämon. Aus der Welt, aus der er kam, existierten ebenso Unterschlüpfe. Doch die waren wesentlich kleiner und befanden sich eher in der Erde. Langsam schlich er sich an, auch wenn seine Bewegungen noch ungelenk waren, fing er an, sich an diesen Körper zu gewöhnen. Zwar fühlte er sich eingeengt und mochte den weichen, fast labberigen Inhalt nicht, aber wenn Luft durch seine Nase und Mund strömte, empfand er sich erfrischt. Je näher er der Höhle kam, desto lauter und unangenehmer wurden die Geräusche. Seine Ohren rauschten und summten davon. Möglicherweise konnte er es abstellen, also schlich er sich in das Loch, näherte sich dem Ursprung und entdeckte ein kleines menschliches Wesen, das, eingehüllt in Tüchern, auf dem Boden lag. Der Dämon verglich die Größe des Körpers, den er nun besaß, mit dem Bündel. Die schrillen Schreie entwichen dem Mund des winzigen Gesichts, das hochrot angelaufen war. Plötzlich durchdrangen weitere Laute, die von draußen kamen, die Finsternis. Er beschloss kurzerhand, die Behausung zu verlassen, raste durch die Nacht. Der Unterschied zu seiner Welt war zu jeder Zeit spürbar. Ob es die klare Luft, die Geräusche, der Geruch und die Ordnung, die hier zu spüren war. In seiner Umgebung herrschte Chaos, alles in ständiger Veränderung, dunkel oder hell, oben oder unten. Nichts war beständig. Schwarze Schatten, die umherstreiften, ohne Ziel, Anfang oder Ende. Zeit war nicht mess- oder spürbar. In dieser Welt hatte der Dämon das Gefühl, er würde durch eine wabernde Masse gehen, die ihn aufhielt, ihn langsamer machte. Er fühlte sich eingeengt und doch ahnte er, dass er hier ohne Körper nicht überleben würde.
Als er aus seiner Umgebung durch einen Strudel bestehend aus Licht hinausgezogen worden war, spürte er den Übergang mit qualvollen Schmerzen. Etwas, das er als Dämon bisher nicht gekannt hatte. Mit aller Kraft hatte er versucht, sich zu wehren, doch es war zwecklos. Die fremde Luft, die Energie, die nun um ihn floss, all das hatte sich gefährlich angefühlt. Er hatte gespürt, dass er seine Gestalt aus Rauch nicht aufrecht halten konnte, und war in den Körper eingedrungen, der vor ihm gestanden hatte. Wie sollte er wieder zurückkommen, wenn er nicht mal wusste, warum er hier war?
Funkelnde Augen blitzten in der Dunkelheit auf. Der Dämon spürte keine Angst, Hunger oder Durst, aber der Leib wurde langsamer, schwächer und die Zunge in seinem Mund klebte bereits an seinem Gaumen. Könnte er die Gedanken seiner Hülle anzapfen? Er blieb stehen und schlängelte sich durch ihn, bis er die wichtigsten Instinkte übernommen hatte. Solange er nicht wusste, wie er zurück in seine Welt käme, müsste er sich arrangieren. Der Dämon wandte sich nach links, von wo aus ein plätscherndes Geräusch kam. Ein Fluss! Wasser! Mit wenigen Schritten war er am Ufer und tauchte den gesamten Schädel in das kühle Nass. Schließlich öffnete er den Mund und schluckte gierig. Dann zog er den Kopf hinaus, sah sich um und entdeckte eine weitere Behausung in seiner Reichweite. Langsam ging er näher, von den gleißend, erleuchtenden Körpern angezogen. Als er an dem Loch angekommen war, und hineinsah bemerkte er, dass einer anders war. Von innen heraus flackerte ein Licht. Zart, kaum wahrnehmbar. Mit Interesse trat er einen Schritt vor.
***
„Es ist mir egal, was du sagst. Ich kann hier nicht mehr leben. In der Abgeschiedenheit, weit weg von anderen Menschen. Lass uns doch bitte mit Andreij und seinen Leuten fort gehen.“ Danitza wickelte eine Schnur um ihre Haare und zog ihren Zopf glatt. Schmollend verschränkte sie die Arme vor der Brust, das Kinn herausfordernd erhoben. Oh, wie Gyula sie in solchen Momenten liebte! Im Kerzenschein sah seine Frau besonders hübsch aus, wenn dann auch noch die dunklen Augen funkelten und ihr Temperament verrieten.
„Comoara mea, mein Schatz. Andreij ist ein Verbrecher und Betrüger. Von einem Ort zum nächsten. Keinen festen Platz. Ich will so nicht leben, versteh doch.“ Schnaubend erhob sie sich, ging in der kleinen Höhle auf und ab, deutete mit der Hand auf ihre Behausung.
„Nichts, mein Schatz. Wir haben kaum Freunde, die nächsten Menschen leben zu weit weg. Als ich dir damals gefolgt bin, dachte ich nicht, dass wir hier daheim sein müssen“, mit den Händen machte sie eine ausschweifende Geste, „nachts lauern Wölfe und Bären. Glaubst du, das Leder am Eingang hält die fern? Ich will hier keine Kinder groß ziehen. Niemals.“ Kinder. Gyula seufzte und stand auch aus seinem Schneidersitz auf. „Bitte, frumoaso, meine Schönheit. Lass uns noch ein wenig warten und alleine aufbrechen, ja? Bitte nicht mit diesem Pack.“ Zärtlich strich er ihr eine gelöste Haarsträhne aus dem Gesicht, berührte mit dem Zeigefinger ihre Lippe und zog sie an sich. Ihr Körper gab ein wenig nach, doch er wusste, sie war noch nicht besänftigt. Sanft streichelte er ihren Hals, beugte seinen Kopf, um auch ihren Nacken mit seinen Lippen zu liebkosen. Danitza stahl sich aus seinen Armen, schubste ihn leicht. Er nahm sie am Arm und zog sie wieder zu sich, fuhr fort, ihren Mund zu küssen. Ihre Augen waren geschlossen. Gleich würde er sie lieben, auf dem Wolfsfell, am Feuer. Hitze durchströmte ihn, als ihr Busen seinen Arm streifte.
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